29.08.2020 Aufrufe

db 3-2020 Web

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Aus der Region

Aus der Region

Die Fichte ist Geschichte

Das beschleunigte Sterben einer Baumart

Es gab einmal eine Zeit, da waren im Siegerland noch

keine großräumigen Flächen mit ausschließlich Fichtenbesatz

zu finden. Johann Christian Senckenberg,

Naturwissenschaftler und Namensgeber des bekannten

Frankfurter Naturmuseums, besuchte anno 1736 unsere Region

und notierte in seinem Tagebuch: „Tannen und Fichten

sind wenig oder keine hie.“ Dass ihm dieser Umstand bemerkenswert

erschien, deutet darauf hin, dass er in anderen

Gegenden eine größere Anzahl der immergrünen Nadelbäume

vorgefunden hatte.

Und tatsächlich trat die Fichte ihren Siegeszug in vielen

Teilen Deutschlands schon vor mehr als 300 Jahren an.

Massive „Plünderungen“ der Wälder in Mitteleuropa hatten

dazu geführt, dass in weiten Teilen eine Holzknappheit

vorlag. Die damaligen Förster konnten viele der Landbesitzer

– in der Regel waren es die Grafen und Fürsten – davon

überzeugen, dass es eine Baumart gibt, die nicht nur schnell

wächst, sondern dazu auch noch ein hervorragendes Holz

liefert. Weitere Vorteile waren ihre Anspruchslosigkeit und

der gerade Wuchs. So rasch wie von den Waldbesitzern gewünscht

konnte der Holzmangel zwar nicht behoben werden,

doch angesichts der Alternativen bot sich die Fichte

ganz einfach als allerbeste Wahl an.

Doch es gab auch Gegenden, in denen eine Anpflanzung

von Fichten gar kein Thema war, weil ganz einfach keinerlei

Holznot herrschte – im Gegenteil. Schon viele Generationen

zuvor hatte hier eine Wechselwirtschaft Fuß gefasst, bei der

die andernorts herrschende prekäre Situation praktisch ausgeschlossen

war. Die Basis hierfür war die Nachhaltigkeit

des Verfahrens. Dieses wurde Haubergswirtschaft genannt

und war aus heutiger Sicht eine kulturelle Großtat. Noch

einmal Senckenberg, der bei seinem mehrwöchigen Besuch

eine Zeit lang im Schloss Hainchen wohnte: „Nachdem man

… angehoben (angefangen) Hayne oder Hauberge zu machen,

erholte sich das Landvolck. Die Hauberge sind stets

ein sicher Capital und verzinsen sich wohl.“ Der Frankfurter

schätzte den wirtschaftlichen Wert richtig ein. Dass die hiesige

Bevölkerung ein auskömmliches Dasein genoss, hing

eng mit den aus der Haubergsarbeit stammenden Erzeugnissen

zusammen.

Gelegentlich hört man von ansonsten gut informierten

Personen, dass sie alles, was den Hauberg anbelangt, noch

nie so richtig verstanden hätten. Ich will darum versuchen,

dessen „Geschäftsmodell“ so einfach wie möglich zu erklären.

Auf entbehrliche Einzelheiten soll bei dem „trockenen

Thema“ verzichtet werden.

Beginnen wir mit den Besitzverhältnissen. Die Verfasser

des „Siegerländer Wörterbuchs“ nahmen an, dass diese gegen

Ende des 15. Jahrhunderts grundlegend festgeschrieben

wurden. Die nassauische Regierung verordnete, dass der

gesamte Waldbesitz einer Ortschaft nach bestimmten Regeln

genutzt werden müsse. Jeder Hauseigentümer wurde

mit seinen Besitzanteilen Mitglied in einer Haubergsgenossenschaft.

Durch Erbteilung und Verkauf konnten sich die

ursprünglich gleichgroßen Anteile ändern.

Foto: Wikimedia Commons

Das Konzept entspricht im Prinzip demjenigen einer

Aktiengesellschaft. Deren Grundkapital ist in Aktien zerlegt,

die den Eigentümern auf einer Aktionärsversammlung

ein Stimmrecht sichern. Genau so ist es auch bei der Genossenschaft.

Wer viele Anteile hat, dessen Stimme hat bei

Beschlüssen ein entsprechend größeres Gewicht. Ein ganz

wichtiger Unterschied ist freilich, dass Aktien lediglich

Wertpapiere darstellen – niemand von den Aktionären muss

in der ihm anteilig gehörenden Fabrik arbeiten. Haubergsanteile

hingegen berechtigen den Besitzer, die Produkte der

ihm zugewiesenen Fläche für sich zu nutzen.

Fahren wir fort mit der Methodik der Nachhaltigkeit.

