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Saargeschichten Ausgabe 58/59 (1/2-2020)

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die ‚Götterdämmerung‘ von Wagner.«[36] Wenige<br />

Tage später geriet der junge Mann in russische<br />

Kriegsgefangenschaft und galt ab 22. Januar 1942<br />

als verschollen.<br />

»Ohne besonders großen Widerstand« –<br />

Der Vormarsch<br />

Von den eigentlichen Kriegshandlungen<br />

berichten die Brüder Ernst und Otto eher selten;<br />

die Zensur wird ihnen die Möglichkeit<br />

genommen haben. In einer Karte an den jüngsten<br />

Bruder Josef – er setzt nach dessen Namen<br />

den Begriff »Kaninchenzüchter« ins Adressfeld,<br />

um dem Jungen eine Freude zu machen – schreibt<br />

Ernst Schmeyer über das Leben auf dem Russlandfeldzug:<br />

»Ich bin heute in guter Laune und<br />

habe Bauchweh vor lauter Lachen. Hier sind wir<br />

in einem kleinen Dorf und in dem Hause machen<br />

die Mädchen ein paar russische Volkstänze. So<br />

etwas mußt Du mal sehen. Der eine spielt auf der<br />

Ballalaika (!) und die anderen singen gegenseitig<br />

und trampeln mit den Füßen und tanzen im Kreis<br />

herum.« [37]<br />

Im Dezember 1941 wird Ernst deutlicher und<br />

berichtet einer Familie Eggert vom Verlauf des<br />

Russlandfeldzuges, wie er ihn mitgemacht und<br />

erlebt hat. »Ich bin jetzt schon seit Kriegsbeginn<br />

in Rußland, und ich wäre froh, wenn wir bald aus<br />

dem Arbeiterparadies heraus können. […]. Denn<br />

hier in Rußland lebt man wie vor hundert Jahren,<br />

und das noch nicht ein mal. […] Am 22. Juni<br />

sind wir als motorisierte Division bei Tilsit über<br />

die Deutsch-Litauische Grenze, ohne besonders<br />

großen Widerstand. Durch ganz Litauen ging es<br />

schnell, und hier hieß es, nichts als fahren und<br />

am Feinde bleiben. Am Tage haben wir 100 – 150<br />

km zurückgelegt, und das auf Wegen, welche<br />

nur aus Sand und Schlaglöchern bestanden. […]<br />

Unser Vormarsch ging immer noch in dem gleichen<br />

Tempo weiter durch Lettland über die russische<br />

Grenze bis nach Pleskau [heute Pskow]. Hier<br />

wurde die Stalin-Linie durchbrochen und weiter<br />

ging es den Peizus-See bis an die Luga. Hier<br />

blieben wir 4 Wochen liegen, denn der Russe<br />

verteidigte den Fluss. Aber dieses war nicht der<br />

Grund zu unserem Stillstand. Der ganze Nachschub<br />

mußte wieder herangebracht werden.<br />

Während diese[r] 4 Wochen lag unsere Kompanie<br />

am Samra-See, und hier konnten wir es gut<br />

aushalten und unsere Wäsche wieder in die Reihe<br />

[36] Ebd. Best. 3,17. Brief von Ernst Schmeyer an seine Mutter<br />

und seine Brüder vom 9. Januar 1942.<br />

[37] Ebd. Best. 3,9. Karte von Ernst Schmeyer an Josef<br />

Schmeyer vom 27. November 1941.<br />

bringen. Das schlimmste Übel bis jetzt war der<br />

Staub und die unendlich vielen Stechmücken.<br />

Die konnten einen verrückt machen. Abends war<br />

man müde, und die Biester stachen sogar durch<br />

die Wolldecken, die man über das Gesicht zog.<br />

Wir sind dann weiter gezogen und haben die<br />

starke Verteidigungslinie bei Petersburg durchbrochen.<br />

Wir waren bis auf Sichtweite an die<br />

Stadt herangekommen. Hier wurden wir dann<br />

herausgezogen und kamen an die Mittelfront.<br />

Hier haben wir die Umfassungsschlacht bei<br />

Wjasma mitgemacht und haben dann in schnellem<br />

Vorstoß Kalinin genommen. Hier sah ich zum<br />

ersten Mal in Rußland mehrstöckige Steinhäuser,<br />

in dem aber nur Kommissare wohnten. Der Winter<br />

hat jetzt die Operationen still gelegt. An 2<br />

Tagen hatten wir schon 35° unter Null.« [38]<br />

»Mit seinem Leben bezahlt« –<br />

Mütterliche Suche nach dem Sohn<br />

Cäcilia Schmeyer sollte innerhalb von weniger als<br />

drei Jahren zwei von drei Söhnen verlieren. Ernst<br />

starb mit 21 Jahren, Otto mit 19. Als Ernst am 3. Mai<br />

1942 in russischer Kriegsgefangenschaft starb,<br />

wusste niemand von seinem Schicksal, nachdem<br />

er seit dem 22. Januar vermisst war. Ein Offizier<br />

schrieb der Mutter: »Ihr Sohn war mit einem Bautrupp,<br />

dem er seit längerer Zeit angehörte, in der<br />

Nacht vom 21. zum 22.1.42 bei einem Bataillonsstab<br />

in Krassny-Cholm, einem kleinen russischen<br />

Dorf an der Moskauer Front. Der Trupp<br />

hatte die Aufgabe, die zum Regiment führenden<br />

Fernsprechleitungen zu unterhalten. In den frühen<br />

Morgenstunden gelang es russischen Spähtrupps,<br />

unsere Posten an einer Seite des Dorfes<br />

zu überrennen und mit stärkeren Kräften in das<br />

Dorf einzudringen. Der Bataillonskommandeur<br />

mußte auf Grund dieser Lage das Absetzen vom<br />

Ort befehlen. Ihr Sohn lag nun mit seinem Trupp<br />

und mehreren Leuten des Bataillons in einem<br />

Hause an der Dorfstraße, in die die Russen mit<br />

Maschinengewehren hineinschossen. Keiner der<br />

Leute des Bataillons und auch der Kommandeur<br />

selbst nicht hat in der Hitze des entbrannten<br />

Gefechtes beobachtet, daß irgendeiner der<br />

Kameraden aus dem betreffenden Hause herausgekommen<br />

wäre. Es besteht nun – ich will es<br />

Ihnen ganz offen schreiben – die Möglichkeit, daß<br />

Ihr Junge, der ja immer zu den Tapfersten gehörte,<br />

mit den fünf Kameraden im Kampf gefallen ist,<br />

es ist jedoch auch möglich, daß er in Gefangenschaft<br />

geraten ist. Das Dorf wurde später von uns<br />

[38] Ebd. Best.3,13. Brief von Ernst Schmeyer an Familie Eggert<br />

vom 16. Dezember 1941.

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