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nachhaltig KULTUR JOKER 25

Windkraft und Infraschall

Ein Lügengebäude zerfällt zu Staub

Man kennt es vom Brexit oder

der Trump-Wahl-Kampagne: Mit

den Informationen, die arglose

Nutzer:innen freigiebig an Datenhungrige

Internet-Konzerne geben,

wird ein Persönlichkeitsprofil

erstellt. Ähnlich wie die neugierigen

Nachbar:innen, die hinter

der Gardine alles mitbekommen,

„kennt“ nun die Datenkrake ihre

Pappenheimer und kann ihnen

gezielt Werbung und Unwahrheiten

auf den Bildschirm schicken.

Solche sogenannten Dark

Ads (Werbung im Verborgenen)

können unbemerkt in bestimmten

Kreisen zirkulieren, da diejenigen,

die es korrigieren könnten

oder hinter deren Rücken Lügen

verbreitet werden, gezielt vom

Informationsfluss ferngehalten

werden. Diese Form der digitalen

Wahlmanipulation wurde

bekannt als Cambridge Analytica

und Facebook damit aufflogen.

Doch Social Profiling und (Wahl-

) Manipulation funktioniert auch

im analogen Leben. Intrigante

Menschen, die Gerüchte über ihre

Mitmenschen verbreiten, um sich

einen persönlichen Vorteil zu verschaffen,

sind allseits bekannt. Sie

kommen ganz ohne elektronische

Datensammelfunktion aus, denn

sie kennen ihre Mobbing-Opfer

und auch diejenigen, bei denen

die Lügengeschichten verfangen

sollen.

Die analoge Kombination von

Social Profiling und Dark Ads

machen sich auch Gegner:inen der

Erneuerbaren Energien, insbesondere

der Windkraft zunutze. Jede:r

aus der Umgebung bekommt maßgeschneidert

seine persönliche

Angstmacher-Geschichte aufgetischt:

die Landwirtin bekommt

zu hören, dass ihre Kälber krank

werden, dem Gastwirt wird erzählt,

dass die Touristen wegbleiben,

den neuen Eigenheimbesitzern

wird gedroht, dass die

Immobilie bald nichts mehr wert

sei, Nerz-, Pferde- Tauben- oder

Kaninchen-Züchter:innen bekommen

eine spezielle Drohkulisse

für ihre jeweilige Tierart serviert.

Und diejenigen, die schon einmal

über ihre Krankheitsgeschichte

erzählt haben, bekommen für exakt

diese Krankheit eine Ansage,

wie viel schlimmer ihr persönliches

Leiden durch den Infraschall

wird. Hyperaktive Eiferer

haben das Potenzial ganze Dorfgemeinschaften

zu sprengen. Das

zerrissene Dorf „Unterleuten“ aus

dem gleichnamigen Roman ist

überall. Zum Glück kann an dieser

Stelle Entwarnung gegeben

werden. Ein besonders aufwändig

konstruierter Sprengsatz zündet

nicht mehr. Das Windkraft-Infraschall-Lügengebäude

zerfällt

gerade zu Staub, denn es basiert

auf einer Studie, deren grobe Rechenfehler

nun endlich durch die

bundesweite Berichterstattung

bekannt werden. Seit der Veröffentlichung

im Jahr 2009 hausieren

mit der fehlerhaften Studie

über den „unhörbaren Schall von

Wer sich in der Nähe von Windrädern vor Infraschall fürchtet, sollte nie wieder in ein Auto steigen,

zum Selbstschutz und aus Rücksicht auf Menschen, die an Straßen wohnen. Der Infraschall

(< 20Hz) in einem Auto bei 130km/h kann bis zu 50 dB stärker sein, als ein 150 m entferntes

Windrad.

Foto: Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg LUBW https://pd.lubw.de/47998

Die Seiten NACHHALTIG werden unterstütz von:

Vorbild für digitale Dark Ads und Mikrotargeting aus dem analogen Leben: hinter vorgehaltener

Hand verbreitete Gerüchte. Da die digitale Gerüchteküche Populisten in die Hände spielt, ist zu

erwarten, dass mit solchen Methoden auch hier Meinungsmanagement und Wahlkampf betrieben

wird.

Foto: Eva Stegen

Windkraftanlagen“ dienstbeflissene

Windkraftgegner:innen. Die

fragliche Studie wurde von einer

Bundesbehörde erstellt, die direkt

dem Wirtschaftsministerium

unterstellt ist, der Bundesanstalt

für Geowissenschaften und Rohstoffe

(BGR). Immerhin hat Wirtschaftsminister

Altmaier inzwischen

eingeräumt, dass »Welten«

zwischen den BGR-Zahlen lägen

und dem, »was tatsächlich der Fall

ist« und sich dafür entschuldigt,

dass durch diese falschen Angaben

die Akzeptanz der Windkraft

gelitten habe.

Doch bis dahin war es ein langer

Weg. Aufgespürt hatte die Behörden-Posse

der Wissenschaftler

Dr. Stephan Holzheu von der

Universität Bayreuth. Allerdings

hat er die Physik dahinter derart

gut verstanden, dass durch seine

Erklärungen zunächst nur wenige

die Dramatik des Fehlers verstanden.

Wer zuckt schon spontan

zusammen bei einer Differenz

von 36 Dezibel*? Zum besseren

Verständnis argumentierte er mit

Me-ssdaten einer Fachbehörde aus

Baden-Württemberg (LUBW),

die stärkeren Infraschall an Straßen

und im Auto aufzeigten: wer

sich in der Nähe von Windrädern

vor Infraschall fürchte, »sollte

nie wieder in ein Auto steigen«.

Holzheu bezifferte den »schwerwiegenden

Rechenfehler« der

BGR »auf einen Faktor 1.000 bis

10.000«. Da kaum ein Laie nachvollziehen

kann, wie gravierend

dieser Fehler ist, verglich er es mit

einem Brot, das auf seiner Waage

1 kg wiegt, während die BGR-

Waage für dasselbe Brot 1000 kg

anzeigt.

Anfangs suchte er den offenen

Austausch mit den BGR-

Studien-Autoren, wie es unter

Wissenschaftler:innen üblich ist,

weil man schließlich der Wahrheit

verpflichtet ist. Gute wissenschaftliche

Praxis ist es, die

eigenen Materialien und Methoden

öffentlich zu machen, damit

dasselbe Experiment überall

nachgekocht werden kann, was

unter gleichen Bedingung zu

den gleichen Ergebnissen führen

sollte. Doch statt eines seriösen

Austauschs gab‘s zur Einschüchterung

einen Anruf beim Vorgesetzten

und die Androhung

rechtlicher Schritte. Der Sensortechniker

Holzheu schrieb dutzende

Mails um die Ungereimtheiten

aufzuklären. Die von ihm

angefachte Debatte hinterlässt

beeindruckende Spuren im Internet

und auch im Blätterwald. Das

offensichtliche Bedauern aus der

Pro-Atomkraft-Szene darüber,

dass die Windkraftgegner mit

dem BGR-Schuldeingeständnis

ihre härteste Keule verlieren, ist

bemerkenswert.

* Schallintensitäten werden

auf einer logarithmischen Skala

dargestellt: 10 Dezibel mehr bedeuten

einen zehnmal so lauten

Schall, 20 Dezibel mehr bedeuten

einen hundertmal so lauten Schall

(10 x 10 = 100).

Eva Stegen

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