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Und diese Funktion des Schlafs kann<br />
man nutzen. Wenn er eine wichtige <strong>Red</strong>e<br />
halten muss, liest Born sich das Skript<br />
vor dem Einschlafen laut vor.<br />
Nach zwei Wochen des Schlaf-Experiments<br />
fühle ich mich nicht un bedingt<br />
ausgeschlafen, aber gut, weil ich meine<br />
Müdigkeit nicht hinnehme, sondern<br />
versuche, durch minimalinvasives Biohacking<br />
mein Leben (und meine Lebenserwartung)<br />
zu verbessern. Auf den ersten<br />
Blick sind Hightech und guter Schlaf<br />
zwar ein Widerspruch. „The future of<br />
sleep is a return to the past“ – die<br />
Zukunft des Schlafens liegt in einer Rückkehr<br />
in die Vergangenheit, schreibt auch<br />
Matthew Walker. Der Mensch müsse<br />
wieder lernen, wie ein Tier zu schlafen –<br />
einfach regelmäßig und ausreichend die<br />
Augen schließen, im Einklang mit der<br />
inneren Uhr. Schlaf-Papst Walker sagt:<br />
„Eine Möglichkeit, eine gesunde neue<br />
Gewohnheit dauerhaft zu leben, ist die<br />
Auseinandersetzung mit den eigenen<br />
Daten.“ Selbst wenn man so die Schlafmenge<br />
nur um 15 Minuten pro Tag<br />
erhöhe, mache dies einen signi fikanten<br />
Unterschied über die gesamte Lebensspanne<br />
aus und würde Billionen von<br />
Dollar in der Weltwirtschaft ein sparen,<br />
schreibt er in „Why We Sleep“.<br />
D<br />
ie Zukunft des Schlafs kann man<br />
schon heute im Weltraum bewundern.<br />
Die Astronauten der International<br />
Space Station (ISS) litten<br />
lange unter Schlaflosigkeit, weil sie<br />
alle 90 Minuten um die Erde rasen<br />
und so in 24 Stunden 16 Son nenauf-<br />
und -untergänge erleben. Die<br />
NASA installierte deshalb spezielle Lampen<br />
in der Raumstation, die die sich verändernde<br />
Lichtstimmung eines Erdentages<br />
simulieren. Diese Technologie kostete<br />
die NASA bestimmt Unsummen – aber<br />
weil es bald erschwingliche Geräte geben<br />
wird, die den Schlaf und den zirkadianen<br />
Rhythmus einer Person aufzeichnen, kann<br />
man diese mit Smart-Home-Lösungen<br />
verbinden. Schlafforscher träumen von<br />
einem Haus, in dem alle Bildschirme und<br />
Leuchtmittel über den Biorhythmus des<br />
Bewohners informiert sind – und, je näher<br />
die Schlafenszeit rückt, das blaue<br />
Licht durch rotes, warmes Licht ersetzen.<br />
Das Smart Home kommuniziert direkt<br />
mit unserem vegetativen Nervensystem.<br />
Wir alle werden Terranauten in unserer<br />
maßgeschneiderten Raum-Station sein.<br />
Die größten Fortschritte für den Schlaf<br />
werden allerdings nicht im Weltraum<br />
und Hightech-Laboren erreicht, sondern<br />
IN DER NACHT SICKERN<br />
NEUE DATEN INS<br />
LANGZEITGEDÄCHTNIS.<br />
auf der Schulbank. „Wir unterrichten Kinder und Jugendliche<br />
in Sexualität und Ernährung“, sagt Jan Born,<br />
Schlaf hingegen tauche in den Lehr büchern kaum auf.<br />
Zwar könne jeder Einzelne auf sein Verhalten achten,<br />
aber am Ende seien Veränderungen auf der gesellschaftlichen<br />
Ebene nötig. Es sei ja absurd, wenn man den Kindern<br />
in der Schule erklärt, dass es Menschen gibt, die<br />
eher Frühaufsteher (Lerchen) oder eher Nachtmenschen<br />
(Eulen) sind – und der Schulgong trotzdem für<br />
alle um 8 Uhr läutet. Warum also nicht: Unterricht zwischen<br />
10 und 16 Uhr? Gleitzeit in der Schule? Individualisierte<br />
Stundenpläne? Eine ähnliche Flexibilität müsste<br />
genauso auf dem Arbeitsmarkt ent stehen. Vielleicht<br />
ist die aktuelle Homeoffice-Erfahrung ein guter Impuls.<br />
In einer Kernzeit zwischen 12 und 15 Uhr finden die<br />
meisten (Video-)Konferenzen statt – ansonsten organisieren<br />
sich alle die Arbeit nach ihren Bedürfnissen.<br />
Vor ein paar Jahren hätte ich mit einem Sleep Score von<br />
69 noch im Büro angeben können: Guckt, was für ein<br />
harter Workaholic ich bin! Durch den Achtsamkeitstrend<br />
ändert sich das. Der US-Gesundheitskonzern Aetna<br />
etwa zahlt Mitarbeitern eine Prämie, wenn sie mehr<br />
als 20 Nächte am Stück mehr als 7 Stunden schlafen –<br />
maximal 500 Dollar. Auch Matthew Walker denkt über<br />
ein „sleep credit system“ nach, in dem Unter nehmen vernünftiges<br />
Schlafmanagement durch Boni oder zusätzliche<br />
Urlaubstage belohnen könnten. Dazu müsste man<br />
seinen Sleep Score allerdings mit dem Arbeitgeber teilen<br />
oder mit der Krankenkasse – datenschutztechnisch<br />
eine gruselige Vorstellung. Aus medi zinischer Sicht aber<br />
interessant, um Schlafstörungen mit therapeutischen<br />
Apps und Schulungen zu bekämpfen. Meine Schlaf-App<br />
bietet bereits die Funktion an, meine Daten mit meinem<br />
Arzt zu teilen. Wir leben in der Gegenwart der Zukunft.<br />
In der vierten Woche erreiche ich einen Score im grünen<br />
Bereich. 92. Obwohl ich nur 7 Stunden und 3 Minuten<br />
in Morpheus’ Armen war. Weil ich regelmäßig ins Bett<br />
gehe, weniger Alkohol trinke und das Smartphone in<br />
der letzten wachen Stunde nicht mehr anfasse. „Was<br />
könnten wir noch machen?“, frage ich Professor Born.<br />
„Eine aktuelle Innovation“, erklärt er, „sind Sensoren-<br />
Bänder, die man sich um den Kopf legt und die die langsamen<br />
EEG-Wellen des Tiefschlafs messen. Damit kann<br />
man dann, präzise auf diese langsamen Wellen getaktet,<br />
das Gehirn stimulieren, um gezielt den Schlaf zu vertiefen.“<br />
So könne man bald Menschen mit Schlafstörungen<br />
besser helfen als mit Medikamenten. Eine Zukunft, in<br />
der wir alle verkabelt und mit Metallbändern um den<br />
Kopf im Bett liegen, sieht Born trotzdem nicht. „Die Daten<br />
sind alle gut und schön“, sagt er, „aber wer zu viel<br />
Kontrolle ausüben will, bleibt wach. Wir müssen lernen,<br />
uns fallen zu lassen.“ Das wäre wirklich ein Traum.<br />
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