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04/2017

Fritz + Fränzi

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Jesper J ul<br />

ist Familientherapeut und Autor<br />

zahlreicher internationaler Bestse ler<br />

zum Thema Erziehung und Familien.<br />

1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />

nach dem Schulabschlu s zur S e, war<br />

später Betonarbeiter, Te lerwäscher<br />

und Bark eper. Nach der<br />

Lehrerausbildung arbeitete er als<br />

Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />

und bildete sich in den Niederlanden<br />

und den USA bei Walter Kempler zum<br />

Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />

leidet J ul an einer Entzündung der<br />

Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im<br />

Ro lstuhl.<br />

Jesper J ul hat einen erwachsenen<br />

Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />

Ehe geschieden.<br />

Kolumne<br />

ein Ma n und ich<br />

sind seit acht Jahchen<br />

ha te.<br />

ren verheiratet<br />

und haben eine<br />

über Selbstmordgedanken gespro-<br />

Ich arbeite, habe promoviert und<br />

bin total erschöpft. Wir haben auch<br />

siebenjährige,<br />

wunderbare Tochter. Als ich ihn<br />

ich im A leingang. Unterstützung<br />

ten Gewohnheit. Alkohol war ein<br />

ke nenlernte, hat er oft getrunken.<br />

finanzie le Probleme. Und a les, was<br />

mit unserer Tochter zu tun hat, re gle<br />

Begleiter jeder Auseinandersetzung.<br />

Das wurde mit der Zeit zu einer fes-<br />

bekomme ich gar keine – und zwar<br />

Er arbeitet vorwiegend nachmit-<br />

momentan auf ein Telefongespräch<br />

reduziert.<br />

tags und abends. Seine Präsen zu<br />

Hause beschränkt sich meist auf den<br />

So ntag. Erst we n sein Schlafbedürfnis<br />

gedeckt ist, hat er für die<br />

Tochter etwas Zeit, die er am liebsten<br />

in der Wohnung verbringt. Ich mu s<br />

seit Anfang an. Die Kommunikation<br />

zwischen mir und meinem Ma n ist<br />

Unsere Tochter spürt die Frustration<br />

und Nervosität meinerseits und<br />

ist unglücklich, da sie wenig von<br />

ihrem Papa hat. Sie vermi st seine<br />

oft intervenieren, damit es zu einer<br />

gemeinsamen Aktivität kommt.<br />

Sie hat keine Strategi entwickelt,<br />

sendung, oder wir e sen zusammen.<br />

Die Ro lenaufteilung in der Familie<br />

ist kla sisch: Der Ma n bringt das<br />

Geld nach Hause, die Frau steht hinterm<br />

Herd und erzieht die Kinder.<br />

Damit bin ich nicht einverstanden.<br />

Ich bin anders erzogen worden, füg-<br />

A lerdings ka n sie nicht diploma-<br />

te mich aber zum Wohl des Kindes. tisch sein.<br />

Nach Jahren mu ste ich feststellen,<br />

da s mein Ma n depre siv ist. Er<br />

hat das auch zugegeben, nachdem er<br />

Aufmerksamkeit und leidet darunter.<br />

Seit einem Jahr ist sie sehr wei-<br />

Dann schaut er mit ihr eine Kinder-<br />

ausgeschlo sen, sagt öfters, sie habe<br />

um nach einem Ersatz oder Ausweg<br />

zu suchen, we n sie ausgeschlo sen<br />

nerlich, fühlt sich oft von Kindern<br />

einen schlechten Tag und sei traurig.<br />

