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Unterhaltung

Unterhaltung

Das Ende eines alten Lappens

Fahrschulwagen 1971

Gelegentlich hört man von einem Paar, das sich tatsächlich

vor oder nach der Silberhochzeit getrennt

hat und -man wundert sich. Das solches auch in der

zeitlichen Nähe einer Goldenen Hochzeit geschieht, ist wohl

ganz, ganz selten. Und doch ist es mir passiert. Dabei ging es

allerdings nicht um einen Partner, sondern ganz schlicht um

die Erlaubnis zum Fahren eines Kraftfahrzeuges.

Eigentlich hatte ich angenommen, mein Führerschein

würde mich bis an mein Lebensende begleiten. Wohlbehütet

hatte er 49 Jahre und elf Tage in einer meiner zahlreichen

Handtaschen geruht. Kaum jemand hatte nach ihm

gefragt, kaum jemand wollte ihn sehen. Er war wie ein

treuer, stiller unaufdringlicher Freund und Vertrauter stets

im Hintergrund geblieben. In seiner grau-beigen Farbe und

von textiler Struktur passte er einmal gefaltet in die Brieftasche,

leider nicht in ein handelsübliches Portemonnaie.

Im Verlaufe seiner Lebensdauer war er, trotz der Schonung,

nun doch schon etwas „abgewetzt“ und schließlich zu einem

„alten Lappen“ heruntergekommen.

Dabei hatte es doch dereinst einmal so viel Mühe und

sogar Verdruss bedeutet, ihn überhaupt zu bekommen. Zurückblickend

erinnere ich mich an zahllose bedrückende

Stunden und teils erniedrigende Momente, bis das ich ihn

endlich in den Händen hielt. Das Ganze ist nun schon eine

halbe Ewigkeit her. Das Leben auf unseren Straßen war

noch überschaubar und mit dem heutigen Verkehrsaufkommen

gar nicht zu vergleichen.

Für mich, die ich mit dem Bus in die Stadt fuhr, war

Kochs Ecke mit dem fließenden Fahrzeugverkehr damals ein

verwirrender Ort des Grauens. Bekümmert, wenn ich dort am

Fußgängerüberweg vor der roten Ampel stand, waren meine

Gedanken: „Das lernst du nie dich hier zurecht

zu finden“. Sie waren wohl auch durch

das Führerscheindebakel meiner Lehrmeisterin

bestärkt. Sie hatte gleich mehrere Anläufe

gewagt und war dann dreimal durch die Prüfungen

„gerasselt“. Dabei hatte sie gleich vier

Fahrschulen nebst einigen Fahrlehrern verschlissen.

Ein „Idiotentest“ wäre ihr als letzte

Alternative vor der endgültigen Kapitulation

geblieben. Sie verzichtete schließlich gänzlich

auf ein eigenes Auto und setzte sich nie mehr

ans Steuer.

„Ich mache den Führerschein“, frohlockte

ein paar Jahre später eine Kollegin, „komm

doch mit“. Spontan und ohne lange Überlegungen

war ich dabei, denn: Ganz ohne Kochs

Ecke ging dies in Haiger! Nach anfänglichen

Theoriestunden machte das Fahren richtig

Spaß und Freude. Meine einstigen Sorgen

und Bedenken waren vergessen. Mit einem

Bundeswehr-Fahrlehrer übte ich Anfahren, Einparken und

die Rechts-vor links-Regelungen von Haiger bis Langenaubach

und Dillenburg. Kurz vor dem Jahreswechsel meinte er,

er werde mich zur Prüfung nach den Feiertagen vorschlagen.

Frohen Mutes sah ich den letzten anstehenden Übungsstunden

entgegen, die selbstverständlich der „Chef“

übernahm. Und plötzlich verstand ich die Welt nicht mehr!

Alles was ich bisher gut beherrschte und worin ich mich sicher

fühlte, waren für ihn eine Katastrophe. In seinen Augen

machte ich alles falsch und dies drückte die Stimmung vollkommen

nieder. Teilweise sah ich mich schon wie einst meine

Meisterin einer bedingungslosen Kapitulation nahe. Je

näher der Prüfungstag kam, desto nervöser, zappeliger und

aufgeregter wurde ich.

