GLASWELT Sonderheft Montagepraxis 2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Foto: IVRSA<br />
Foto: Olaf Vögele<br />
Das Berechnen der Auszugskräfte für die richtige<br />
Auswahl der Befestigungsmittel ist kein Hexenwerk.<br />
Die Richtlinie des IVRSA hilft hier sehr effektiv.<br />
Schnell übersehen, noch schneller ein Problem. Die Nichteinhaltung von Rand- oder Bohrlochabständen<br />
führt unweigerlich zu Reduzierung der berechneten Lasten und damit zu fehlerhaften oder gar gefährlichen<br />
Montagen. Ein Detail, das viele Fachbetriebe leider nicht sehr ernst nehmen.<br />
Gleichzeitig ändert sich stetig die Bauweise von Häusern. Waren es in den<br />
70er-Jahren noch die Betonbauten und Kalksandsteine, kam danach der<br />
Gasbeton, gefolgt von den Hochlochziegeln und WDVS. Heute entwickeln<br />
die Mauersteinhersteller fragile Steinelemente, die auf der einen Seite hervorragende<br />
Dämmwerte produzieren, man auf der anderen Seite aber keine<br />
hohen Auszugskräfte pro Befestigungspunkt mehr realisieren kann, wenn<br />
es um auskragende Lasten wie z. B. bei Markisen geht.<br />
Und dann gibt es noch die Ständerbauwerke und die Fertighäuser, die mehr<br />
und mehr in Mode kommen. Und „Last but not least“ das Thema Gesetze,<br />
Normen, Vorschriften und Richtlinien etc., wie z. B. die EnEV, die ständig geändert<br />
und verschärft wird. Auf den Punkt gebracht: Was vor 30 Jahren gültig<br />
war, kann man heute (fast) vergessen, wenn man an einen aktuellen<br />
Neubau mit Passivhausbauweise kommt.<br />
Wissen ist Macht<br />
Während sich die Gebäude und Vorschriften stetig weiter entwickeln, bleiben<br />
diese Steps im Bereich der Handwerker leider zu oft aus. Reden wir mal<br />
nicht von den oberen 20 Prozent der Fachbetriebe, die das Thema Weiterentwicklung<br />
im Griff haben und auf der Höhe der Zeit sind. Es geht um die<br />
restlichen 80 Prozent, die leider zu oft der Meinung sind, dass gepflegtes<br />
Halbwissen ausreicht. Das führt in vielen Fällen zur Selbstüberschätzung<br />
von eigenen Fähigkeiten und verleitet zur Annahme von Aufträgen, die<br />
dann nicht hundertprozentig abgewickelt werden können.<br />
Betrachtet man die derzeitige Entwicklung in verschiedenen Internetforen,<br />
so kann man hier zwei unterschiedliche Vorgehensweisen feststellen. Die<br />
einen nehmen an Diskussionen teil, murren zwar über die erhöhten Anforderungen,<br />
nehmen aber dann Ratschläge und Empfehlungen, die aus einer<br />
Mischung von Erfahrung, Normen und Richtlinien resultieren an und setzen<br />
diese dann mehr oder weniger um. Die anderen finden eine gemeinsame<br />
Lösung, die allen zusagt und verweisen auf die bisherigen Erfahrungen.<br />
Regelwerke wie Normen und Richtlinien werden hier eher als Behinderung<br />
oder Bedrohung gesehen, denn es hat ja schließlich die letzten 30<br />
Jahre auch funktioniert. Gezielte Weiterbildung findet beim Suchen einer<br />
gemeinsamen Lösung also nicht unbedingt statt.<br />
rechnen, statt aus dem bauch heraus zu handeln<br />
Ein klassisches Thema ist die Wahl und die Menge der Befestigungsmittel.<br />
Würde man alle Markisenbestellungen in Deutschland analysieren, könnte<br />
man schnell auf die Idee kommen, dass fast 90 Prozent der Markisen auf<br />
Beton montiert werden sollen. Warum ist das so? Die Lösung ist eigentlich<br />
ganz einfach. Die vielfältigen Hilfen der Hersteller werden zu oft nicht genutzt<br />
und das Nachrechnen von statischen Kräften wie Auszugslasten werden<br />
als zu kompliziert empfunden. Leider setzen sich viele der Fachbetriebe<br />
erst gar nicht mit dem Thema auseinander und entscheiden lieber „Pi mal<br />
Daumen“, und da ist es wieder, dieses „das machen wir seit 30 Jahren so“.<br />
Setzt man sich mit den Beispielen in der Montagerichtlinie des ITRS/IVRSA<br />
auseinander und folgt den Rechenbeispielen, zeigt sich sehr schnell wie einfach<br />
es eigentlich ist, eine Markise sauber zu berechnen oder Befestigungspunkte<br />
so anzupassen, dass man mit den niedrigen Auszugskräften der heutigen<br />
Mauersteine auch gut hinkommt. Bei Sonderkonsolen sollte generell<br />
darauf geachtet werden, dass diese beim Hersteller mitbestellt oder von einem<br />
nach Eurocode zertifizierten Unternehmen hergestellt werden.<br />
Der Monteur zwischen den fronten<br />
Das große Dilemma zeigt sich beim Monteur. Ungeachtet seiner Ausbildung<br />
befindet er sich in einer eigentlich unangenehmen Situation, da er<br />
weisungsgebunden arbeitet, aber auch für sein Handeln selbst verantwortlich<br />
gemacht werden kann. Wenn es zum Schaden kommt, gilt die Ausrede,<br />
„das hat mein Chef so gesagt“ leider nicht und der Monteur muss die Konsequenzen<br />
seines Handelns mittragen. Ganz abgesehen davon, kann man<br />
bei vor Gericht verhandelten Schadensfällen immer wieder feststellen, dass<br />
die Monteure zu oft mit einem mulmigen Gefühl nach Hause gehen, weil<br />
sie Angst haben sich den Vorgaben ihrer Chefs zu widersetzen und andere<br />
Vorschläge ins Spiel zu bringen. Leidtragender ist in vielen Fällen natürlich<br />
auch der Kunde, weil er nach Jahren eine teure Neumontage bezahlen<br />
muss. Aber genau dieses Dilemma muss gar keines sein, wenn die Monteure<br />
weitergebildet werden. Dann kann sich der Chef sicher sein, dass bei einem<br />
Einwand des Monteurs diesem auch zu folgen ist. —<br />
Olaf Vögele<br />
<strong>Sonderheft</strong> <strong>Montagepraxis</strong> | glaswelt 69