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Historisches

Historisches

Die Tragödie um die Stadt Breslau

Breslau (1890-1900), Ring Ostseite

Als Hamburg, Lübeck, Aachen, Köln, das Ruhrgebiet,

Danzig, Königsberg und viele andere deutsche

Städte wie auch Siegen bereits in Schutt und Asche

lagen und in Ostpreußen Soldaten der Roten Armee wüteten,

britische Bomberstaffeln in Wellen in Richtung des

Oberschlesischen Industriegebiets flogen und ihre todbringenden

Bomben abwarfen, war der Tagesablauf in Breslau

bis Weihnachten 1944 noch fast ungestört. Bis auf wenige

Bombenangriffe im Herbst 1944 waren es mehr die Nachrichten

von Gefallenen, die an den bitteren Krieg erinnerten.

Ansonsten kam den meisten Menschen in Schlesien nur zu

Gehör, was die NS-Kriegspropaganda verkündete, nämlich

großartige Erfolge und Heldentaten der deutschen Soldaten.

Weil die Alliierten Breslau noch nicht voll ins Visier

genommen hatten, sprachen die verbohrten Nazis vom

„Luftschutzkeller Deutschlands“ und faselten – obwohl die

Stadt gar nicht befestigt war – von der „Festung Breslau“.

Viele Menschen waren vor der anrückenden Roten Armee

aus den Dörfern und Städten zwischen Oder und östlicher

Reichsgrenze geflohen und hierhergekommen. Dazu waren

aber auch Frauen und Kinder aus dem Ruhrgebiet wegen

der Bombenangriffe auf ihre Heimat in die angeblich

so sichere Stadt Breslau verschickt worden.

Großoffensive der Roten Armee

und die Evakuierung

Das mit der Sicherheit sollte sich Anfang 1945 ändern und

der Schreckensruf „Die Russen kommen!“ ertönte allerorten.

Am 12. Januar starteten die Sowjets mit riesiger Übermacht

die große Offensive. Schon eine Woche später standen sie

an der deutschen Ostgrenze. Damit

erreichte der Krieg verspätet auch

Schlesien in voller Härte. Der Gauleiter

Karl Hanke wusste vermutlich,

welche Macht sich näherte. Aber

im blinden Kadavergehorsam wich

er keinen Deut vom Willen seines

„großen Führers“ ab und achtete sehr

darauf, dass die Heeresleitung die

Weisungen der „Herren“ aus Berlin

befolgte. Demgemäß ließ er am 17.

Januar Truppen zusammenziehen.

Drei Tage später ordnete Hanke an,

dass die nicht wehrtaugliche Bevölkerung

die überfüllte Stadt sofort zu

verlassen habe.

„Allerdings war eine Evakuierung

der Stadt überhaupt nicht

vorbereitet. Schon am ersten Tag

herrschte auf den Bahnhöfen Panik.

Unzählige Menschen strömten zum Bahnhof. Aber

die Züge konnten die Massen nicht aufnehmen. Und Fuhrwerke

aus den fruchtbaren landwirtschaftlichen

Vororten blockierten die Innenstadt auf dem

Wege in die vorgegebene Richtung“, berichtet

ein heute 90-jähriger Zeitzeuge. Gauleiter

Hanke ordnete daher den Fußmarsch von Frauen

und Kindern Richtung Kanth, also Richtung

Westen (der heutigen A 4 entlang) an.

Bei Minustemperaturen (um die 10 bis 20°)

jagte er sie raus ins Ungewisse. Und so stolperten

sie hinter vollbeladenen Fuhrwerken her;

Alte, Behinderte auf Gehhilfen gestützt, Frauen

mit vollbepackten Handwagen, mit Koffern

und Rucksäcken, mit Säuglingen in Kinderwagen

und Kleinkindern an der Hand – traumatisierte,

gedemütigte, verzweifelte Menschen.

Nur das Knirschen des gefrorenen Schnees unter

den Füßen, ab und zu ein Stöhnen und das

Jammern eines Kindes durchbrachen die Stille.

