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Saargeschichten Ausgabe 58/59 (1/2-2020)

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Dieses Entree<br />

im Gebäude des<br />

heutigen Saarbrücker<br />

Landgerichtes<br />

passierten<br />

Minister, Beamte<br />

und Mitarbeiter<br />

der Regierungskommission<br />

auf<br />

dem Weg zu ihren<br />

Amtsstuben. (LA SB,<br />

Bildersammlung)<br />

ten besetzt von Alfred von Boch. Einem alten<br />

Bekannten aus Saarlouis also, der bis zum Jahresbeginn<br />

noch als Landrat des Kreises amtiert<br />

hatte und dort, wenn die Nachrichten von seiner<br />

Verabschiedung zutreffen, durchaus beliebt<br />

war. Es war wohl alles andere als ein Zufall, dass<br />

die ersten drei saarländischen Minister in der<br />

Reko aus Saarlouis stammten. Zwar wurden die<br />

Kommissare offiziell vom Völkerbundrat ernannt.<br />

Aber gerade in den frühen Zwanzigern war man<br />

dort offenkundig bereit, den französischen Wünschen<br />

nach Hegemonie in diesem Gremium zu<br />

entsprechen. Ein Kandidat aus der französischsten<br />

Stadt des Saarlandes passt jedenfalls sehr<br />

gut in diese Konstellation, die mit dem mächtigen<br />

Präsidenten Rault, dem seit Jahrzehnten in<br />

Paris lebenden Dänen Moltke-Huitfeld und dem<br />

Belgier Jaques Lambert ohnehin mehr als frankophil<br />

eingefärbt war. [27]<br />

Aber schon bei dem Wohlfahrts- und Landwirtschaftsminister<br />

von Boch wurde, wie bei seinen<br />

Nachfolgern dann auch, deutlich, dass die<br />

saarländischen Vertreter in der Reko keineswegs<br />

willfährige Mitspieler in einer von französischen<br />

Interessen gelenkten Saarpolitik sein<br />

wollten. Zum frühen Bruch der ersten Kommission<br />

kam es anlässlich der Beschlüsse über das<br />

saarländische Beamtenstatut, die erste große<br />

Bewährungsprobe der Reko seit ihrem Amtsantritt<br />

im Februar. Es ging bei dem Streit zwi-<br />

[27] Zur französischen Reko-Macht der ersten Jahre vgl.<br />

Zenner, Parteien und Politik (wie Anm. 1), S. 40f..<br />

schen Regierung und (deutschen) Beamten um<br />

soziale, um Prestige- und nicht zuletzt um politisch-nationale<br />

Fragen, ein Paket, über das man<br />

sich bis August 1920 nicht einig werden konnte,<br />

so dass am 6. August ein großer Streik fast<br />

aller saarländischer Beamten begann. Rault verhängte<br />

den Ausnahmezustand, ließ das Militär<br />

aufmarschieren, es folgte eine Woche mit den<br />

bis dahin schlimmsten Zusammenstößen im<br />

Saargebiet, mit Verhaftungen, Ausweisungen,<br />

Entlassungen. Am Tag des Streikbeginns reichte<br />

von Boch seine Demission beim Generalsekretär<br />

des Völkerbundes ein. Schon in der an diesem<br />

6. August 1920 stattfindenden Sitzung der<br />

Regierungskommission fehlte von Boch, sogar<br />

ohne Angabe von Gründen. Der saarländische<br />

Stuhl am Regierungstisch sollte damit für mehrere<br />

Wochen leer bleiben, ausgerechnet in dieser<br />

sehr turbulenten Zeit. [28]<br />

Zu viert und ohne Saarländer musste also die<br />

Reko die erste große Staatskrise durchfechten,<br />

aber vielleicht war die lange Vakanz der französischen<br />

Kommissionsführung gar nicht so unrecht.<br />

Da erst in der dritten Septemberwoche im Völkerbundrat<br />

über die Akzeptanz von Bochs Demission<br />

entschieden werden konnte und dieser wiederum<br />

nur dann selbst einen Ersatzmann benennen<br />

durfte, wenn die Gründe für sein Fernbleiben von<br />

seinen vier Kollegen akzeptiert wurden, blieben<br />

die »Internationalen« bis zur Sitzung vom 11. September<br />

unter sich. Am 25. August endlich einigte<br />

sich das Gremium darauf, dass von Bochs Fernbleiben<br />

wegen »Krankheit und aus persönlichen<br />

Gründen« akzeptabel sei und man deshalb bis zur<br />

Entscheidung des Völkerbunds mit dem von ihm<br />

benannten »Übergangsminister« arbeiten könne.<br />

Die Wahl des ehemaligen Landrats fiel nicht etwa<br />

auf einen Saarlouiser Landsmann, sondern auf<br />

den Eppelborner Bartholomäus Koßmann, ehemaliger<br />

Reichstagsabgeordneter, ehemaliges<br />

Mitglied der Weimarer National- und der preußischen<br />

Verfassungsgebenden Versammlung, einflussreicher<br />

Politiker des Zentrums. [29]<br />

[28] Zum Beamtenstreik Zenner, a.a.O., S. 50f. und den Quellentext<br />

in: Weißbuch, Nr. 143, S.213–215. Exemplarisch<br />

die Denkschrift über die ungünstige finanzielle Lage<br />

der vom Deutschen Reich, Preußen und Bayern in die<br />

Dienste der Saarregierung beurlaubten Beamten, in: LA<br />

SB, EBD 550.<br />

[29] Vgl. zu den entscheidenden Sitzungen der Reko: Commission<br />

de Gouvernement de la Sarre, Procès-verbeaux<br />

vom 6., 7., 17. und 25. August sowie vom 11. September<br />

1920, in: LA SB, NL Koßmann 1, S. 99; 112; 116; 119; 195.

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