AJOURE´ Magazin August 2018
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AJOURE / KOLUMNE<br />
Nein aus Selbstliebe<br />
Umut Akcay<br />
Ein Gebäude, das auf einem morschen, unsoliden<br />
Boden erbaut wird, kann keineswegs<br />
einem Erdbeben oder auch nur einer<br />
leichten Erschütterung standhalten. Ganz<br />
im Gegenteil wird es wie prädestiniert in<br />
sich zusammenstürzen, wie es ein Kartenhaus<br />
einer vorbeistreichenden, leichten<br />
Brise gleichtun würde. Zunächst werden<br />
die Fassaden bröckeln und allmählich wird<br />
das sonst so prächtige Denkmal der Gewalt<br />
von außen nachgeben und weichen, bis die<br />
einzelnen Bestandteile des architektonischen<br />
Kunstwerkes brachliegen und entblößt<br />
zu Vorschein treten.<br />
Ähnlich verhält es sich mit der Menschheit,<br />
die von Zeit zu Zeit wie ihre Bauwerke<br />
ins Wanken geraten und hin und<br />
wieder in ihre Einzelbestandteile zerfallen.<br />
Genau das ist eine der unvermeidlichen<br />
Konsequenzen, die beispielsweise<br />
durch die Verdrängung der persönlichen<br />
Vergangenheit, um nur eine Ursache von<br />
unzähligen Realisierungen aufzuzählen,<br />
wahrwerden kann. Eine Wirklichkeit,<br />
der man entfliehen möchte und nicht ins<br />
Auge blicken mag. Doch wirft man einen<br />
prüfenden, tiefen und langen Blick in genau<br />
diese Augen, so hat man eine reelle<br />
Chance auf Heilung und auf die Hoffnung,<br />
dass die Zukunft besser werden<br />
kann.<br />
Betrachtet man die eigene Vergangenheit<br />
als Fundament, auf dem das Haus errichtet<br />
werden soll, welches wir an dieser<br />
Stelle mit dem heutigen Ich gleichsetzen,<br />
so kann es sein, dass das Ich bereits zu<br />
Beginn einen instabilen Boden erhält.<br />
Wichtig ist dennoch die Prüfung des Bodens,<br />
bevor man das Haus darauf erbaut.<br />
Denn wer sich vor dem Vergangenen,<br />
welches die Grundlage für das Haus darstellt,<br />
fürchtet und zeitgleich versucht davor<br />
zu fliehen, darf sich nicht auf Obdach<br />
und Obhut im morgigen Tag freuen.<br />
Das Vorhaben und die Erwartung dem<br />
bereits Geschehenen zu entkommen,<br />
was sich im Klartext auch Verdrängung<br />
nennt, kann über lange Dauer nicht zur<br />
Erlösung führen. Nur wer mit seiner persönlichen<br />
Historie im Reinen ist, wird für<br />
das in der Zukunft wartende adäquat gewappnet<br />
und bereit sein. Lernaufgaben,<br />
deren Ursprung in der Vergangenheit liegen,<br />
sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich<br />
wie kaum ein anderer Bereich<br />
des Lebens. Während der eine Mensch<br />
lernen muss was Liebe bedeutet, muss der<br />
andere womöglich die Überwindung des<br />
eigenen Egos bewältigen und ein weiterer<br />
hingegen muss beides zugleich meistern.<br />
Doch woher weiß man, was die eigenen<br />
übergeordneten Aufgaben sind und wer<br />
sagt uns, was im Lebenstest abgefragt<br />
wird? Die Vorbereitung auf diese Klausur<br />
gleicht beinahe einem Hexenwerk,<br />
denn niemand erzählt uns, was uns wirklich<br />
erwartet. In der Tat ist die Antwort<br />
hierauf eine Frage der Geduld. Unser Leben<br />
und die Erfahrungen, die wir darin<br />
machen, lenken uns zu ihnen, ohne dass<br />
wir auch nur den blassesten Schimmer<br />
haben, wie und wann wir nun dort hingekommen<br />
sind und was wir letztendlich<br />
hier machen. Meist ist aller Anfang eines<br />
solchen Weges das Scheitern und Versagen<br />
auf dem Weg, den wir voller Überzeugung<br />
gehen und ursprünglich für<br />
richtig hielten.<br />
Umut, vom Bosporus ab ins idyllische<br />
Heidelberg, wo er sich dachte, er könne<br />
ja mal Germanistik studieren. Er kennt<br />
mehr Worte, als Langenscheidts komplette<br />
Enzyklopädie. Kaum jemand nimmt<br />
sich so oft selbst auf die Schippe und ist<br />
dabei gleichzeitig noch so zurückhaltend<br />
selbstkritisch.<br />
AJOURE MAGAZIN SEITE: 102 | AUGUST <strong>2018</strong>