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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 220 · 2 1./22. September 2019 23 *<br />
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Sport<br />
Daumen hoch: Steffen Baumgartwill mit dem SC Paderborndem Tabellenkeller entfliehen. Das will Gegner Hertha BSC allerdings auch.<br />
DPA/GENTSCH<br />
Immer geradeaus<br />
TrainerSteffen Baumgart hat in der Bundesliga viele Bewunderer,weilerden SC Paderborn attraktiven Fußball spielen lässt –amSonnabend wieder: gegen Hertha<br />
VonMichael Jahn<br />
Was haben Eric Cantona,<br />
Marco van Basten<br />
und Joachim<br />
Streich miteinander<br />
zu tun? Auf den ersten Blick wenig,<br />
außer der Tatsache, dass alle drei<br />
ehemaligen, berühmten Fußball-<br />
Profis begnadete und sehr erfolgreiche<br />
Stürmer waren. Auf den zweiten<br />
Blick ergibt sich eine lockereVerbindung<br />
–zumindest für Steffen Baumgart,<br />
47, den Cheftrainer des Bundesligisten<br />
SC Paderborn. Baumgart<br />
war auch ein torgefährlicher Mittelstürmer,<br />
der durch Kampfgeist auffiel<br />
und in der Ersten Liga für den FC<br />
Hansa Rostock, den VfL Wolfsburg<br />
und Energie Cottbus viele Treffer erzielte.<br />
Für den 1. FC Union stürmte<br />
er in der Zweiten Liga.<br />
Spieler wie Cantona, van Basten<br />
oder Streich haben ihm einst imponiert,<br />
sagt Baumgart, „weil sie geradlinige<br />
Typen waren, die auch mal<br />
aneckten, aber ihren Weggegangen<br />
sind“.WarenesalsoVorbilder für den<br />
gebürtigen Rostocker? „Nein“, sagt<br />
Baumgart,„Vorbilder hatte ich nicht.<br />
Man muss als Spieler und auch als<br />
Trainer seinen eigenen Stil finden.“<br />
Wenn man sich die Vita von<br />
Baumgart anschaut, verwundert es<br />
nicht, dass ihm Profis wie Cantona<br />
gefielen. Auch Baumgart gilt als geradlinig,<br />
als ein Mann, der offen und<br />
ehrlich seine Meinung sagt und dabei<br />
nicht unbedingt auf Etikette achtet.<br />
Er ist ein Mann, der nicht mit<br />
dem Mainstream schwimmt. So war<br />
er als Spieler und so ist er auch als<br />
Trainer:immer authentisch.<br />
Am Sonnabend kommt Baumgart<br />
mit dem SC Paderbornins Olympiastadion<br />
(15.30 Uhr). Es ist das Duell<br />
des Tabellenletzten Hertha BSC gegen<br />
den Vorletzten Paderborn. „Ich<br />
kenne natürlich Ante Covic gut“,<br />
sagt Baumgart, „wir sind beide neue<br />
Trainer in der Liga. Vor der Saison<br />
habe ich ihm viel Glück gewünscht.<br />
Aber jetzt interessiert mich die Hertha<br />
nicht. Ich kümmere mich um<br />
meine eigene Mannschaft.“<br />
Baumgart hat viele Bewunderer<br />
in der Liga, weil er offensiven, attraktiven<br />
Fußball spielen lässt. „Wir<br />
spielen so seit zweieinhalb Jahren,<br />
wollen das auch in der Ersten Liga<br />
tun, aber wir müssen auch eine<br />
Menge lernen, vor allem in der Defensive“,<br />
sagt er. Einen Punkt hat<br />
das Team bislang geholt, beim 1:1 in<br />
Wolfsburg. Zuletzt ging Paderborn<br />
zu Hause beim 1:5 gegen Schalke 04<br />
unter, Baumgart sagte hinterher:<br />
„Man darf nicht vergessen, dass<br />
Schalke eines seiner besten Spiele<br />
seit Jahren gezeigt hat.“<br />
100 MILLIONEN FÜR HERTHA<br />
Stärker angedockt: Noch in dieser Saison<br />
sollen die nächsten 100 Millionen<br />
Euro vonInvestor Lars Windhorst an Fußball-Bundesligist<br />
Hertha BSC fließen.<br />
Das hat Herthas Finanzchef IngoSchiller<br />
der Deutschen Presse-Agentur jetzt gesagt.<br />
Es handelt sich um die vertraglich<br />
vereinbarte zweite Tranche. Hertha hat<br />
bereits 125 Millionen Euro bekommen.<br />
