flip-Joker_2021-06
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4 KULTUR JOKER THEATER Theater
Janna Horstmann spielt die Hedda Gabler
Das Zimmer gleicht einer
Galerie. Inmitten des Raumes
ein Sofa wie man es in einem
Museum finden könnte: oval,
so dass die Besucher Rücken
an Rücken von allen Seiten die
Bilder in Augenschein nehmen
könnten und in der Mitte ist
Platz für ein riesiges Blumenbouquet.
Nur, hier gibt es lediglich
ein Motiv vor sattblauem
Vorhang: Hedda Gabler (Janna
Horstmann), jetzt Tesman, in
den unterschiedlichsten Posen,
Aufgrund der konstant niedrigen
Inzidenzwerte in Freiburg dürfen
Theater, Kinos und sonstige Kulturhäuser
mit entsprechenden Hygienekonzepten
ab Anfang Juni
mal hoch auf dem Ross, mal eher
privat. Und dann sind da noch
zwei Vitrinen im abgedunkelten
Raum, in denen Roben Hedda
Gablers präsentiert werden als
handelte es sich um Museumsstücke.
Jörgen Tesman (Victor Calero)
muss seiner Frau sichtlich etwas
bieten. Das jung verheiratete
Paar ist gerade von seiner Hochzeitsreise
zurückgekehrt. Später
wird sie sich über ihren Gatten
beschweren, weil er auf der Reise
dem Archivstudium mehr Zeit
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Foto: Britt Schilling
widmete als ihr. Die frisch geschlossene
Ehe basiert eher auf
Kredit als auf Illusionen, und
dies gleich in doppelter Hinsicht.
Der Privatdozent spekuliert auf
eine Professur, die prächtige Villa
ist auf Pump gekauft, Hedda
wiederum spekuliert darauf,
dass Jörgen ihren Jugendfreund
Eilert Løvborg karrieremäßig in
den Schatten stellen wird. Damit
nicht genug, befindet sich
mit einem imposanten Waffenschrank
links, an dem eine Art
Bibliotheksleiter lehnt, ein weißer
Elefant im Raum. Wo Waffen
sind, werden sie auch benutzt
werden (Bühne: Bettina Meyer).
In Lydia Bunks Inszenierung
am Theater Freiburg, die bislang
lediglich als Livestream zu sehen
war, ist Hedda Gabler (Janna
Horstmann) Projektionsfigur
für das ganze 19. Jahrhundert-
Spektrum von Weiblichkeit.
Wie überhaupt diese „Hedda
Gabler“ den Zeitgeist Ibsens als
historisch gegeben annimmt.
Und doch streut Bunk Rätsel
ein, ist das Mädchen in unschuldiger
Rüschenseligkeit das Kind
Hedda oder ihr eigenes, das sie
nicht bekommen wird? Wird es
am Ende die Ordnung wieder
herstellen, wenn es sagt: „ so etwas
tut man doch nicht“? Doch
was tut man nicht? Die Mitmenschen
als Figuren in einem Spiel
An Fäden führen
Lydia Bunk zeichnet in ihrer Hedda Gabler-Inszenierung eine schillernde
Frauenfigur
anzusehen, das man bis zum
Äußersten treibt, einen Mann
heiraten, den man nicht liebt,
während Heddas eigentliche Liebe
zu Løvborg nur in einer Art
Glashaus oder Vitrine gedeihen
kann? Bianca Deigner jedenfalls
hat Hedda Gabler Kostüme auf
den Leib geschneidert, die ihre
Vorbilder in der Malerei, aber
auch im frühen Film haben. Das
eng anliegende lange Kleid, das
kleine Strudel auf ihren Körper
zeichnet, ist das einer Femme
fatale und könnte von einem
Klimt-Gemälde stammen, doch
in schwarzem Gehrock und mit
Zylinder wirkt sie wie ein Alter
Ego von Marlene Dietrich. Einmal
steht sie hinter ihrem Mann
und dem um sie herum scharwenzelnden
Assessor Brack
(Holger Kunkel) und führt sie
wie zwei Marionetten. Sie sacken
zusammen, Hedda Gabler
schnippt mit den Fingern und sie
heben mechanisch die Glieder.
Jana Horstmann vervielfältigt
diese Projektionen und spielt sich
so selbst als Projektion.
