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die ‚Götterdämmerung‘ von Wagner.«[36] Wenige<br />
Tage später geriet der junge Mann in russische<br />
Kriegsgefangenschaft und galt ab 22. Januar 1942<br />
als verschollen.<br />
»Ohne besonders großen Widerstand« –<br />
Der Vormarsch<br />
Von den eigentlichen Kriegshandlungen<br />
berichten die Brüder Ernst und Otto eher selten;<br />
die Zensur wird ihnen die Möglichkeit<br />
genommen haben. In einer Karte an den jüngsten<br />
Bruder Josef – er setzt nach dessen Namen<br />
den Begriff »Kaninchenzüchter« ins Adressfeld,<br />
um dem Jungen eine Freude zu machen – schreibt<br />
Ernst Schmeyer über das Leben auf dem Russlandfeldzug:<br />
»Ich bin heute in guter Laune und<br />
habe Bauchweh vor lauter Lachen. Hier sind wir<br />
in einem kleinen Dorf und in dem Hause machen<br />
die Mädchen ein paar russische Volkstänze. So<br />
etwas mußt Du mal sehen. Der eine spielt auf der<br />
Ballalaika (!) und die anderen singen gegenseitig<br />
und trampeln mit den Füßen und tanzen im Kreis<br />
herum.« [37]<br />
Im Dezember 1941 wird Ernst deutlicher und<br />
berichtet einer Familie Eggert vom Verlauf des<br />
Russlandfeldzuges, wie er ihn mitgemacht und<br />
erlebt hat. »Ich bin jetzt schon seit Kriegsbeginn<br />
in Rußland, und ich wäre froh, wenn wir bald aus<br />
dem Arbeiterparadies heraus können. […]. Denn<br />
hier in Rußland lebt man wie vor hundert Jahren,<br />
und das noch nicht ein mal. […] Am 22. Juni<br />
sind wir als motorisierte Division bei Tilsit über<br />
die Deutsch-Litauische Grenze, ohne besonders<br />
großen Widerstand. Durch ganz Litauen ging es<br />
schnell, und hier hieß es, nichts als fahren und<br />
am Feinde bleiben. Am Tage haben wir 100 – 150<br />
km zurückgelegt, und das auf Wegen, welche<br />
nur aus Sand und Schlaglöchern bestanden. […]<br />
Unser Vormarsch ging immer noch in dem gleichen<br />
Tempo weiter durch Lettland über die russische<br />
Grenze bis nach Pleskau [heute Pskow]. Hier<br />
wurde die Stalin-Linie durchbrochen und weiter<br />
ging es den Peizus-See bis an die Luga. Hier<br />
blieben wir 4 Wochen liegen, denn der Russe<br />
verteidigte den Fluss. Aber dieses war nicht der<br />
Grund zu unserem Stillstand. Der ganze Nachschub<br />
mußte wieder herangebracht werden.<br />
Während diese[r] 4 Wochen lag unsere Kompanie<br />
am Samra-See, und hier konnten wir es gut<br />
aushalten und unsere Wäsche wieder in die Reihe<br />
[36] Ebd. Best. 3,17. Brief von Ernst Schmeyer an seine Mutter<br />
und seine Brüder vom 9. Januar 1942.<br />
[37] Ebd. Best. 3,9. Karte von Ernst Schmeyer an Josef<br />
Schmeyer vom 27. November 1941.<br />
bringen. Das schlimmste Übel bis jetzt war der<br />
Staub und die unendlich vielen Stechmücken.<br />
Die konnten einen verrückt machen. Abends war<br />
man müde, und die Biester stachen sogar durch<br />
die Wolldecken, die man über das Gesicht zog.<br />
Wir sind dann weiter gezogen und haben die<br />
starke Verteidigungslinie bei Petersburg durchbrochen.<br />
Wir waren bis auf Sichtweite an die<br />
Stadt herangekommen. Hier wurden wir dann<br />
herausgezogen und kamen an die Mittelfront.<br />
Hier haben wir die Umfassungsschlacht bei<br />
Wjasma mitgemacht und haben dann in schnellem<br />
Vorstoß Kalinin genommen. Hier sah ich zum<br />
ersten Mal in Rußland mehrstöckige Steinhäuser,<br />
in dem aber nur Kommissare wohnten. Der Winter<br />
hat jetzt die Operationen still gelegt. An 2<br />
Tagen hatten wir schon 35° unter Null.« [38]<br />
»Mit seinem Leben bezahlt« –<br />
Mütterliche Suche nach dem Sohn<br />
Cäcilia Schmeyer sollte innerhalb von weniger als<br />
drei Jahren zwei von drei Söhnen verlieren. Ernst<br />
starb mit 21 Jahren, Otto mit 19. Als Ernst am 3. Mai<br />
1942 in russischer Kriegsgefangenschaft starb,<br />
wusste niemand von seinem Schicksal, nachdem<br />
er seit dem 22. Januar vermisst war. Ein Offizier<br />
schrieb der Mutter: »Ihr Sohn war mit einem Bautrupp,<br />
dem er seit längerer Zeit angehörte, in der<br />
Nacht vom 21. zum 22.1.42 bei einem Bataillonsstab<br />
in Krassny-Cholm, einem kleinen russischen<br />
Dorf an der Moskauer Front. Der Trupp<br />
hatte die Aufgabe, die zum Regiment führenden<br />
Fernsprechleitungen zu unterhalten. In den frühen<br />
Morgenstunden gelang es russischen Spähtrupps,<br />
unsere Posten an einer Seite des Dorfes<br />
zu überrennen und mit stärkeren Kräften in das<br />
Dorf einzudringen. Der Bataillonskommandeur<br />
mußte auf Grund dieser Lage das Absetzen vom<br />
Ort befehlen. Ihr Sohn lag nun mit seinem Trupp<br />
und mehreren Leuten des Bataillons in einem<br />
Hause an der Dorfstraße, in die die Russen mit<br />
Maschinengewehren hineinschossen. Keiner der<br />
Leute des Bataillons und auch der Kommandeur<br />
selbst nicht hat in der Hitze des entbrannten<br />
Gefechtes beobachtet, daß irgendeiner der<br />
Kameraden aus dem betreffenden Hause herausgekommen<br />
wäre. Es besteht nun – ich will es<br />
Ihnen ganz offen schreiben – die Möglichkeit, daß<br />
Ihr Junge, der ja immer zu den Tapfersten gehörte,<br />
mit den fünf Kameraden im Kampf gefallen ist,<br />
es ist jedoch auch möglich, daß er in Gefangenschaft<br />
geraten ist. Das Dorf wurde später von uns<br />
[38] Ebd. Best.3,13. Brief von Ernst Schmeyer an Familie Eggert<br />
vom 16. Dezember 1941.