Weiter aufgestockt: Der Vertrag sieht<br />
ebenfalls vor, dass Investor Windhorst mit<br />
seiner FirmaTennor 49,9 Prozent der Anteile<br />
an der Hertha BSC GmbH &Co.<br />
KGaA übernimmt.<br />
Die Erfolgsstory des Trainers<br />
Baumgart, der seinen Wohnsitz in<br />
Berlin hat und dessen Frau Katja den<br />
Fanshop des 1. FC Union leitet, begann<br />
im April 2017. Seitdem pendelt<br />
er zwischen Berlin und Paderborn.<br />
Zuvor arbeitete er aber beim Regionalligisten<br />
<strong>Berliner</strong> AK, schaffte 2016<br />
den zweiten Platz, punktgleich mit<br />
dem FSV Zwickau, aber mit einem<br />
Treffer schlechter im Torverhältnis.<br />
Baumgart wurde im August 2016<br />
nach einem Sieg, drei Remis und einer<br />
Niederlage von BAK-Chef Mehmet<br />
Ali Hanüberraschend entlassen.<br />
Paderborn holte ihn in die Dritte<br />
Liga. In den letzten fünf Partien, in<br />
denen er elf Punkte sammelte,<br />
konnte er den Abstieg zwar nicht verhindern,<br />
da aber 1860 München<br />
keine Zulassung bekam, blieb Paderborn<br />
inder Liga. Wasdann geschah,<br />
grenzt an einWunder.2017/18 führte<br />
Baumgart das Team mit Hurra-Fußball<br />
auf Platz zwei und stieg in die<br />
Zweite Bundesliga auf. Ein Jahr danach<br />
wurde es erneut Platz zwei und<br />
der SCP war wieder erstklassig.<br />
Wiesieht Baumgartdiese rasante<br />
Erfolgsgeschichte? „Ach, ich habe<br />
das kurz genossen, das war einfach<br />
schön, aber ich konzentriere mich<br />
auf das, was jetzt passiert.“ Baumgart<br />
ist ein Trainer, der vor allen auf<br />
Leidenschaft und Mentalität Wert<br />
legt.„Ich will meinen Jungs Spaß vermitteln<br />
und unsere Fans begeistern.<br />
Als Trainer mache ich klare Ansagen.“<br />
Er ist es gewohnt, mit dem SC<br />
Paderborn in der Außenseiterrolle<br />
anzutreten. Schon als Spieler lebte er<br />
mit diesem Gefühl. Er sagt: „Als wir<br />
mit Hansa Rostock 1995 in die Bundesliga<br />
aufgestiegen sind, haben uns<br />
doch alle unterschätzt. Am Saisonende<br />
standen wir auf Platz sechs.“<br />
Auch in seiner Zeit bei Energie<br />
Cottbus war er mit einem krassen<br />
Außenseiter unterwegs. „Unser Stadion<br />
hieß zwar Stadion der Freundschaft,<br />
aber alle hatten Respekt, dort<br />
anzutreten, weil wir dortmit Leidenschaft<br />
auftraten.“ Solche Zeiten haben<br />
SteffenBaumgartgeprägt.<br />
Lässt er nunsotrainieren, wie er<br />
einst selbst spielte? „Das kann<br />
man so sagen“, meint Baumgart.<br />
Das sehen auch einige seiner ehemaligen<br />
Mitspieler so. Mit Stefan<br />
Beinlich, 47, stand Baumgart einst<br />
bei Hansa Rostock im Team. Beinlich<br />
sagt: „Steffen war ein guter<br />
Junge, ein Typ. Als Spieler war er<br />
schnell, er hat gefightet und war<br />
immer für das Team da.“<br />
Und der Trainer Baumgart? „Hut<br />
ab, was er in Paderborn leistet“,<br />
schwärmt Beinlich, „er lässt tollen<br />
Angriffsfußball spielen. Natürlich ist<br />
es ein Unterschied, ob du so in der<br />
Zweiten oder Ersten Liga spielen<br />
lässt. Früher hat er oft 4:2 gewonnen,<br />
jetzt verliert ersicher ab und zu mit<br />
2:4.“ Ähnlich urteilt Ronny Nikol.<br />
Der 45-jährige ehemalige Abwehrmann,<br />
spielte mit Baumgart jeein<br />
Jahr beim 1. FC Union und bei Energie<br />
Cottbus zusammen. Nikol sagt:<br />
„Baumi ist immer vorneweg gegangen,<br />
er war kein großer Techniker,<br />
aber ein exzellenter Kämpfer und<br />
sehr ehrgeizig. Der hat nie rumgeeiert<br />
und immer seine Meinung gesagt.<br />
Ich glaube, erist auch als Trainer<br />
so geblieben.“<br />
Überraschend ist, dass Baumgart<br />