wird. Sonst gibt sie gern den Ton an,<br />

das liegt in ihrem Temperament.<br />

Eigentlich fühlen wir uns beide<br />

ausgeschlo sen, nicht wahrgenommen.<br />

Unsere Bedürfni se werden<br />

gar nicht erkannt. Ich bewege mich<br />

in einem Teufelskreis.<br />

Ich habe Hilfe gesucht, gehe zur<br />

Kindertherapeutin meiner Tochter<br />

und ka n in Gesprächen etwas von<br />

und verstehen. Auch das Verhalten<br />

meinem Frust erke nen, begründen<br />

meiner Tochter spreche ich an, da<br />

I lustration: Petra Dufkova/Die I lustratoren<br />

sie mir gegenüber seit Jahren grob<br />

ist. Und ich habe vor, mit meinem<br />

Ma n bei unserem Hausarzt seine<br />

Depre sion und Behandlungsmöglichkeiten<br />

zu besprechen.<br />

Ic habe über eine Trennung<br />

nachgedacht. Aber ich befürchte,<br />

da s es da n gar keinen Austausch<br />

mehr zwischen Tochter und Vater<br />

gibt. Anderseits bietet eine glückliche<br />

Mu ter wohl mehr Halt als eine<br />

überforderte und unglückliche, die<br />

keinen Ausweg sieht. Wie sehen Sie<br />

das, He r J ul?<br />

Antwort von Jesper J ul<br />

Vielen Dank für Ihr Vertrauen und<br />

di ehrliche, direkte Art, mit welcher<br />

Sie Ihre Familiensituation schildern;<br />

das ist für mich und auch für viele<br />

andere Familien, die mit ähnlichen<br />

Problemen kämpfen, hilfreich. Es<br />

gibt aber eine wesentliche Information,<br />

die ich Ihrem Brief nicht entnehmen<br />

kann: Lieben Sie Ihren<br />

Ma n? Ich frage das deshalb: So lten<br />

Si es nicht tun, ist es für mich<br />

schwer vorste lbar, woher Sie die<br />

Energie und das Durc haltevermögen<br />

nehmen werden, um die nächsten<br />

drei bis fünf Jahre zu überstehen,<br />

unabhängig davon, welche Entscheidung<br />

Sie treffen.<br />

Ich bin überzeugt davon, da s der<br />

Schmerz Ihrer Tochter Ihnen schon<br />

gezeigt hat, da s Sie ihr keinen<br />

Gefa len damit getan haben, die<br />

L ere Ihrer Ehe über so viele Jahre<br />

hinweg zu erdulden. Sie beide sind<br />

der Dynamik zum Opfer gefa len,<br />

welche vom inkompetentesten Mitglied<br />

der Familie, Ihrem Ma n, definiert<br />

wird.<br />

Es braucht immer zwei Personen,<br />

um eine destruktive Beziehung zu<br />

schaffen, und in Ihrem Fa l haben<br />

Sie Ihrem Ma n die Macht gegeben,<br />

die er jetzt hat. Es ist, als ob Sie ihm<br />

die Autoschlü sel in die Hand drücken<br />

und ihn darum bitten würden,<br />

mit Ihnen a len betrunken zu fahren.<br />

Vor einem moralischen Richter<br />

verliert der Alkoholisierte immer,<br />

aber im richtigen Leben sind Sie beide<br />

gleicherma sen verantwortlich,<br />

und nur Ihre Tochter ist das Opfer.<br />

Ic hebe dies in der Hoffnung<br />

hervor, da s Sie damit anfangen werden,<br />

Ihre wertvo le Energie dafür zu<br />

verwenden, für sich selber zu kämpfen<br />

und nicht gegen ihn. Je länger Sie<br />

so weitermachen wie bisher, je<br />

schuldiger wird er sich fühlen, und<br />

Schuld macht ihn durstig. Wenn es<br />

Ihnen gelingt, die Verantwortung<br />

für sich selber und Ihre Tochter zu<br />

