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man auch über die großen Gefühle<br />
sprechen. Du meintest damit aber<br />
nicht etwa Mitgefühl, sondern Wut.<br />
Ich finde es wichtig, der Wut Raum<br />
zu geben, weil sie wie jedes Gefühl<br />
Raum braucht. Gerade Frauen laufen<br />
Gefahr, die zurückgehaltene Aggression<br />
gegen sich selbst zu richten –<br />
weil Wut eine Emotion ist, die ihnen<br />
oft nicht erlaubt wurde. Wut zeigt einem,<br />
wo etwas Ungerechtes passiert.<br />
Was macht dich wütend?<br />
Sehr vieles. Dass unsere Welt alles<br />
und jeden stereotypisieren will.<br />
Massentierhaltung. Die Zerstörung<br />
der Wälder. Oder wenn ich dafür angegangen<br />
werde, dass ich für meine<br />
Wohnung ein gebrauchtes Ikea-Regal<br />
kaufe, weil ich damit angeblich die<br />
Massenmöbel-Produktion unterstütze.<br />
Das macht mich wütend, denn es<br />
ist Kritik an der falschen Stelle. Zuallererst<br />
sollte man die angehen, die<br />
es den Unternehmen leicht machen,<br />
schnell und billig zu produzieren.<br />
Laut Studien erleben Menschen, die<br />
sich ehrenamtlich engagieren, mehr<br />
Gegenwind als Leute, die nichts tun.<br />
Kannst du das bestätigen?<br />
Ja. Als ich noch über Fast Fashion<br />
geschrieben habe, gab’s keine bösen<br />
Kommentare. Aber ich sage mal<br />
so: Wenn man sich von der Idee<br />
verabschiedet, dass alle immer nett<br />
zueinander sein werden, ist das<br />
recht befreiend. Trotzdem nehme ich<br />
manchmal Supervision und Coaching<br />
in Anspruch, um zu lernen, mich noch<br />
besser abgrenzen zu können.<br />
Neben Liebe und Wut ist ein weiteres<br />
Schlüsselthema für dich<br />
Ehrlichkeit. Warum?<br />
Ich glaube, wenn wir alle ehrlicher<br />
wären, hätten wir viele Probleme<br />
nicht: Korruption, Ressourcenverschwendung,<br />
Misstrauen in der<br />
Politik. Würden die Menschen zum<br />
Beispiel zugeben, „Hey, ich hab total<br />
Angst. Diese Sache mit dem Klima ist<br />
so komplex – ich verstehe nicht, was<br />
da passiert“, wäre es leichter, in einen<br />
Dialog zu treten, als wenn sich jemand<br />
im stillen Kämmerchen fürchtet und<br />
sich eine Verschwörungserzählung als<br />
Ventil sucht. Dann wird es schwierig,<br />
zu kommunizieren.<br />
Du hast in kurzer Zeit viel bewegt.<br />
Warum schaffen das deiner Meinung<br />
nach nicht auch Konzerne?<br />
Ich glaube, bei vielen hapert es daran,<br />
„Ich will zeigen:<br />
Ja, man kann ethisch<br />
und ökologisch verantwortungsbewusst<br />
ein Unternehmen<br />
aufziehen.“<br />
dass sie sich keine Hilfe holen. Sie meinen, sie<br />
hätten das Know-how innerhalb ihres Unternehmens<br />
und müssten alles selbst lösen. Und so<br />
passiert es, dass man den immer gleichen CEOs<br />
zuhört. Meine Frage ist: Wieso holt ihr euch nicht<br />
Nachhaltigskeits-ExpertInnen und beratende<br />
NGOs ins Boot? Neuer Input ist wichtig – denn<br />
darauf beruht ja Innovation. Bei dariadéh, meinem<br />
Mode label, arbeite ich etwa mit einer Agentur<br />
für nachhaltige Textilentwicklung zusammen,<br />
um nach neuen Rohstoffen zu suchen.<br />
Wie tief tauchst du in die Materie ein?<br />
Bist du bei dariadéh in jeden Knopf involviert?<br />
Ja, bis ins kleinste Detail. Es ist irre aufwendig,<br />
ein ökofaires Kleidungsstück herzustellen. Was<br />
mir hilft: Durch meine Blog-Erfahrung habe ich<br />
gelernt, vieles aus dem Blickwinkel der Kundin<br />
zu sehen. Mit diesem Wissen kann ich ganz<br />
andere Produkte entwickeln.<br />
Was heißt „andere“?<br />
Wir arbeiten viel mit Materialien, die wenig<br />
im konventionellen Bereich eingesetzt werden.<br />
Lyocell zum Beispiel, eine aus Zellulose bestehende<br />
Faser. Oder wir verwenden ein Garn,<br />
das schadstofffrei in der Natur zerfallen kann.<br />
Oder: Steinnüsse werden zu Knöpfen geschliffen.<br />
Das erfordert natürlich mehr Testläufe, in denen<br />
geprüft wird, wie das Gewebe aufs Waschen<br />
reagiert, aufs Färben, auf Reibung. Das Streben<br />
nach Perfektionismus muss man da ablegen.<br />
Es wird Reklamationen geben, aber am Ende<br />
bringt mich das weiter.<br />
Wie viel Idealismus braucht es, um ein<br />
nachhaltiges Business aufzuziehen?<br />
Sehr viel – zumal es bis jetzt noch keine steuerlichen<br />
Anreize gibt. Dabei sollte es meiner<br />
Mei nung nach genau umgekehrt sein: Jemand,<br />
der schlecht produziert und unfaire Arbeitsbedingungen<br />
schafft, sollte mehr Steuern zahlen<br />
müssen als jemand, der nachhaltig produziert.<br />
Trotzdem habe ich die Vision, dariadéh zu einem<br />
Konkurrenten für Fast Fashion und vor allem skalierbar<br />
zu machen. Ich will zeigen: Ja, man kann<br />
ethisch und ökologisch verantwortungsbewusst<br />
ein Unternehmen aufziehen.<br />
INNOVATOR 29