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Gesellschaft

Gesellschaft

Der Zahn der Zeit...

Alt werden ist nichts für Feiglinge

Diese Erkenntnis war Joachim Fuchsberger schon

2011 ein Buchtitel wert, der, zu recht, wie ich meine,

zum Bestseller wurde.

Es ist auch bei mir nicht mehr zu übersehen: Die kleinen

„Ungeschicklichkeiten“ mehren sich. Was früher mit einem

„das kann ja mal passieren“ leicht hingenommen wurde, häuft

sich jetzt zunehmend. Das gibt zu denken. Ja, das sind eindeutige

Zeichen des Altwerdens, aber wie gehe ich damit um?

Natürlich deprimiert es mich, wenn ich einen Theaterbesuch,

für den ich ja bereits meine Eintrittskarte

habe, einfach vergesse, wie ärgerlich ist das denn?! Der

Termin steht zwar im Kalender, doch wenn ich da nicht

reinschaue? Dumm gelaufen, klar ärgert mich das kräftig.

Aber was sagt mir das auch? Gewöhn‘ dir doch einfach an,

jeden Morgen erst einmal in deinen Kalender zu schauen,

dann passiert sowas nicht. Kann doch nicht so schwer sein.

Steht doch alles im Smartphone.

Namen konnte ich mir noch nie gut merken, Gesichter

ja. Komisch, die anderen wissen in der Regel, wer ich bin

und kennen meinen Namen. Aber ich stehe da, und mir fällt

der Name meines Gegenübers partout nicht ein, peinlich!

Es ist gar nicht so leicht, ein persönliches, zugewandtes Gespräch

zu führen, ohne meinen Gesprächspartner mit Namen

anzusprechen. Darin

habe ich inzwischen zwar

eine gewisse Übung, finde

es aber trotzdem blöd.

Also gehe ich lieber in

die Offensive: „Tut mir

leid, aber mir fällt dein/

Ihr Name im Moment

einfach nicht ein, ich hab

eine Blockade.“ Oder ich

frage: „Woher kennen wir

uns?“ Dann kommt die

erhellende Antwort und

ich kann entsprechend

reagieren „Aber klar! Tut

mir leid, das Alter, da

vergisst man schon mal

was...“ Ja, dann kokettiere

ich auch mit meinem

Alter, das hilft mir.

Dann die Geburtstage,

ach, du liebe Güte! Die

stehen zwar auch im Kalender,

trotzdem vergesse

ich oft, rechtzeitig zu

gratulieren. Ich bin immer

dankbar, wenn das anderen

auch passiert, und sie Verständnis für meine Nachlässigkeit

haben. Aber das ist ein Thema von unterschiedlicher

Wertschätzung. Für die einen ist es ein ganz wichtiger Tag,

den man nicht vergessen sollte, für die anderen hat das weniger

Bedeutung. Ich gebe mir große Mühe, wenigstens im

Familien- und Freundeskreis nicht als Geburtstagsmuffel

aufzufallen, gelingt aber nicht immer.

Das sind Dinge, die mir auch in jüngeren Jahren schon

passiert sind, aus lauter Schusseligkeit, altersunabhängig.

Es sind die scheinbar kleinen, unbedeutenden Dinge, die

mir heute ständig passieren und die mich zum Grübeln

bringen: Mir fallen Dinge oft einfach so aus der Hand, ich

stoße mich häufiger irgendwo an (sichtbar an den blauen

Flecken), ich stolpere über alles Mögliche, auch über die

eigenen Füße... (erhöhte Sturzgefahr!) Bei einem Kleinkind

passiert das alles auch: Noch fehlende Koordination,

unentwickelte Feinmotorik und Gangunsicherheit. Das

wird ja noch. Mir passiert das aber heute! Und zwar nicht

nur gelegentlich, sondern eher häufig. Das ist der Zahn der

Zeit, das Alter. Bin ich dem hilflos ausgeliefert?

