Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Unterhaltung
Unterhaltung
Herbstzeit – Quittenzeit
Leben in und mit der Natur
Meine beste Freundin Monika ist je nach Jahreszeit
zu sprechen, oder auch nicht zu sprechen. Im
Frühjahr zum Beispiel, ist sie niemals abkömmlich,
weil der Garten sie total in Anspruch nimmt. Über den
Sommer geht es einigermaßen, da muss sie nicht so ran.
Vielleicht mal hier und da was abschneiden und ernten. Das
macht sie sehr gerne und quatscht auch ständig davon. Im
Winter ruht das ganze Gartenspektakel. Monika ist wirklich
praktisch veranlagt. Sie pflegt ihren Garten liebevoll immer
unter dem Gesichtspunkt der Verwertbarkeit. Wobei der Begriff
„Garten“ eigentlich eine Untertreibung ist.
Auf dem plantageähnlichen Grundstück wächst alles,
was irgendwie eingekocht, in Gläser oder Flaschen abgefüllt,
getrocknet oder sonst wie verarbeitet werden kann.
Folglich ist Monika im Herbst überhaupt nicht zu sprechen,
außer man besucht sie auf ihrer „Plantage“. Viel
Gemüse, Äpfel, Birnen, Pflaumen und Quitten werden
von ihr begeistert geerntet, verarbeitet oder sonst wie an
Mann oder Frau gebracht. Monikas Grundsatz: „Bei mir
kommt nichts um!“ Ihr besonderer Drang, vieles an Irgendwen
los zu werden, bildet oft ein Problem zwischen
uns Beiden. Obwohl wir schon seit Kindertagen befreundet
sind, ist diese Freundschaft alljährlich im Herbst
schweren Belastungsproben ausgesetzt. Monikas Gespür
für Menschen die nicht gut nein sagen können, ist sehr
gut. Leider gehöre ich auch zu dieser Kategorie, die sie
skrupellos ausnutzt. Letztes Jahr gab es zum Beispiel eine
sehr reichhaltige Quittenernte. Bei einem meiner Besuche
lagen, ehe ich mich versah, eine Unmenge davon in meinem
Kofferraum. Und auf meine Frage, was ich denn mit
so vielen Quitten machen solle, antwortete sie nur: „Na
was schon? Gelee natürlich!“
Foto: pixabay / Chulmin Park
Auf meiner Heimfahrt kam ich an einer Kompostieranlage
vorbei und kurz überkam mich der Gedanke, die Quitten dort
einfach abzugeben. Aber ich wusste auch, dass Monika von
mir einen Bericht erwartete, was ich mit den Quitten gemacht
hätte. Und so fuhr ich doch vorbei. In diesem Punkt ist sie sehr
empfindlich. Vor ein paar Jahren hatte sie mich nämlich dabei
erwischt, dass ich die bestimmt zwei Zentner Äpfel, die sie
mir aufgezwungen hatte, in kleinen Körbchen verpackt meinen
vielen Nachbarn anonym vor die Haustüre stellte.
Diese Quitten stellten sich als eine echte Herausforderung
dar. Quitten sind ja steinhart und man kann sie nicht einfach
so essen. Also wurden sie von mir in mühevoller Arbeit gehäckselt,
gekocht und entsaftet. Das Ergebnis war eine trübe
Brühe, die dann noch durch ein Tuch gefiltert wurde. Erst
jetzt konnte ich mit Unmengen von Zucker Gelee daraus kochen.
Gut dass ich diesen „Herstellungsprozess“ Schritt für
Schritt im Internet nachlesen konnte, sonst hätte ich ziemlich
verloren davor gestanden. Ich gestehe ja, dass ich den
Großteil der Quitten unter den Sträuchern in meinem Garten
vergrub, wo sie seitdem in Frieden ruhen. Den Rest verarbeitete
ich zu einem hellorangen Gelee. Das Ergebnis war
sensationell. Mein Gelee schmeckte! So wie eine Mischung
aus Apfel, Birne und Orange. Sehr lecker!