schon von klein auf an den Trainerberuf<br />
dachte: „Ich wollte schon immer<br />
Trainer werden, bereits als<br />
Junge. Auf dem Bolzplatz habe ich<br />
überlegt, wie man am besten spielen<br />
kann.“ Sein Vater und sein Opa warenbeide<br />
Handballtrainer.„Opawar<br />
auch noch Schiedsrichter“, berichtet<br />
Baumgart, „aber beide haben mich<br />
nicht beeinflusst, etwa Trainer zu<br />
werden.“ 2015 absolvierte Baumgart<br />
den DFB-Trainerlehrgang, zusammen<br />
mit Marco Rose und Florian<br />
Kohfeldt. Im zweiten Anlauf. Der<br />
erste Lehrgang, zu dem er gemeldet<br />
hatte,war übervoll.<br />
Wiesieht er sich selbst als Trainer?<br />
„Das ist schwer zu sagen. Ichbin wie<br />
ich bin. Ich mache mein Ding, wie<br />
ich es immer getan habe. Aber man<br />
muss sich natürlich auch weiterentwickeln<br />
und neue Wege gehen. Es ist<br />
wichtig, Mutzuhaben und eine klare<br />
Idee,wie man spielen will.“<br />
Michael Jahn<br />
hat Steffen Baumgartam<br />
Telefon erwischt.<br />
Dauerlauf mit Kontra K<br />
Abwehrspieler Christopher Lenz genießt beim 1. FC Union das volle Vertrauen von Trainer Urs Fischer,weilersich jetzt mehr zutraut und Drang nach vorne entwickelt<br />
VonPatrick Berger<br />
Ein dumpfes Schallen dringt aus<br />
der Kabine des 1. FC Union.<br />
Christopher Lenz sitzt nebenan in<br />
einem kleinen Büroraum im Stadion<br />
An der Alten Försterei und grinst. Für<br />
die –mehr oder weniger –lyrischen<br />
Klänge ist der Linksverteidiger<br />
schließlich mitverantwortlich. Zusammen<br />
mit den Offensivspielern<br />
Akaki Gogia und Anthony Ujah teilt<br />
sich der 24-Jährige die Aufgabe als<br />
Kabinen-DJ. „Unsere drei Handys<br />
sind eigentlich immer an der Boxangeschlossen“,<br />
sagt Lenz. „Wir haben<br />
eine Kabinen-Playlist aus dem letzten<br />
Jahr und eine neue. Aber die ähneln<br />
sich, allein schon aus Aberglauben.<br />
Wir hören viel Deutschrap, weil<br />
das eben alle verstehen.“<br />
Kürzlich erst hatte sich Abwehrkollege<br />
Neven Subotic darüber beklagt,<br />
dass die Musik in der Kabine<br />
für seinen Geschmack „ein bisschen<br />
zu Capital-Bra-lastig“ sei. In Dauerschleife<br />
laufen die Songs „Erfolg ist<br />
kein Glück“ vonKontraK,aber auch<br />
„Alles auf Rot“ vonCapo.„DieLieder<br />
passen ganz gut zu Union, zu unseren<br />
Fans und unserer Mannschaft.<br />
Bei uns geht es nämlich nur mit<br />
Teamgeist und Leidenschaft.“<br />
Auch am Sonnabend wird das<br />
wieder so sein, wenn Union am fünften<br />
Bundesligaspieltag bei Champions-League-Teilnehmer<br />
Bayer 04<br />
Leverkusen gastiert, der während<br />
der Woche 1:2 gegen Lok Moskau<br />
verloren hat. Und Lenz, die Überraschung<br />
der jungen Union-Saison,<br />
wird dann wieder unermüdlich auf<br />
der linken Abwehrseite entlang rennen.<br />
Trainer Urs Fischer schenkte<br />
dem gebürtigen <strong>Berliner</strong> in allen fünf<br />
Pflichtspielen über 90 Minuten das<br />
Vertrauen.„Erhat an dem einen oder<br />
anderen Punkt gearbeitet, an dem er<br />
im vergangenen Jahr noch Bedarf<br />
hatte“, begründet der 53 Jahre alte<br />
Trainer seine Entscheidung: „Er<br />
schaltet sich nach vorne ein, ist präsent<br />
und geht auch mal bis auf die<br />
Grundlinie vor. Er macht es momentan<br />
echt gut.“<br />
Intensives Gespräch im Sommer<br />
43,68 Kilometer ist Christopher Lenz bisher<br />
in vier Spielen gelaufen. CITY-PRESS<br />
Lenz blickt auf einen holprigen KarrierestartimProfifußball<br />
zurück. Mit<br />
fünf Jahren ging der in Neukölln geborene<br />
und in Marienfelde aufgewachsene<br />
Kicker zur Hertha. Seine<br />