Der 12. Februar 1971 war ein milder Wintertag. Die Straßen

waren gut befahrbar und schneefrei. Die Prüfung dauerte

nicht lange, denn ich brauchte an diesem Tag meine erlernten

Fähigkeiten gar nicht erst unter Beweis stellen, ich war schon

in der Theorie durchgefallen. Elend und jämmerlich heulend

fuhr ich per Zug nach Siegen zurück und suchte bei einer im

Stadtkrankenhaus tätigen Freundin erst einmal Trost. „Was

hat sie denn? Was fehlt ihr?“, fragten deren Kollegen zunächst

mitleidig. „Sie ist beim Führerschein durchgefallen“,

antwortete sie. „Ach sooo! Wenn´s weiter nichts ist!“

Meine Aufregung und ein stetes Erschrecken hielten jedoch

an, wenn ich an die nächsten Fahrstunden dachte. Ich

bekam Hautausschlag, ich konnte kaum noch schlafen, das

Innerstes meines Magens drehte sich um und meine Gedanken

waren nur noch auf den entsetzlichen Fahrlehrer fixiert.

Es war wirklich eine ganz schlimme Zeit für mich. Mein Zorn,

meine Abneigung diesem Mann gegenüber waren riesengroß

und um meine Schmach zu beruhigen

reichten alle Schimpfund

Schmähworte dieser Welt

nicht aus.

Es wurde Frühling. Anfang

Mai sollte die zweite Prüfung

stattfinden. Niederträchtig, eher

sadistisch, wie ich ihn empfand,

hatte jener Chef dann auch noch

eine weitere Bosheit für mich

parat. In der letzten Stunde vor

der Prüfung übte er mit mir auf

einem Sportplatz im Dillkreis

intensiv „Kurven fahren“. Ich

musste zigmal und völlig sinnlos das Sportgelände umkreisen,

während er sich mürrisch, kaum aufblickend mit irgendwelchen,

auf seinen Knien liegenden, Schriftstücken beschäftigte.

Um gegen alle Fragen und Tücken gewappnet zu sein,

hatte ich mir inzwischen von anderen Fahrschülern die Prüfungsbögen

besorgt und Fragen und Antworten bis zum letzten

Wochenende vor der Prüfung fast schon auswendig gelernt.

Es war am 17. Mai 1971. Von Zuhause hatte ich mich

morgens unter dem Vorwand verabschiedet, ich müsse ganz

früh zum Zahnarzt. Niemand sollte an einer erneuten, im Inneren

schon feststehenden Niederlage teilhaben. In Wirklichkeit

fuhr ich zeitig per Zug nach Haiger.

Nach der erfolgreichen schriftlichen Prüfung, kam dann

die zweite Hürde. Ich durfte fahren und bekam schließlich

dank einer ruhigen Fahrweise

von einem durchaus netten

Prüfer den mühsam erworben

Schein ausgehändigt. Überschwänglich

dankbar schüttelte

ich dem Prüfer die Hand.

um mich ganz schnell vom

Ort des Schreckens zu entfernen.

Es gelang nicht. Der Chef,

dem ich an diesem Tage keinerlei

Beachtung geschenkt,

ihn ja fast schon übersehen

hatte, rief mich zurück, um mir

den Rat zu geben: „Kaufen Sie

sich ein Fahrrad, niemals ein Auto! Fahren lernen Sie nie“.

Seit inzwischen fünfzig Jahren sitze ich nun beinahe unfallfrei

am Steuer und habe damit sicherlich bewiesen, doch

ein Auto fahren zu können. Eigentlich wollte ich den Führerschein

bis an mein Lebensende behalten. Aber durch neue

Gesetze ist er nur noch bis zum 19. Januar 2033 gültig und

muss spätestens dann gegen eine jetzt übliche Karte umgetauscht

werden. Falls ich ihn dann aber erst umtausche, muss

ich vielleicht wegen einer neuen Bestimmung einen Fahrtest

oder sonst eine Garstigkeit absolvieren Wer weiß?....?

Jedenfalls habe ich meine wertvolle und gut behütete

Fahrerlaubnis kurz vor dem Goldjubiläum gegen eine Karte

getauscht. Meinen alten „Lappen“ werde ich aber weiter in

erinnerungswürdigen Ehren halten. Eva-Maria Herrmann

42 durchblick 3/2020

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