Ich werde Monika ein paar Gläser schenken…damit sie
ein bisschen stolz auf mich ist. Quittengelee ist übrigens auch
optisch eine Augenweide. Meine bestimmt über hundert gefüllten
Gläser sehen auf dem Kellerregal total schön aus. Sie
bilden auch so einen tollen farblichen Kontrast zu den unzähligen
Gläsern mit dem rotbraunen Pflaumenmus von vor vielen
Jahren. Eines steht fest: An meine allerbeste Freundin lasse ich
nichts kommen, denn wir genießen trotz eventueller Herbstprobleme,
viele schöne gemeinsame Zeiten. Ulla D’Amico
Foto: pixabay / Mabel Amber
Es wurde nicht
nur für gesunde,
sondern auch für
kranke Tage vorgesorgt.
Schlimme Krankheiten
gab es in unserer Familie
zum Glück nicht.
Mutter, Oma und der
Padde sind alle über 80
Jahre alt geworden. Wir
haben von und mit der
Natur gelebt. Unser Essen
war gut und gesund,
sodass Krankheiten
keine Chance hatten.
Wenn einmal doch der
Arzt zu jemand kommen
musste, sorgte das
immer für Aufregung, da er mit dem Auto angefahren kam.
Man hörte ihn schon meilenweit daherkommen, knatternd,
knallend und stinkend. Das halbe Dorf lief zusammen. Wir
haben das Auto wie ein Weltwunder bestaunt. Selten wurde
jedoch ein Doktor konsultiert, war doch die verschriebene
Arznei sehr teuer und die Apotheke weit entfernt.
Mutters Devise: „Die Natur hat für jedes Zipperlein ein
Kräutlein!“ Sie wußte ganz genau, wann der richtige Zeitpunkt
zum Sammeln der bestimmten Kräuter war. Der Stand
des Mondes und die Beachtung der Sternzeichen spielten eine
große Rolle. Das Wissen darum wurde von Familie zu Familie
weitergegeben. Leider habe ich diese Kenntnis nicht mehr ganz
übernommen, war doch in meiner Jugend schon die „Neue
Zeit“ angebrochen. Holunderblüten, Brennnesseln, Schachtelhalm,
Salbei, Kamille, Pfefferminze, Fenchel und viele andere
Kräuter wurden gesammelt, getrocknet und in Leinensäckchen
auf dem Speicher aufgehängt. Welch ein Duft! Die Ringelblume
hatte einen Ehrenplatz im Garten. Sie brauchte sehr
viel Sonne. Die Blüten wurden mit reinem Schweineschmalz
gekocht und in Steintöpfchen aufbewahrt. Diese Salbe war das
Allheilmittel bei Wunden und Abschürfungen.
Das Wertvollste war das rote Johanniskrautöl. Die Standorte
der Pflanzen wußten wir Kinder ganz genau. Die Stängel
wurden kurz über dem Boden abgepflückt und in Körbchen
nach Hause getragen. Stundenlang saßen wir dann draußen
im Sonnenschein und pflückten die winzigkleinen, leuchtend
gelben Blüten ab. Diese wurden in Flaschen gefüllt und
mit reinem, sündhaft teurem Olivenöl übergossen. Auf der
Fensterbank im hellen Sonnenlicht vollzog sich nach einiger
Zeit etwas wunderbares, das Öl färbte sich leuchtend rot. Es
war das Allheilmittel schlechthin!
Nicht zu vergessen sei auch Arnika. Deren Zweige mit
Blüten füllte man auch in Flaschen und übergoß sie mit reinem
Alkohol. Den gab es allerdings nur in der Apotheke für
noch mehr Geld. Zum Reinigen von Wunden, für Einreibungen
bei Rheuma, Gicht etc. wurde diese höllisch brennende
Tinktur verwendet. Einen Nachmittag verbrachten
wir im Tannenwald und brachen das aus den Stämmen ausgetretene
Harz ab. Das wurde in Blechbüchsen aufbewahrt.
Bei Halsschmerzen, besonders bei Kehlkopfentzündungen,
wurde es in heißem Tee aufgelöst, unter Beigabe von Honig
in kleinen Schlucken getrunken. Bei Erkältung gab es
grundsätzlich einen warmen Schmalzlappen auf die Brust.
Fest zugedeckt schwitzte man die Krankheit einfach weg.
Den Husten bekämpfte Mutter mit in Zucker angerührtem
Öl oder Eigelb, welches löffelweise, unter großem Protest,
geschluckt wurde. Bei Fieber machte sie uns Wadenwickel
und verabreichte süße Aconit- und Belladonnakügelchen.
Zur Genesung gab`s stets ein Wunschessen, natürlich Nudeln
mit eingemachten Kirschen!
Rita Stötzel
60 durchblick 3/2020 3/2020 durchblick 61