übernehmen, kö nt es ihn dazu<br />

inspirieren, die Verantwortung für<br />

sein Leben zu übernehmen.<br />

We n es wahr ist, da s er seit vielen<br />

Jahren unter einer starken De ­<br />

pre sion leidet, hat er den de struktivsten<br />

Weg, damit umzugehen,<br />

gewählt, nämlich zu einem introvertierten,<br />

unverantwortlichen, selbstzerstörerischen<br />

Ma n und Vater zu<br />

werden. Ich sage bewu st «gewählt»,<br />

weil es andere Möglichkeiten gab,<br />

zum Beispiel den Schmerz mit<br />

Ihnen zu teilen oder profe sione le<br />

Hilfe in Anspruch zu nehmen.<br />

Diese schlechte Wahl war in der<br />

Hinsicht ansteckend, als Sie und<br />

Ihre Tochter seine Strategie kopiert<br />

haben. Ihnen und der Zu kunft Ihrer<br />

Tochter zuliebe und um möglicherweise<br />

eine si nvo le Partnerschaft zu<br />

schaffen, mü sen Sie jetzt verantwortlich<br />

werden und eine der folgenden<br />

Entscheidungen treffen:<br />

1. We n Ihre Liebe für ihn erschöpft<br />

ist, schulden Sie es Ihnen beiden,<br />

sich von ihm scheiden zu la sen.<br />

Di ersten Monate, nachdem Sie<br />

und Ihre Tochter ausgezogen sind,<br />

werden zeigen, ob er sich emotional<br />

als Teilzeitvater qualifizieren<br />

möchte. Der erste Schri t ist, mit<br />

dem Trinken aufzuhören.<br />

2. We n Sie ihn immer noch lieben,<br />

so wie er ist, mü sen Sie von ihm<br />

verlangen, da s er zur Kur geht<br />

und trocken wiederkommt. Solang<br />

er an einem Programm teilnimmt,<br />

geben Sie ihm alle Unterstützung,<br />

welche sein Betreuer<br />

vorschlägt. Denken Sie nie, da s<br />

Ihre Liebe ihn heilen ka n. Nur er<br />

selber ka n sich heilen, und Sie<br />

können ihn in den folgenden<br />

Monaten und Jahren dabei unterstützen.<br />

We n Ihr Hausarzt ihn<br />

als klinisch depre siv diagnostiziert<br />

und ihm Antidepre siva verschreibt,<br />

mu s er am selben Tag<br />

mit dem Trinken aufhören und<br />

nicht warten, bis er sich weniger<br />

depre siv fühlt. Sie und Ihre Tochter<br />

mü sen in Bezug auf Ihren<br />

Umgang miteinande realistische<br />

Erwartungen haben. Sehr oft<br />

erzeugen Antidepre siva ein mattes<br />

Gefühlsleben.<br />

Ganz gleich, welche Entscheidung<br />

Sie treffen, für Ihre Tochter wird es<br />

das Geschenk ihres Lebens sein.<br />

Nicht nur die Beziehung zu ihrem<br />

Vater wird viel klarer, Sie bekommt<br />

auch in Ihnen ein weibliches Vorbild,<br />

da sich weigert, ein Opfer zu sein.<br />

Sie mu s da sehr bald lernen.<br />

Die Kolumnen von Jesper J ul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Leserbriefe<br />

«Bleibt nur die Trennung?»<br />

(«Kämpfen Sie für sich selbst, nicht<br />

gegen Ihren Mann», Heft 2/<strong>2017</strong>)<br />

Kämpfen Sie für sich selbst,<br />

nicht gegen Ihren Mann!<br />

Ein Familienvater trinkt, zieht sich zurück, wirkt depressiv. Seine Familie leidet darunter.<br />

Die siebenjährige Tochter fühlt sich allein und ausgeschlo sen. Seine Frau bi tet Jesper Juul<br />

um Rat – und bekommt eine Antwort, die sie vor eine grundlegende Entscheidung ste lt.<br />

