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Unterhaltung

Unterhaltung

Ein Eichhörnchen

Das Eichhorn

von Elisabeth Kulmann (1808-1825)

Das Eichhörnchen

Johann Wolfgang von Goethe

Ich stand am Fenster und schaute missmutig hinaus –

verregneter Sonntag und außerdem Corona Einschränkungen

– zwei triftige Gründe, um widerwillig zu Hause

zu bleiben.

Plötzlich erblickte ich an der riesigen Fichte im Garten

ein dunkelbraunes längliches Etwas, vielleicht ein abgeknickter

verdorrter Ast? Ich schaute genauer hin – da

bewegte sich was – es entpuppte sich als ein zimtbraunes

Eichhörnchen. Es hängt, mit

seinen Hinterbeinen oben einen

Ast umkrallend, Köpfchen

unten, Körper astähnlich nach

unten gestreckt, an der Fichte.

Bisher kannte ich Eichhörnchen

eigentlich nur horizontal in der

Bewegung, wie sie zum Beispiel

hurtig einen breiten Ast langlaufen,

und war nun überrascht über

diese exellente Beherrschung

auch der Vertikalen. Die kleinen

schwarzen Äuglein blickten zwei

Sekunden nach unten, wohl um

Höhe und Abstand abzuschätzen

und dann – hopp – springt es

drei Baumetagen nach unten auf

einen kräftigen Ast. Schätzungsweise

zweieinhalb Körperlängen

nach unten war der Sprung! Sicher

zirkusreif! Aber welcher Artist

würde wohl zweieinhalb Körperlängen

kopfüber nach unten

springen? Scheint aber doch ein

äußerst cleveres Wesen zu sein,

das kleine Eichhörnchen! – oder?

Allerdings versteckt es bekanntlich

seine gesammelten

Nüsse an sehr vielen verschiedenen

Stellen, an die es sich

zum Teil später nicht mehr erinnern

kann. „Ganz schön dement“

würde man einen Menschen beurteilen, der nicht mehr

weiß, wo er seine gehamsterten Lebensmittel deponiert hat.

Das Eichhörnchen hebt nun mit seinen kleinen Pfötchen

die schweren Äste der Fichte einzeln hoch, schaut

darunter und sucht nach Knospen der Fichten, Zapfen oder

Zweigen, ziemlich wählerisch, nimmt weiß Gott nicht alles,

was sich darbietet. Als es dann genug gefunden und

geknuspert hat, springt es nach unten vom Baum auf die

Wiese im Garten und hopst dort ohne erkennbaren Nutzen

hin und her. Bewegungsdrang oder „Funktionslust“, wie

die Biologen es nennen. Bewegungsdrang ist uns Menschen

ja auch bekannt – siehe spazieren, wandern, joggen.

Funktionslust dagegen weniger, wenn man die Gesichter

der mit Sport Befassten betrachtet: angestrengt, zielgerichtet,

verkniffen. Mit Ausnahme unserer Kinder natürlich;

sie hüpfen, springen, schaukeln auch ohne Ziel und Nutzen,

aber mit Vergnügen.

Das Eichhörnchen besuchte nun die Fichte im Garten

insgesamt dreimal zwischen 15 Uhr und 17 Uhr nachmittags

zu meiner großen

Freude – und kam dann leider

nicht mehr – bedauerlicherweise.

Meine Tochter

riet mir, Erdnüsse in den

Garten zu stellen. Ich tat,

wie mir empfohlen, allerdings

ohne Erfolg. Ich hatte

mir auch schon vorgestellt,

dass – sollte ich während

der Corona-Pandemie

einmal eine besuchslose

Quarantäne-Zeit zu Hause

verbringen müssen – mich

der Besuch des Eichhörnchens

mit seinen flotten

Turnübungen in und an der

Fichte sehr erheitern würde.