Von Freiheit, sei es innere Unabhängigkeit,
sei es Gestaltungsspielraum,
ist in Henrik Ibsens
Dramen ja oft wenig zu spüren,
zu deterministisch ist das naturalistische
Weltbild. Tesman
hüpft in Hausschuhen durch
sein neues Leben, man ahnt hier
Vorhang auf
Das Theater im Marienbad öffnet wieder seine Türen für das Publikum
wieder genesene, geimpfte und negativ
geteste Gäste empfangen. Das
Kinder- und Jugendtheater im Marienbad
ist natürlich mit vielfältigem
Programm mit am Start.
Los geht’s gleich am 5. Juni mit
der lang erwarteten Premiere von
Juli Zehs Gerichtsdrama „Corpus
Delicti“ unter der Regie von
Matthias Kaschig, der bereits mit
bildstarken Inszenierungen von u.a.
Kleists Michael Kohlhaas und Mike
Kennys Nachtgeknister im Marienbad
Theater zu Gast war. Neben
„Corpus Delicti“ wird das mit dem
Performancekollektiv Pulk fiktion
entwickelte Stück „RÄUMEN – ein
Spiel von Haben und sein“ erstmals
vor physisch anwesendem Publikum
gespielt werden, außerdem
übernimmt das Marienbad eine Produktion
des Züricher Theaters Neumarkt,
nämlich die Bühnenadaption
von Jennifer Clements gefeiertem
Roman Gun Love. Viel los also,
hinter den Türen. Und davor?
Für den pittoresken Außenbereich
des ehemaligen Jugendstilbads hat
sich das Team rund um Dramaturgin
und künstlerische Leiterin Sonja
Karadza gleich mehrere spannende
Projekte überlegt. Im Rahmen der
Aktion Kunstlücke wird das „Berührungslose
Kunsteinkommen“
wieder eingeführt – Briefe, Gedichte
und andere kreative Botschaften an
das Publikum, verpackt in kleine
Tütchen, die sich jede*r Vobeigehende
mitnehmen darf und soll. Zudem
wird es jeden Morgen um 9.50
Uhr eine künstlerische Proklamation
aus einem der Fenster des Theaters
geben, den sogenannten „Kopfsprung“.
Und last but not leat das
Highlight: das Geschichtenauto. Wer
möchte, kann in einem sehr alten
und sehr coolen Renault 4, der momentan
auf dem Hof des Marienbads
Die Inszenierung „RÄUMEN“
schon den zukünftigen Bettvorleger
und Ejlert Løvborg (Martin
Hohner) gibt mit halblangen
Locken und unkonventioneller
Kleidung das romantische (und
gefährdete) Originalgenie. Doch
die Bedrohung ist nah und sie
ist nicht minder zeittypisch wie
das Frauenbild. Løvborgs Genie
ist mehr dionysischer Art,
nur weniger pittoresk, auf die
denkbar erbärmlichste Art ist er
dem Alkohol ergeben. Nun ist
er clean, dank seiner biederen
Muse Frau Elversted (Stefanie
Mrachacz) im naiven gelben Volantkleid
und hat ein Werk hervorgebracht,
das Tesman in den
Schatten stellen wird. Dass Frau
Elversted den Mann, den sie liebt
nicht allein ihrer Rivalin, sondern
auch gleich dem Verderben
ausliefert, ahnt sie nicht.
Und da schon alles derart
schicksalshaft und bereits entschieden
ist, hat es bei Ibsen
auch kaum Platz für Ironie. Wobei
das Ende Løvborgs so wenig
mit Nietzsches apollinisch-dionysischem
Gedankengebäude
zu tun hat, dass es schon wieder
von sehr böser Ironie ist. Diese
Vorbestimmtheit markiert auch
eine Grenze in Lydia Bunks
sehenswerter Inszenierung, die
nicht hinterfragt wird.
Wird im Juli wiederaufgenommen.
Annette Hoffmann
steht, Platz nehmen und sich mittels
einem Pad vom Theater-Ensemble
eingesprochene Geschichten zum
Thema Reisen vorlesenen lassen,
die über eine Anlage im Auto abgespielt
werden. Zudem wird, wenn
das Wetter mitspielt, die Open-Air-
Bühne des Marienbads wiederbelebt,
das „Außenbecken“.
Weitere Infos, Vorstellungstermine
und Kartenreservierung unter www.
marienbad.org oder am Kartentelefon
unter der 0761/31470.
Foto: Erich Krieger