Der Burgbote 2010 (Jahrgang 90)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ITALIA<br />
4<br />
f<br />
Papst Gregor I (links ein Idealportrait von Antonella da<br />
Messina, oben eine aktuelle Briefmarke) gilt landläufig<br />
als der »Erfinder« des gregorianischen Chorals. Von Rom<br />
aus trieb er die Mission im nördlichen Europa voran.<br />
Kirchliche Choräle verbinden das Abendland<br />
Papst Gregor und die gesungene Liturgie<br />
381<br />
Verfolgt man den European Song Contest, wird schnell deutlich, wie groß die Unterschiede<br />
im Empfinden für Melodik und Rhythmik zwischen eher orientalisch geprägten Ländern<br />
des Südostens Europas und den Ländern nördlich des Alpenhauptkamms sind.<br />
Wie kommt es, dass diese Unterschiede über Jahrhunderte Bestand haben konnten?<br />
Die gesungene Liturgie der katholischen Kirche im Zeitalter von Papst Gregor kann<br />
Antworten geben: Unter dem theologischen Diktum der Einheitlichkeit entstand eine<br />
Melodik, die das Abendland bis hoch in den skandinavischen Norden einte.<br />
Wenn man die Bedeutung der Gregorianik<br />
für die weitere musikalische Entwicklung<br />
des Abendlandes angemessen würdigen<br />
möchte, müssen drei Aspekte in besonderer<br />
Weise<br />
bedacht werden: Zum Einen die<br />
historische Situation, in der der gesungene,<br />
einstimmige Choral in lateinischer Spra<br />
che - so vielleicht eine erste Definition des<br />
Begriffs »Gregorianik« - Aufnahme in das<br />
kulturelle Bewusstsein des Abendlandes<br />
fand. Zum Zweiten die besondere Aufgabe,<br />
die der gesungene Choral in der Liturgie der<br />
römisch-katholischen Kirche einnimmt.<br />
Man darf nicht vergessen, dass die gregoria<br />
nischen Gesänge nicht als eine frühe Form<br />
des Gemeindeliedes zu verstehen sind. Im<br />
Gegenteil: <strong>Der</strong> Ursprung besteht darin, dass<br />
der Priester mit zum Gesang erhobener<br />
Stimme dem Wort Gottes seine besondere<br />
Würde verleiht. Diese Form des gesungenen<br />
Wortes Gottes rückt den dritten Aspekt in<br />
den Vordergrund: Ein solch wichtiger<br />
Bestandteil des Gottesdienstes konnte in<br />
seiner Form und Ausprägung unmöglich<br />
der Individualität einzelner Gemeinden<br />
oder Regionen überlassen bleiben. So ver<br />
wundert es kaum, dass auch zur Form der<br />
gesanglichen Darbietungen immer wieder