Aber vielleicht haben ihm

ja auch die Erdnüsse nicht

geschmeckt, weil sie nicht

aus dem richtigen Kontinent

kamen; denn, dass es

mäkelig war, hatte ich ja

schon festgestellt. Oder

es hatte einfach vergessen,

wo die große Fichte eigentlich

stand.

So ist es nun mal, das

liebenswürdige Eichhörnchen:

hübsch anzusehen,

aber auch mäkelig und

vergesslich. Was letztere Eigenschaften angeht, möchte

ich verständlicherweise nun keine Vergleiche oder gar Parallelen

feststellen. Mir bleiben dagegen Erinnerung und

Hoffnung auf ein Wiedersehen, vielleicht in diesem Herbst.

Letztendlich möchte ich noch erwähnen, dass sich

Dichterfürst Goethe ebenfalls von den Eichhörnchen

so hat beeindrucken lassen, dass er ihnen eigens ein

Gedicht gewidmet hat, an das ich mich leider nicht

mehr erinnern kann – aus altersbedingter Vergesslichkeit

natürlich, – jedoch konnten mir meine Redaktionskollegen

aushelfen.

Adelheid Knabe

O allerliebstes Eichhorn!

Schon lang steh‘ ich vor deinem,

Dir unbequemen Käfig,

Und kann nicht satt mich sehen

An deinen raschen, holden

Bewegungen und Spielen.

Ich möchte gern dich streicheln,

Doch fürcht‘ ich deine Zähne,

So scharf, so fein, wie Nadeln.

Nicht ich fürwahr, o Eichhorn,

Hab‘ dich in dies Gefängniß

Gesperrt; ich säh‘ viel lieber

Dich auf den hohen Gipfeln

Der nahen Bäume hüpfen

Mit Vögeln in die Wette.

Ich möchte gern dein Nest sehn

Mit seinen bald geschloßnen,

Bald offnen Thüren, daß ja

Kein rauher Wind die zarten,

Noch unbedeckten Kinder

Mit kaltem Hauch berühre.

O glücklich Thier! Bewohner

Von zweien Elementen!

Die Erde beut zur Nahrung

Auf niedrigen Gesträuchen

Die Fülle dir der Früchte

Und klaren Thau auf Blättern;

Und deine Freuden findest

Du auf der Eiche Gipfel

Im hohen Reich der Lüfte.

An Laurens Eichhörnchen

O, Tierchen, das mit Munterkeit

Vor meines Mädchens Fenster springet

Und dem sie selbst voll Sorgsamkeit

Im weißen Händchen Futter bringet,

Das Sprünge macht wie Pantalon

Durch seine Späße sie vergnüget

Und seiner Drolligkeit zum Lohn

Von ihr geliebt im Schoße lieget,

Das an ihr hängt, dem Busen nah,

Und ihre Rosenwangen lecket

Und das oft viele Reize sah,

Die meinem Späherblick verstecket.

Sonst bin ich wohl vom Neide frei,

Doch hier da muß ich dich beneiden,

Sie koset dich und liebt dich treu,

Bei mir verhöhnt sie meine Leiden.

O lächelte mir doch das Glück,

Ließ einen Tag mich in dich fahren,

Denn mich begnügte nicht ein Blick,

Sie würde Ledas Los erfahren.

Warum gibt uns die Betrachtung unseres heimischen

Eichhörnchens so viel Vergnügen? Weil es als die höchste

Ausbildung seines Geschlechtes eine ganz besondere

Geschicklichkeit vor Augen bringt.

Gar zierlich behandelt es ergreiflich kleine appetitliche

Gegenstände, mit denen es mutwillig zu spielen scheint,

indem es sich doch nur eigentlich den Genuß dadurch

vorbereitet und erleichtert.

Dies Geschöpfchen, eine Nuß eröffnend, besonders aber

einen reifen Fichtenzapfen abspeisend, ist höchst graziös

und liebenswürdig anzuschauen.

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