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Krimi
Krimi
Maßarbeit
Soll dich ein Mensch als leuchtend
Vorbild leiten, so strebe nur ihm
nach in seinen guten Seiten.
Molière
„Hier könntest du wirklich schneller fahren!“, er stöhnte
vernehmlich. „Mit deinem Schneckentempo hältst du ja den
ganzen Verkehr auf. Zügig muss man fahren, zügig!“
„Ja, Schatz“, sie trat das Gaspedal eine Spur tiefer durch.
Der Mercedes beschleunigte sofort. „Ist es so recht?“
„Als guter Fahrer muss man das eigentlich selbst beurteilen
können. Mein Gott, sieh dir den da vorne mal an. So ein
Langweiler. Hat wohl den Führerschein in der Lotterie gewonnen.
Nun überhol ihn doch schon!“ „Jetzt?“ „Natürlich
jetzt oder willst du bis Weihnachten damit warten?“
„Oh, das war aber verdammt knapp! Ich hätte wohl doch
nicht überholen dürfen!“
„Ja, meine Liebe, auf den entgegenkommenden Verkehr
musst du schon selber achten. Ein guter Autofahrer sieht immer
weit voraus, merk dir das! Du solltest dir ein Beispiel an
mir nehmen. Was glaubst du, wieso ich seit zwanzig
Jahren unfallfrei fahre? Das ist nicht nur Praxis, das ist
Mitdenken. Ich schaue eben weit voraus, und wenn ich
an einem Punkt bin, dann bin ich nicht nur dort, sondern
bin gleichzeitig hundert Meter weiter. Ich beziehe
die ganze Gegend in mein Fahrverhalten mit ein. Nimm
die Kurve nicht so scharf! Du fährst ja fast schon auf
dem Bürgersteig!“
„Entschuldige, ich habe dir nur aufmerksam zugehört!“
„Ein guter Fahrer kann beides: Er kann ein Gespräch
führen und auf die Straße achten! So, halte mal hier an,
ich will mir schnell da vorne ein paar Zigaretten ziehen.“
„Paß auf, wenn du aussteigst, da vorne liegt Hundekot.“
Durch die Warnung hatte sie gehofft, für diesmal
einer letzten Strafpredigt zu entgehen, die er gewohnheitsmäßig
in der Weise hielt, dass er rückwärts aus
dem Wagen krabbelte und ihr die Worte seiner vernichtenden
Kritik direkt ins Gesicht schleuderte. Sie hasste
diese Angewohnheit. Auch diesmal erwies sich ihr Ablenkungsmanöver
als Fehlschlag.
„Hab ich schon längst gesehen! Na, du hast ja mal
wieder eingeparkt. Möglichst nahe ran, merk dir das
doch endlich mal. Dazu hat man doch ein Auto. Sonst
kann man ja auch den Bus nehmen. Na ja, gut das ich fit
bin. Den Weg zum Bürgersteig werde ich noch zu Fuß
zurücklegen können.“ Und er schlug heftig die Tür zu.
Sie blieb unbeweglich im Wagen sitzen und beobachtete,
wie er sich an einem Zigarettenautomaten zu
schaffen machte. Am liebsten fuhr sie ja alleine, Da
konnte sie in aller Ruhe auf den Verkehr reagieren. Sie
verabscheute es geradezu, mit ihm zu fahren. Es war
noch jedesmal die Hölle für sie gewesen. Nicht einmal
ihr Fahrlehrer hatte es während der achtzehn Stunden
Fahrunterricht geschafft, sie so sehr zu demütigen wie
er in einer halben Stunde. Dabei war sie eigentlich eine gute
Fahrerin. Ihr Fahrlehrer hatte es ihr oft bestätigt. Nur wenn
er neben ihr saß, dann wurde sie unsicher und machte Fehler,
deren sie sich selbst schämte. Einmal wäre es fast zu einem
Unfall gekommen, und sie war sich ganz sicher, hätte er nicht
so unablässig auf sie eingeredet und ihre Fahrweise ununterbrochen
kritisiert und korrigiert, sie hätte niemals den Lastwagen
übersehen, der aus einer vorfahrtberechtigten rechten
Seitenstraße kam. „Willst du mich morden?“ So hatte er sie
gleich angeschrien. „Wenn du schon einen Unfall baust, dann
sorge wenigstens dafür, dass er auf deiner Seite geschieht!“
Und sie hatte angesichts dieser Rohheit nur hilflos mit den
Zähnen knirschen können. Argumentieren konnte man mit
ihm nicht. Oh, wie dieser Mann ihr auf die Nerven ging! Hätte
sie nur geahnt, wie er sich verhalten würde, nie, niemals
hätte sie den Führerschein gemacht. Und dann diese großkotzigen
Prahlereien! Die Hundescheiße hätte er bestimmt nicht
gesehen, wenn sie ihn nicht darauf aufmerksam gemacht hätte.
Hätte sie es doch bloß nicht getan. Dann hätte er ja einmal
sehen können, wie vorausschauend er wirklich war. Und was
Foto: wikipedia
für ein Theater er wieder mal gemacht hatte, nur weil sie einen
halben Meter vom Bürgersteig entfernt war. Und dann
dieser überflüssige Hohn! Er kam zurück.
