flip-Joker_2021-06
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nachhaltig KULTUR JOKER 25
Windkraft und Infraschall
Ein Lügengebäude zerfällt zu Staub
Man kennt es vom Brexit oder
der Trump-Wahl-Kampagne: Mit
den Informationen, die arglose
Nutzer:innen freigiebig an Datenhungrige
Internet-Konzerne geben,
wird ein Persönlichkeitsprofil
erstellt. Ähnlich wie die neugierigen
Nachbar:innen, die hinter
der Gardine alles mitbekommen,
„kennt“ nun die Datenkrake ihre
Pappenheimer und kann ihnen
gezielt Werbung und Unwahrheiten
auf den Bildschirm schicken.
Solche sogenannten Dark
Ads (Werbung im Verborgenen)
können unbemerkt in bestimmten
Kreisen zirkulieren, da diejenigen,
die es korrigieren könnten
oder hinter deren Rücken Lügen
verbreitet werden, gezielt vom
Informationsfluss ferngehalten
werden. Diese Form der digitalen
Wahlmanipulation wurde
bekannt als Cambridge Analytica
und Facebook damit aufflogen.
Doch Social Profiling und (Wahl-
) Manipulation funktioniert auch
im analogen Leben. Intrigante
Menschen, die Gerüchte über ihre
Mitmenschen verbreiten, um sich
einen persönlichen Vorteil zu verschaffen,
sind allseits bekannt. Sie
kommen ganz ohne elektronische
Datensammelfunktion aus, denn
sie kennen ihre Mobbing-Opfer
und auch diejenigen, bei denen
die Lügengeschichten verfangen
sollen.
Die analoge Kombination von
Social Profiling und Dark Ads
machen sich auch Gegner:inen der
Erneuerbaren Energien, insbesondere
der Windkraft zunutze. Jede:r
aus der Umgebung bekommt maßgeschneidert
seine persönliche
Angstmacher-Geschichte aufgetischt:
die Landwirtin bekommt
zu hören, dass ihre Kälber krank
werden, dem Gastwirt wird erzählt,
dass die Touristen wegbleiben,
den neuen Eigenheimbesitzern
wird gedroht, dass die
Immobilie bald nichts mehr wert
sei, Nerz-, Pferde- Tauben- oder
Kaninchen-Züchter:innen bekommen
eine spezielle Drohkulisse
für ihre jeweilige Tierart serviert.
Und diejenigen, die schon einmal
über ihre Krankheitsgeschichte
erzählt haben, bekommen für exakt
diese Krankheit eine Ansage,
wie viel schlimmer ihr persönliches
Leiden durch den Infraschall
wird. Hyperaktive Eiferer
haben das Potenzial ganze Dorfgemeinschaften
zu sprengen. Das
zerrissene Dorf „Unterleuten“ aus
dem gleichnamigen Roman ist
überall. Zum Glück kann an dieser
Stelle Entwarnung gegeben
werden. Ein besonders aufwändig
konstruierter Sprengsatz zündet
nicht mehr. Das Windkraft-Infraschall-Lügengebäude
zerfällt
gerade zu Staub, denn es basiert
auf einer Studie, deren grobe Rechenfehler
nun endlich durch die
bundesweite Berichterstattung
bekannt werden. Seit der Veröffentlichung
im Jahr 2009 hausieren
mit der fehlerhaften Studie
über den „unhörbaren Schall von
Wer sich in der Nähe von Windrädern vor Infraschall fürchtet, sollte nie wieder in ein Auto steigen,
zum Selbstschutz und aus Rücksicht auf Menschen, die an Straßen wohnen. Der Infraschall
(< 20Hz) in einem Auto bei 130km/h kann bis zu 50 dB stärker sein, als ein 150 m entferntes
Windrad.
Foto: Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg LUBW https://pd.lubw.de/47998
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Vorbild für digitale Dark Ads und Mikrotargeting aus dem analogen Leben: hinter vorgehaltener
Hand verbreitete Gerüchte. Da die digitale Gerüchteküche Populisten in die Hände spielt, ist zu
erwarten, dass mit solchen Methoden auch hier Meinungsmanagement und Wahlkampf betrieben
wird.
Foto: Eva Stegen
Windkraftanlagen“ dienstbeflissene
Windkraftgegner:innen. Die
fragliche Studie wurde von einer
Bundesbehörde erstellt, die direkt
dem Wirtschaftsministerium
unterstellt ist, der Bundesanstalt
für Geowissenschaften und Rohstoffe
(BGR). Immerhin hat Wirtschaftsminister
Altmaier inzwischen
eingeräumt, dass »Welten«
zwischen den BGR-Zahlen lägen
und dem, »was tatsächlich der Fall
ist« und sich dafür entschuldigt,
dass durch diese falschen Angaben
die Akzeptanz der Windkraft
gelitten habe.
Doch bis dahin war es ein langer
Weg. Aufgespürt hatte die Behörden-Posse
der Wissenschaftler
Dr. Stephan Holzheu von der
Universität Bayreuth. Allerdings
hat er die Physik dahinter derart
gut verstanden, dass durch seine
Erklärungen zunächst nur wenige
die Dramatik des Fehlers verstanden.
Wer zuckt schon spontan
zusammen bei einer Differenz
von 36 Dezibel*? Zum besseren
Verständnis argumentierte er mit
Me-ssdaten einer Fachbehörde aus
Baden-Württemberg (LUBW),
die stärkeren Infraschall an Straßen
und im Auto aufzeigten: wer
sich in der Nähe von Windrädern
vor Infraschall fürchte, »sollte
nie wieder in ein Auto steigen«.
Holzheu bezifferte den »schwerwiegenden
Rechenfehler« der
BGR »auf einen Faktor 1.000 bis
10.000«. Da kaum ein Laie nachvollziehen
kann, wie gravierend
dieser Fehler ist, verglich er es mit
einem Brot, das auf seiner Waage
1 kg wiegt, während die BGR-
Waage für dasselbe Brot 1000 kg
anzeigt.
Anfangs suchte er den offenen
Austausch mit den BGR-
Studien-Autoren, wie es unter
Wissenschaftler:innen üblich ist,
weil man schließlich der Wahrheit
verpflichtet ist. Gute wissenschaftliche
Praxis ist es, die
eigenen Materialien und Methoden
öffentlich zu machen, damit
dasselbe Experiment überall
nachgekocht werden kann, was
unter gleichen Bedingung zu
den gleichen Ergebnissen führen
sollte. Doch statt eines seriösen
Austauschs gab‘s zur Einschüchterung
einen Anruf beim Vorgesetzten
und die Androhung
rechtlicher Schritte. Der Sensortechniker
Holzheu schrieb dutzende
Mails um die Ungereimtheiten
aufzuklären. Die von ihm
angefachte Debatte hinterlässt
beeindruckende Spuren im Internet
und auch im Blätterwald. Das
offensichtliche Bedauern aus der
Pro-Atomkraft-Szene darüber,
dass die Windkraftgegner mit
dem BGR-Schuldeingeständnis
ihre härteste Keule verlieren, ist
bemerkenswert.
* Schallintensitäten werden
auf einer logarithmischen Skala
dargestellt: 10 Dezibel mehr bedeuten
einen zehnmal so lauten
Schall, 20 Dezibel mehr bedeuten
einen hundertmal so lauten Schall
(10 x 10 = 100).
Eva Stegen
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