Hierzu wurde der Wald als Gesamteigentum in möglichst

gleich große Bereiche aufgeteilt. In der Regel wurden 16 bis

20 Areale gebildet. Im ersten Jahr wurde eine dieser Teilflächen

gefällt. Jeder Genosse bekam eine Stelle zugelost,

die der Größe seines Anteils entsprach. Im nächsten Jahr

geschah dies bei einer anderen Teilfläche. Da war auf der

Vorjahrsparzelle das aus den Wurzelstöcken nachwachsende

Holz schon wieder ausgetrieben. Und wenn der letzte Bereich

abgeholzt war, dann war der erste wieder schlagreif.

Bei diesem Reihum-Verfahren war gewährleistet, dass Jahr

für Jahr die gleiche Menge Holz zur Verfügung stand. Nachhaltiger

geht es nicht!

Werfen wir nun einen Blick auf die Erzeugnisse, die der

Hauberg lieferte. Da war vor allem natürlich das Brennholz,

das jeder Eigner im Frühjahr „ernten“ durfte. Das Entfernen

des dünnen Unterholzes und der hieraus gefertigten Schanzen

war eine Aufgabe für Frauen und Kinder, während das

Fällen aller Holzarten – vorwiegend waren dies Birken –

ausschließlich eine Sache der Männer war. Eine Ausnahme

bildeten die Eichenstämme. Bei diesen wurde im Mai zunächst

die Rinde abgeschält. Diese enthält einen Gerbstoff,

mit dessen Hilfe man Tierhäute zu Leder umwandelt. Jeder

Eigner fuhr mit seiner Ausbeute zur Gerberei und erwirtschaftete

durch den Verkauf der Rinde („Lohe“ genannt)

einen finanziellen Gewinn. Die Stangen hingegen brachte

man zu den Meilerplätzen. Die hier gewonnene Holzkohle

fand Verwendung bei der Eisenverhüttung und bildete eine

weitere wichtige Einnahmequelle.

Mit Ausnahme einiger Wintermonate zog sich die Bewirtschaftung

über das ganze Jahr hin. Nach der Holzernte

entfernte man vom Boden der kahlen Fläche Gras und

Moos sowie sonstigen Bewuchs, der anschließend in Flammen

aufging. Die Asche bildete den einzigen Dünger für das

„Haubergskorn“, das eingepflügt und im Jahr darauf mit der

Sichel geerntet wurde. Aus dem hieraus gewonnenen Mehl

backte man im gemeindeeigenen Backhaus ein sehr gesundes

Schwarzbrot. Dazu eignete sich das gedroschene Stroh

als Streu im Stall sowie auch ganz gut zum Decken von Dächern.

Nach einem halben Dutzend Jahren durften schließlich

die Hirten bis zum nächsten Holzabtrieb ihre Großviehherde

zur Beweidung in den Hauberg treiben.

Nicht vergessen werden dürfen die Heidelbeeren, die eimerweise

gesammelt und verkauft wurden sowie der Ginster,

der im zweiten Jahr nach der Abholzung urplötzlich in

einer unzählbaren Fülle auflebt und den jungen Hauberg in

ein einziges Blütenmeer verwandelt. Der Ginster ist nicht

nur eine „Augenweide in Gelb“, sondern er wurde früher

ab dem vierten, fünften Jahr nach seinem Auftauchen auch

mit einer „Ginstersichel“ geerntet. Man konnte ihn häckseln

und als Viehstreu verwenden, aber auch – zu Schanzen

gebunden – im Außenbereich von Stall und Scheune als

Kälteschutz aufstellen. Die schönste Haubergsblume indes

blüht im späten Frühling gleichfalls in größeren Mengen im

jungen Wald wieder auf. Es ist der Rote Fingerhut, dessen

purpurne Glockenreihen nicht verraten, dass sie das giftige

Digitalin enthalten, welches als Arzneimittel genutzt wird.

Zusammengefasst sieht man, dass „die Hauberge ein sicher

Capital“ waren und durch den vielfältigen Nutzen dazu

beitrugen, dass die dörfliche Bevölkerung ein hinlängliches

Wohlergehen genoss. Dies sahen auch die Landesherren

so, die ja durch die fälligen Abgaben ebenfalls hiervon profitierten.

Und darum standen die Nassauer und später die

Preußen im Laufe der Jahrhunderte im eigenen Interesse

hinter dem Geschäftsmodell und regelten durch diverse

„Holz- und Waldordnungen“ die Haubergswirtschaft in ihrem

Machtbereich.

Wer sich das bisher Gesagte vor Augen führt, der wird

nicht den geringsten Grund für die eingangs angesprochene

Anpflanzung von Nadelbäumen finden. Bis dass diese einer

wirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden konnten,

26 durchblick 3/2020 3/2020 durchblick 27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!