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saargeschichte|n 49<br />
Schwurs hat das Saarland aber nicht exklusiv. In<br />
der politischen Agitation der Schweiz erlebte der<br />
Rütlischwur vor allem während der Geistigen<br />
Landesverteidigung einen Höhepunkt. Die Geistigen<br />
Landesverteidigung war eine politisch-kulturelle<br />
Bewegung von den 1930er bis in die 60er<br />
Jahre, die »schweizerische« Werte stärken und<br />
das Land gegen die Bedrohung von Nationalsozialismus,<br />
Faschismus und später Kommunismus<br />
schützen sollte. Freilich war die Bewegung<br />
nicht vor faschistischen Tendenzen sicher. Beinahe<br />
zeitgleich warb die »Nationale Front« im<br />
Kanton Bern zu den Grossrats- und Regierungsratswahlen<br />
mit der Schwurhand. Beide<br />
Bewegungen waren in ihrer politischen Haltung<br />
identisch. Auch die »Nationale Front« lehnte sich<br />
an die NSDAP an und machte aus ihrer Liebe<br />
zum Nationalsozialismus keinen Hehl. [9] Statt<br />
schwarz-weiß-rot sollte auf dem Plakat eine rote<br />
Schwurhand samt weißem Kreuz die patriotischem<br />
Gefühle ansprechen. In beiden Plakatbeispielen<br />
ging der freiheitsstrebende Schwur und<br />
der Nationalsozialismus eine unheilvolle Symbiose<br />
ein.<br />
Die Gegner der Rückgliederung des Saarlandes<br />
traten für den Staus Quo ein. Sie mussten im<br />
Abstimmungskampf gegen eine Welle des<br />
[9] Jakob Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert,<br />
München 2015, S. 234.<br />
Nationalgefühls ankämpfen. Da die<br />
Befürworter einer Rückkehr zum Großdeutschen<br />
Reich die nationale Unzuverlässigkeit<br />
der Linken betonten,<br />
mussten die Anhänger des Status Quo<br />
ihre Liebe für die Heimat und ihr nationales<br />
Bekenntnis unter Beweis stellen.<br />
»Nur Status Quo schützt unsere<br />
Heimat« verkündet das bekannteste<br />
Plakat der Einheitsfront aus Sozialisten,<br />
Antifaschisten und Kommunisten.<br />
Wie auch ihre politische Kontrahenten<br />
vertrauten sie der Wirkmacht der<br />
Schwurhand. Mit ihr in tiefer Nacht<br />
über einem stilisierten Saargebiet<br />
voller Kirchtürme und Fördergerüste<br />
wollten sie die Propaganda der Gegner<br />
vereinnahmen und das Nationalgefühl<br />
von links instrumentalisieren.<br />
In der Schweizer Plakatgeschichte ist<br />
es keine Seltenheit, dass dasselbe Plakatsujet<br />
während einer Abstimmung<br />
von rechts, wie auch von links vereinnahmt<br />
wird. [10] Der Rütlischwur<br />
hat viele Zungen. Er ist länderübergreifend<br />
offen für unterschiedliche, mitunter<br />
divergierende Interpretationen. Auch an der<br />
Saar.Auch auf ihrem Plakat »Volksfront für Status<br />
Quo« stellte die Einheitsfront den schweizerischen<br />
Gründungsmythos in ihre Sache. Die<br />
drei Eidgenossen wurden ab dem 18. Jahrhundert<br />
zu einem beliebten Motiv im eidgenössischen<br />
Kunstschaffen. Eine der prominentesten Visualisierungen<br />
der freiheitsgewillten Eidgenossen<br />
ist sicherlich Johann Heinrich Füsslis Gemälde<br />
»Die drei Eidgenossen beim Schwur auf dem<br />
Rütli« von 1781. Anfang des 20. Jahrhunderts vollzog<br />
sich die schrittweise Ablösung vom konkreten<br />
Ort und die Ausdrucksfähigkeit der Gruppe<br />
wurde für einen allgemeinen politischen Kontext<br />
vereinnahmt. [11] Auf dem Plakat des Status-Quo-<br />
Bündnisses haben die drei Schwörenden ihre historische<br />
Kleidung zugunsten des »Dresscodes«<br />
der vorkriegszeitlichen Drei-Klassen-Gesellschaft<br />
eingetauscht. Sie verkörpern die Vereinigung des<br />
Bürgertums, der Arbeiter- und der Bauernschaft.<br />
In ähnlicher Tonlage hat Friedrich Schiller in sei-<br />
[10] Siehe hierzu etwa: Bruno Margadant, Das Schweizer Plakat:<br />
1900–1983, Basel 1983 oder auch Bruno Margadant,<br />
»Für das Volk – gegen das Kapital«: Plakate der schweizerischen<br />
Arbeiterbewegung von 1919 bis 1973: 99 Plakate,<br />
Zürich 1973.<br />
[11] Florian Bührer, Die Ikonographie Schweizer Abstimmungsplakate,<br />
Berlin 2015, S. 49.<br />
Anonym, Volksfront<br />
für Status<br />
Quo, Auftraggeber:<br />
Status-quo-Bündnis,<br />
1934, Schwarzer<br />
Druck auf weißem<br />
Grund, 91 x 61 cm.<br />
(Hoover Institution<br />
Library & Archives,<br />
Stanford University,<br />
XX343.8994)