M<br />

Es braucht immer zwei<br />

Personen, um eine destruktive<br />

Beziehung zu scha fen.<br />

Werden Sie für Ihre Tochter ein<br />

weibliches Vorbild, da sich weigert,<br />

ein Opfer zu sein. Sie muss das<br />

sehr bald lernen.<br />

36 Februar <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Februar <strong>2017</strong> 37<br />

«Diese Familie braucht echte Hilfe»<br />

(«Kämpfen Sie für sich selbst, nicht gegen Ihren<br />

Mann», Heft 2/<strong>2017</strong>)<br />

Mir erscheint Jesper Juuls Antwort aufgrund der vorliegend geschilderten<br />

Lage nachvollziehbar. Beim Lesen empfinde ich die Anfrage der Mutter als<br />

Bitte um Rechtfertigung einer Trennung. Nachvollziehbar, und aus meiner<br />

Sicht sehr verständlich.<br />

Mein Mann trinkt ebenfalls viel und regelmässig Alkohol. Er ist ein<br />

liebevoller Papa und Ehemann, aufmerksam, fürsorglich. Er wirkt<br />

praktisch nie betrunken. Alles läuft, der Job, der Haushalt (den grösstenteils<br />

er schmeisst), die Familie. Für ihn gibt es keinen Grund, etwas zu<br />

ändern. Aber ich möchte nicht, dass unsere beiden Kinder in einem<br />

Umfeld aufwachsen, in dem solche Mengen Alkohol «normal» sind.<br />

Auch ich habe an eine Trennung gedacht. Doch der Psychologe in der<br />

Suchtberatung hat mir andere Sichtweisen aufgezeigt. Dass z. B. das<br />

Suchtproblem für die Kinder durch die Trennung nicht gelöst wird. Dass<br />

ihr Papa in die «Jetzt erst recht»-Position gehen könnte und ich weniger<br />

mitbekäme, was laufe. Er sagte, dass eine Trennung zu einer Therapie<br />

führen könnte oder auch nicht. Dass das weder in meiner Macht noch in<br />

meiner Verantwortung stehe. Dass es vielmehr meine Erwartung sei, dass<br />

mein Mann meine Sicht übernehme und sich dieser unterordne, statt dass<br />

ich ihm die Verantwortung eines selbständigen Erwachsenen überlasse,<br />

seinen eigenen Umgang und Ausweg aus der Situation zu finden.<br />

So frage ich mich bei der Antwortmöglichkeit zwei, die Jesper Juul<br />

gegeben hat: Was ist die Konsequenz, wenn sich der Mann gegen eine<br />

Entwöhnungskur entscheidet? Es würde mich unheimlich interessieren,<br />

ob er wirklich nur den Weg der Trennung sieht.<br />

Madeleine (per Mail)<br />

Jesper Juul mag eine grosse Ahnung von vielem haben, doch mit<br />

der Psychiatrie scheint er sich nicht auszukennen. Dieser<br />

Dampfhammer-Text ist brandgefährlich. Er kann eine sehr rasche<br />

und sehr gravierende Dynamik auslösen. Dass der alkoholkranke<br />

Vater für eine Therapie aus dem System genommen wird, ist<br />

sicher sinnvoll. Aber ohne peitschenden Mahnfinger in der Luft.<br />

Das ist 100 Prozent kontraproduktiv. Es gibt Probleme, die sich<br />

nicht mit einem markigen Textchen lösen lassen. Diese Familie<br />

benötigt echte Hilfe. Die Mutter wird leider noch viel Geduld und<br />

Energie aufbringen müssen, es gibt keine Blitzwunder.<br />

Ich kenne Menschen, die Angehörige durch Suizid verloren<br />

haben. Das ist für alle Hinterbliebenen die schlimmstmögliche<br />

Wendung.<br />

Markus Urs Leutwyler (via Facebook)<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />

Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns<br />

wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />

oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />

Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi<br />

oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong>61<br />

die Finanzmärkte nach der Investition positiv ent­<br />

bei tiefen Kursen dafür mehr (günstige) Anteile.

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