Mutter begleitete den Jungen von<br />
Marienfelde aus in der Bahn zum<br />
Training. „Wir haben mehr als eine<br />
Stunde gebraucht. Sie hat echt viel<br />
auf sich aufgenommen.“ Später<br />
dann, als Lenz auf die Poelchau-<br />
Oberschule im Olympiapark, eine<br />
Eliteschule des Sports,wechselte,sei<br />
er mit der Mutter Richtung Charlotzeichen<br />
haben sich mittlerweile aber<br />
geändert. Im Sommer führte Lenz<br />
ein intensives Gespräch mit Fischer<br />
und Sportdirektor Oliver Ruhnert.<br />
„Sie haben mir damals gesagt, dass<br />
ich mir noch mehr zutrauen soll“,<br />
sagt Lenz. Mit seiner Zweikampfstärke<br />
und dem neuen Drang nach<br />
vornestellt der 1,80 Meter große Verteidiger,<br />
der in den ersten vier Partien<br />
im Schnitt 10,92 Kilometer gelaufen<br />
ist, eine Bereicherung für das<br />
Spiel des Aufsteigers dar. Hinter Robert<br />
Andrich (47,20) und Christopher<br />
Trimmel (43,96) spulte er mit<br />
43,68 Kilometern intern die drittmeisten<br />
Kilometer ab.<br />
Beim 3:1-Sieg gegen Borussia<br />
Dortmund hatte Lenz das 19-jährige<br />
Toptalent Jadon Sancho weitestgehend<br />
im Griff. Im Rheinland wird er<br />
es nun mit Kai Havertz zu tun bekommen,<br />
den Rekordnationalspieler<br />
Lothar Matthäus bereits als<br />
nächsten deutschen Weltfußballer<br />
und damit als seinen Erben ausgerufen<br />
hat. DieAussagen, die in den vergangenen<br />
Wochen über den erst 20<br />
Jahre alten Nationalspieler Havertz<br />
getätigt wurden, kann Lenz nur bestätigen.<br />
Er kenne schließlich nicht<br />
In der Aufstiegssaison sah das noch<br />
anders aus. Lenz kam auf nur elf<br />
Spiele und hatte meist hinter dem<br />
mit 32 Jahren weitaus erfahreneren<br />
KenReichel das Nachsehen. DieVorviele<br />
Spieler, die in dem Alter schon<br />
so weit seien. „Egal ob mit dem Kopf<br />
oder dem Fuß –erist brandgefährlich.<br />
Kaihat alles,was ein super Fußballer<br />
braucht.“ Ob man ihn stoppen<br />
kann? „Mal schauen, das kann ich<br />
erst am Sonntag sagen.“ Klar sei,<br />
dass das nur mit hartem Teamwork<br />
möglich ist. „Wir müssen kompakt<br />
stehen und gut verschieben. Wenn<br />
ich volles Risiko gehe und mal einen<br />
Zweikampf verliere, dann weiß ich,<br />
dass ich mich auf meinen Mitspieler,<br />
den Innenverteidiger oder Sechser,<br />
verlassen kann. Nursogeht es.“<br />
Zwischenstopp in Gladbach<br />
tenburg gezogen. „Dann hatte ich<br />
nur noch zwei Minuten Fußweg zur<br />
Schule und zum Gelände.“<br />
Mit17wechselte Lenz nach Mönchengladbach.<br />
Bei der Borussia<br />
spielte er nur in der Regionalliga.<br />
Deshalb kehrte er 2016 nach Berlin<br />
zurück, nach Köpenick. „Unter Jens<br />
Keller“, sagt er, „kam ich in meiner<br />
ersten Saison nur zu einer Einwechslung.<br />
Da lief es auch nicht so. Das<br />
war natürlich nicht mein Anspruch.<br />
Deshalbhabe ich mich damals auch<br />
nach Kiel in die Dritte Liga verleihen<br />
lassen.“ Er sei aber „nicht der Typ,<br />
der sauer oder beleidigt ist, wenn er<br />
nicht spielt“. Stattdessen gebe er in<br />
jeder Einheit Gas und möchte den<br />
Trainer davon überzeugen, „dass er<br />
mich am Wochenende aufstellt“.<br />
Der Start mit Union mit vier<br />
Punkten aus vier Spielen stimmt<br />
Lenz zufrieden. „Die Schelle gegen<br />
Leipzig zu Beginn hat uns wachgerüttelt.<br />
Danach haben wir richtig<br />
gute Spiele gezeigt. Wir können,<br />
wenn wir an unsere absolute Leistungsgrenzegehen,<br />
in dieser Liga gegen<br />
jeden Gegner mithalten.“ Dazu<br />
müsste auch Lenz gegen Leverkusen<br />
auf links wieder die Musikmachen.