flip-Joker_2021-06
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6 KULTUR JOKER Theater
Kammerstücke
Unter Pandemiebedingungen: „Zerbrechlichkeiten und andere Geschichten“ der Cie La Performance
Die Farben sind wie ausgewechselt.
Bestimmten doch den ersten
Teil der Trilogie „Out of order“
die anthrazit- und schlammfarbenen
Kostüme der Tänzerinnen
und die allgegenwärtige Erde, die
Requisit der Performance und
auch Teil des Bühnenbilds war.
Und nun starkfarbene Kleider
und Hosen sowie Strumpfhose.
Es ist nicht so, dass dem neuen
Stück von Julie Jaffrennou „Zerbrechlichkeiten
und andere Geschichten“
dadurch die Schwere
genommen würde, es ist eher so,
dass die Rot- und Blautöne der
Atmosphäre etwas Rückwärtsgewandtes
und leicht Nostalgisches
geben. Denn die Zerbrechlichkeiten,
auf die der Titel verweist,
haben etwas mit Erinnerungen zu
tun. Und die sind in der Performance
von Cie La Performance in
Kammern organisiert.
Kammern kann man verschließen,
die Tür hinter sich zu
machen, sich selbst einsperren
oder sie offen stehen lassen. Die
Pandemie und die damit verbundenen
Auflagen haben in
„Zerbrechlichkeiten und andere
Geschichten“ stark eingegriffen.
Die Odyssee für Kinder als
Großprojekt zu Corona-Zeiten –
furchtbar kompliziert und ganz
schön mutig! Mit ausgeklügeltem
Hygienekonzept, über achtzig
Beteiligten und vielen Leinwand-
Projektionen feierte jetzt das Musiktheater
„Kinder auf der Suche
nach Odysseus“ mit vier Aufführungen
per Livestream Premiere
(Regie: Karin Maßen, musikalische
Leitung: Abélia Nordmann).
Die Bühnenadaption nach Homers
Pre
mie
re
wir
Spie
len!
Corpus Delicti
Von Juli Zeh, Regie: Matthias Kaschig ⁄⁄ 15 +
Ab 5. Juni 2021
rÄUMen – ein Spiel von Haben und Sein
Eine Koproduktion mit pulk fiktion,
Regie: Hannah Biedermann ⁄⁄ 6 +
Ab 17. Juni 2021
infos & Tickets unter www.marienbad.org
VAYA Art of Human Movement: „My Blue is Your Green“
Pre
mie
re
GUn lOVe
Von Jennifer Clement, Regie: Tom Schneider
Im englischen Original mit deutschen Übertiteln ⁄⁄ 15 +
Ab 30. Juni 2021
Was als begehbarer Parcours angelegt
war, musste als Stream gezeigt
werden. Anstatt großzügig
viel Zeit in den einzelnen Räumen
zu verbringen, musste sich
das Publikum der Bildregie und
der Zeitökonomie des Videos anvertrauen.
Was als Nacheinander
gedacht war, wird durch Schnitte
nun zu einer Gleichzeitigkeit, die
vermutlich ganz andere Kombinationen
schaffen als die, die man
sehen würde, könnte man sich frei
im Raum bewegen. Das ist den
Umständen geschuldet, bewirkt
„Odyssee“ ist die achte Kooperation
des Theaters Tempus fugit mit
dem Burghof Lörrach, mit dabei
sind dieses Mal professionelle
Schauspielerinnen und Schauspieler,
Musikerinnen und Musiker,
das junge Spielzeitteam, der Kinderchor
Lörrach, die Klasse 1b der
Karl-Tschamber-Schule und Kinder
aus der Kreativwerkstatt.
Das Bühnenbild ist eindrucksvoll:
Ein Wald aus meterlangen
Metallstangen baumelt von der
Deutsch
lanD
Premiere
aber, dass „Zerbrechlichkeiten
und andere Geschichten“ kompakter
ist und Interpretationen
stärker lenkt.
Ein Stuhl, ein Schlafsack mit
Blümchenmuster, Olivia Maridjan-Koop
saugt an ihrem Daumen.
An Momente der Einsamkeit
reihen sich lustige Kinderspiele
im nächsten Raum, doch
nach einem Moment schleicht
sich Unbehagen ein und man fragt
sich, was man sonst noch alles mit
dem Springseil machen könnte.
Erneuter Szenenwechsel: Alice
Decke, je nach Beleuchtung und
Geschichte sind sie mal Schiffsmasken,
mal Speere oder Gefängnis.