Durch die lange coronabedingte Kontaktsperre drehen

sich meine Gedanken und Grübelein immer mehr um mich

selbst, und ich verliere dabei langsam meinen Humor. Das ist

Wenn ich dank fehlender Kraft meinen kleinen Enkel nicht mehr auf den Arm nehmen kann.

setze mich zu ihm oder geh gleich in die Hocke. ... aber, wie komme ich dann wieder hoch?

fatal. Ja, es ist traurig, wenn ich dank fehlender Kraft meinen

kleinen Enkel nicht mehr auf den Arm nehmen kann. Nun,

dann geh ich eben in die Knie und hocke mich auf gleicher

Höhe zu ihm runter, wenn er hoch will. Und wie komme ich

dann wieder hoch? Noch gelingt mir das mit erlernten Tricks.

Aber wie lange noch? Nein, ich will nicht aufgrund der zunehmenden

Einschränkungen die Freude am Leben verlieren

und depressiv werden, dazu ist es zu kurz und zu kostbar.

Es muss gelingen, die zunehmenden Einschränkungen

als normalen Prozess des Altwerdens in Kopf und Bauch

zu akzeptieren und mich nicht „beleidigt“ oder gar minderwertig

zu fühlen, wenn mir etwas nicht mehr so wie früher

gelingt. Einfach ist das aber nicht. Das erfordert ein neues

Selbstbewusstsein, auch gegen einen gesellschaftlichen

Trend, der uns Alte nur – grob ausgedrückt – mit Verblödung

und Hilflosigkeit gleichsetzt. Noch habe ich Möglichkeiten,

neue Strategien dagegen zu entwickeln, die

muss ich nur entdecken, wahrnehmen und auch einsetzen.

Zum Beispiel: Um nicht zu stolpern, sollte ich mich aufmerksamer

bewegen, die Füße bewusst hochheben und die

Augen auf! Oder ich muss Dinge bewusster in die Hand

nehmen, fester zupacken und sie auch festhalten, damit sie

mir nicht aus der Hand fallen. Auch gibt es viele praktische

und schöne Dinge, sogenannte Hilfsmittel, die ich einsetzen

kann, um bei bestimmten Defiziten einen Ausgleich zu

schaffen. Jammern und Klagen hilft nicht, das lähmt mich

nur und verstärkt die depressive Stimmung. Selbstmitleid

blockiert nur und hindert mich, eigene Einfälle und Ideen

zu nutzen, um dem Zahn der Zeit mit Köpfchen zu begegnen,

und meine gewonnene Lebenserfahrung zu nutzen.

Dann fühlt sich auch der Bauch besser.

Natürlich bekommen die eigenen Kinder mit, welche

Veränderungen in ihren Eltern durchs Älterwerden vorgehen.

Auch die Menschen in meinem näheren Umfeld bemerken

das. Ja, vielleicht wachsen wir auf manche Weise ja auch noch

an den Aufgaben, die das Altwerden uns stellt. Das wäre ein

Gewinn. Aber vielen Aufgaben sind wir auch tatsächlich nicht

mehr gewachsen. Natürlich schmerzt mich das besonders im

Hinblick auf meinen kleinen Enkel. Vom Alter her wäre ich

ja eher seine Urgroßmutter. Wie gerne würde ich den kleinen

Mann ein paar Tage zu mir nehmen, auch, um die gestressten

Eltern etwas zu entlasten. Die fänden das auch wunderbar,

aber daran ist gar nicht mehr zu denken, dem bin ich einfach

nicht mehr gewachsen. Der Zahn der Zeit hat schon zu sehr an

den alten Knochen genagt, und nicht nur daran. Das ist traurig,

aber diese Einsicht entlastet mich auch von eigenen Ansprüchen,

denen ich nicht mehr gewachsen bin.

Ja, das Glas ist wohl nicht mehr halb voll, aber es ist

auch noch nicht leer. Es ist immer noch etwas drin, und das

möchte ich bis zum letzten Schluck genießen. Daran will

ich arbeiten. Klingt komisch, ist aber für mich ein guter

Vorsatz.

Anne Alhäuser

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