Keiner wusste, wo ein Nachtquartier zu finden

sei. Die befohlene panische Flucht bei bitterer

Kälte endete für Tausende mit dem Tod. Wer

erahnt hatte, was die Flüchtigen erleiden werden,

weigerte sich, die Stadt zu verlassen. Etwa

200.000 Zivilisten (kranke und alte Männer,

Frauen sowie junge Mädchen, Kinder, Jugendliche)

blieben in Breslau.

Das Bemühen der deutschen Wehrmacht,

eine Verteidigungslinie an der Oder aufzubauen,

war im Ergebnis ein untauglicher Versuch,

denn schon am 23. Januar 1945 hatte die Rote Armee in

Ohlau und Oppeln, also südöstlich von Breslau, die zugefrorene

Oder überschritten und sich kämpfend von Dorf zu

Dorf der Stadt genähert. Und noch immer blähten sich die

Nazis auf, als wären sie unbezwingbar.

Letztes Aufbäumen

Breslau, heute wieder eine moderne Metropole

Breslau heute, eine moderne Metropole.

Alle Männer, die Waffen handhaben konnten, wurden

eingezogen. Fünfzehnjährige Hitlerjungen und Sechzigjährige

wurden als Volkssturm mobilisiert. Etwa 24.000 Mann

(Fronturlauber, Soldaten der Ersatzkompanien, Waffen-SS

und Volkssturm) standen der zigmal stärkeren russischen

Übermacht gegenüber. Die nördlichen und östlichen Vororte

von Breslau ließen die Befehlshaber für die eigenen Soldaten

zwangsweise räumen, weil man hier den ersten Ansturm

der Sowjets erwartete. Aber die sowjetischen Truppen

drangen Mitte Februar vom Süden und vom Westen her in

die Vororte Breslaus ein. Die Folge war eine Evakuierung

des Raumes bis zur Innenstadt. Am 10. Februar mussten die

Einwohner ihre Wohnungen räumen und ihre vollgepackten

Koffer und Taschen zurücklassen. Die Menschen zogen nur

mit dem, was sie auf dem Leibe trugen, davon. Wohin wusste

keiner. Ihr Ziel war irgendein sicherer Unterschlupf.

Die Lage wurde immer bedrohlicher, als vom 13. bis 15.

Februar Dresden von Briten und Amerikanern in Brand gebombt

wurde. Bislang war Breslau von dort aus mit Waffen

beliefert worden, doch jetzt war auch der Waffennachschub

gestoppt. Hinzu kam die Einnahme des Breslauer Flughafens

durch die russische Armee. Jeder vernünftig denkende

Mensch sah die Sinnlosigkeit der Gegenwehr. Nicht jedoch

der Gauleiter, die Bestie Hitlers. Der Verlust des Flughafens

wog schwer. Aufgrund dieser neuen Lage ordnete Hitler

Ende Februar die Errichtung einer Flugbahn in der Innenstadt

an. Wozu wusste niemand. Auf Waffen konnte man

nicht mehr hoffen, denn Deutschland hatte seine Waffen

fast verbraucht. Der Befehl des Führers an den Kommandeur

der Wehrmacht lautete: Bau einer 1.3 Kilometer langen

Landebahn auf der Kaiserstraße. Weil sich der Kommandeur

weigerte, beauftragte Hitler den Gauleiter Hanke. Eine

der schönsten Häuserzeilen an der Kaiserstraße einschließlich

der Lutherkirche musste gesprengt und dem Erdboden

gleich gemacht werden. Jeder hatte Hand anzulegen – für

nichts; denn erst zwei Monate später hob ein einziges Flugzeug

von der Flugbahn ab – mit der sich kurz vor dem Fall

der Stadt absetzenden Bestie Hanke.

Am 15. Februar begann mit einem „wahnsinnigen

Häuserkampf“ die eigentliche Schlacht um Breslau. Mit

Flammenwerfern und Panzerfäusten kämpfte man beinahe

um jedes Haus, um jedes Stockwerk und jedes Zimmer.

Dass die deutsche Wehrmacht der großen Übermacht noch

einige Wochen Widerstand entgegenbringen konnte,

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