Auf zwei große Segel wird der
sehr schön singende Kinderchor
projiziert, linkerhand steht ein goldenes
Stufenpodest mit Papierrolle,
auf die Penelope mit Riesenfeder
ihre Geschichten schreibt. Denn
irgendeinen Grund und Sinn muss
es ja haben, dass ihr Odysseus nach
zwanzig Jahren immer noch nicht
zu seiner Familie heimgekehrt ist…
Sie jedenfalls will ihren Mann inmitten
machtgieriger Heiratskandidaten
nicht vergessen!
Ganz anders sieht das Sohn Telemachos:
Der hat die Nase voll von
seinem unbekannten Helden-Vater,
dessen Schatten so schwer auf
ihm lastet und in dessen goldener
Rüstung er fast ertrinkt. Erlebt er
wirklich Abenteuer und ist so listig,
wie alle sagen? Die jungen Akteure
tragen Halbmasken und lange Stangen,
mit denen sie die Kontur eines
Schiffes auf der Bühne formen.
Eine ist an den Mast gefesselt und
versucht sich mit aller Kraft zu
befreien: So gefährlich ist der Gesang
der Sirenen! Im Hintergrund
kämpfen Schatten in Stummfilm-
Manier. - Das sind starke Bilder
und die Geschichte entwickelt
dank mehreren Erzähler- und Rollenwechsel
durchaus Dynamik,
dürfte aber in ihrer Textlastigkeit
als Einstieg für Kinder ab acht
Fotos: Dimitri Tuttle
Gartenschläger sitzt breitbeinig
auf einem Stuhl, neben sich ihre
Handtasche, in die sie wenig später
ihre rote Strumpfhose stopfen
wird, die sie eben ausgezogen hat.
Noch später wird sie sich auch
ihres BHs und Slips entledigen.
In ihren Nacken greifen und in
das lange Haar greifen. Salim Ben
Mammar, Tjadke Biallowons,
Alice Gartenschläger sowie Olivia
Maridjan-Koop und Michael
Schmitter entwickeln aus eigenen
Erinnerungen und allgemeingültigen
Familienkonstellationen
Versprechen und Enttäuschung
„Kinder auf der Suche nach Odysseus“, Kooperation des Theaters Tempus fugis mit dem Burghof
Jahren auch verwirrend-schwierig
sein. Nach und nach werden neue
Ebenen eingeführt, die immer
wieder die eigentlichen Odyssee-
Stationen unterbrechen ,um den
spielerischen Transfer ins Hier
und Jetzt zu initiieren: Mittels direkter
Publikumsansprache von der
„Erzählerinsel“ werden Figuren,
Motive und Hintergründe erklärt,
es gibt witzige choreografische
Einlagen, die Götter stellen sich
mit all ihren Macken vor, Hermes
präsentiert seine flinken Schühchen,
schwarze Ballonseide wird
zum wogenden Meer und Monster.
Die Schlacht um Troja samt
Pferdetrick, die Zauberin Kirke,
die Jahre bei der Nymphe Kalypso
– all das wird angespielt und auch
besungen. Im Mittelpunkt stehen
„Kinder auf der Suche nach Odysseus“
intime Szenen und Bewegungsmuster
mit hohem Wiedererkennungswert.
Manchmal wirkt das
vertraut und vertrauensvoll, dann
wieder beengend, indem Abhängigkeitsverhältnisse
und regressive
Momente durchscheinen.
Tatsächlich möchte man da gerne
ein bisschen durchlüften, um dem
Pathos seine Wucht zu nehmen.
Doch das war unter den derzeitigen
Umständen nicht möglich.
Annette Hoffmann
aber Telemachos Fragen: Warum
verließ sein Vater überhaupt Frau,
Kind und Volk? Ist er ein Held? Ein
größenwahnsinniger Abenteurer
und Herumtreiber? Oder nur ein
bemitleidenswerter Spielball des
Schicksals, der seinen Eid nicht
halten kann? Kinderstimmen aus
dem Off erzählen dazu über ihre
Erfahrungen mit Versprechen und
Enttäuschungen… Eine komplexe
und ambitionierte Annäherung,
die für beteiligte Schulklassen per
Theaterspaziergang aufbereitet
werden kann.
Theaterfilm der Onlinebühne der
Kinder-und Jugendtheater Baden-
Württemberg unter www.theaterstream.de
Marion Klötzer
Fotos: Burghof