„So, was hältst du von einer Spritztour in die Berge. Wir
können ja im Restaurant „Zur Aussicht“ einen Kaffee trinken.
Dann könntest du gleich auch einmal sehen, was man beim
Bergfahren beachten muss.“
Sie stimmte ergeben zu und fluchte innerlich. Der brachte
es noch fertig, dass sie auf dieser Strecke die gröbsten Fehler
machte. Andere Gründe hatte diese Ausfahrt sicher nicht. Dabei
kannte sie die Straße sehr gut. Immerhin hatte sie darauf
ihre Fahrprüfung erfolgreich abgelegt.
„Gib nicht so viel Gas beim Anfahren! Ein guter Fahrer
dosiert das Benzin so, dass er bei minimalem Verbrauch den
größten Effekt erreicht. Du könntest auch schon mal wieder
schalten. Wenn ich das richtig höre, schlägt dir das der Motor
nachhaltig vor. Oder hältst du das Röhren für Lustgeschrei?“
„Entschuldige, es soll nicht wieder vorkommen.“
Zufrieden lehnte er sich zurück. Er würde ihr schon beibiegen,
wie man richtig fährt. Durch seine Schule würde sie gehen.
Schade, dass sie so wenig Talent zum Fahren hatte. Selbst
wenn sie sich noch so anstrengte, eine gute Fahrerin würde
sie nie werden, das hatte er schon bei der ersten Ausfahrt erkannt.
War viel zu nervös! Fehler machte sie, nicht zu singen
und sagen. Na ja, was soll’s! Hauptsache ein guter Fahrer in
der Familie. Und um ihn nach Hause zu fahren, wenn er einmal
zuviel getrunken hatte, dafür würden selbst ihre schwachen
Fahrkünste immer noch ausreichen. Besonders wenn er
sie jetzt einmal richtig in die Mangel nahm und ihr keinen
Fehler durchgehen ließ. Sie konnte nur froh sein, so einen erfahrenen
Fahrer an ihrer Seite zu wissen. „Fahr nicht so dicht
auf! Immer Abstand halten, denk dran! Viele Unfälle sind
schon passiert, nur weil unvernünftige Fahrer keinen Abstand
gehalten haben.“
Sie biss sich auf die Unterlippe und schwieg. Geräuschvoll
atmete sie nur durch die Nase. Da roch sie es und sie empfand
eine tiefe Befriedigung. Beim Rückweg vom Zigarettenautomaten
war er zweifellos in die Hundescheiße getreten. Das
gönnte sie ihm! Er würde es sicher auch bemerkt haben. Gespannt
war sie, wie er damit fertig werden wollte. Schließlich
widersprach das ja seinen großsprecherischen Worten von der
Voraussicht. Irgendwie würde er dafür sorgen müssen, dass
sie es nicht bemerkte.
„Ist hier in der Nähe direkt an der Straße nicht irgendwo
ein Parkplatz mit einem schönen Aussichtspunkt? Wir können
uns da ja etwas die Beine vertreten.“
Na also, zweifellos wollte er dort die Spuren seiner weisen
Vorausschau im Gras abstreifen. Wahrscheinlich würde er
vorgeben, urinieren zu müssen.
„Ich muss außerdem mal mein Bier vom Mittagessen wegbringen.“
Und er schielte vorsichtig auf seine Schuhe. Wie
gut, dass sie mit dem Fahren so beschäftigt war. Es war aber
auch zu dumm, dass er in die Hundescheiße getreten war. Dabei
hatte sie ihn vorher sogar noch gewarnt. Das machte es
besonders ärgerlich. Er musste sie von seinem Dilemma ablenken.
Am sichersten wäre es, ihr noch ein paar Ratschläge
zu ihrer Fahrweise in der bisher geübten Weise zu machen,
während er ausstieg. Schließlich durfte sie auf keinen Fall
das Vertrauen in seine Fähigkeiten verlieren, alles im Voraus
einzubeziehen. Er reckte sich und fühlte sich wieder wohl in
seiner Haut.
Da war der Parkplatz. Diesmal würde sie ihm keinen
Grund zum Spotten geben. Oh ja, er würde zufrieden sein!
Sie gab das Blinksignal und fuhr langsam auf den glattgewalzten
Boden Er beobachtete jede ihrer Handbewegungen.
Gleich würden wieder Vorhaltungen kommen. Markierungen
für Parkplätze waren keine vorhanden. So konnte sie parken,
wie sie es für richtig hielt. Und sie wusste inzwischen genau,
wie es richtig war. Schließlich hatte er es ihr in den letzten
Wochen immer wieder nachdrücklich erklärt.
„Das war schon sehr schön, meine Liebe, wirklich sehr
schön. Aber einiges musst du noch beachten. Du musst vor
allen Dingen daran denken...“ Stille! Herrliche Stille! Nur ein
verhallendes Klappern, als habe jemand ein Mühlrad kurz angeworfen.
Sie blickte durch den leeren Türrahmen und registrierte
mit Befriedigung, dass die Reifen des Wagens, der jetzt
ihr alleine gehörte, nur wenige Zentimeter vom Abgrund entfernt
waren. Maßarbeit! Und er war zweifellos wieder einmal
seine einhundert Meter voraus - nur diesmal vertikal.
Dieter Stündel
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