11.09.2021 Aufrufe

bull_04_01_Mobilität

Credit Suisse bulletin, 2004/01

Credit Suisse bulletin, 2004/01

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

WEALTH MANAGEMENT TOPICS<br />

Fotos: Martin Stollenwerk<br />

die Positionen festgefahren scheinen. Kommen<br />

andere Verfassungsinhalte ins Spiel,<br />

um Raum für Kompromisse zu schaffen?<br />

Schwierig abzuschätzen, da über den Verhandlungsstand<br />

insgesamt wenig bekannt<br />

ist. Umstritten sind etwa die Kommissionsgrösse,<br />

der neue Ratspräsident oder der Abbau<br />

von Vetomöglichkeiten. Oder wird doch<br />

ein Paket mit Zugeständnissen im EU-Budget<br />

geschnürt? Schwer vorstellbar – das Geld ist<br />

knapp geworden. Statt Entgegenkommen signalisieren<br />

die Nettozahler finanziellen Druck.<br />

Findet 20<strong>04</strong> keine Annäherung statt,<br />

schwinden die Chancen der Verfassung. Es<br />

könnten sich Stimmen mehren, die Taten statt<br />

Worte fordern. Die Möglichkeit zur verstärkten<br />

Zusammenarbeit einer Ländergruppe<br />

bietet zwar auch der Nizza-Vertrag. Allerdings<br />

gibt es Ausnahmen – eine gewichtige<br />

bei der Verteidigungspolitik. Hier müssten<br />

Integrationsschritte ausserhalb der EU stattfinden.<br />

Das wäre kein Novum. Der Schengen-<br />

Raum ohne Grenzkontrolle ist so entstanden.<br />

Doch es könnte ein Schritt in eine Zukunft<br />

Institutionen<br />

Ratspräsidentschaft<br />

Politikbereiche<br />

Bürgerbegehren<br />

Austrittsklausel<br />

sein, in der die EU mehr zwischenstaatlich<br />

als gemeinschaftlich funktioniert.<br />

Die Priorität liegt vorerst auf der Verfassungslösung,<br />

so der Tenor in Europa. Der<br />

vorliegende Entwurf verspricht mehr Gestaltung<br />

und weniger Blockierung. Er fördert die<br />

Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit<br />

einzelner Mitglieder – gerade auch bei der<br />

Verteidigungspolitik. Selbst Frankreich, das<br />

stets im Verdacht steht, Grösse durch zwischenstaatliche<br />

Zusammenarbeit ausserhalb<br />

der EU-Regeln zu suchen, hat die Verfassung<br />

noch nicht abgeschrieben. «Im Rahmen<br />

der Bestimmungen der künftigen Verfassung»,<br />

hielt Frankreichs Aussenminister Dominique<br />

de Villepin fest, würden zusätzliche Integrationsanstrengungen<br />

diejenigen vereinen, die<br />

bereit sind, weiter zu gehen. Die EU sucht<br />

Flexibilität – für ihre immer zahlreicheren<br />

Mitglieder und für die Beziehungen zu den<br />

Nachbarn in Europa und den Partnern in der<br />

Welt. Die EU sucht aber auch eine Klammer.<br />

Hans-Peter Wäfler<br />

Tel. <strong>01</strong> 333 28 08, hans-peter.waefler@credit-suisse.com<br />

Das will der EU-Verfassungsentwurf<br />

Die Verfassung soll das Regelwerk der EU vereinfachen. Sie rüttelt aber auch an der<br />

Machtverteilung und enthält neue Ideen. Quelle: Credit Suisse Economic & Policy Consulting<br />

■ Ministerrat: Qualifizierte Mehrheitsentscheidungen erfordern die<br />

Mehrheit der Mitgliedstaaten sowie 60 Prozent der EU-Bevölkerung.<br />

■ Kommission: Die Anzahl Kommissare mit Stimmrecht wird<br />

von 25 auf 15 reduziert. Die Mitgliedstaaten wechseln sich ab.<br />

■ Europäisches Parlament: Sein Mitentscheidungsrecht wird<br />

ausgeweitet. Es wählt den Kommissionspräsidenten.<br />

■ Neu geschaffen wird das Amt eines Ratspräsidenten.<br />

Die halbjährliche Rotation der Mitgliedsländer<br />

in der Ratspräsidentschaft fällt weg.<br />

■ Die Beschlussfassung wird erleichtert, indem das<br />

Abstimmungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit statt<br />

mit Einstimmigkeit auf weitere Politikfelder angewendet wird.<br />

■ Aussenpolitik: Das nationale Vetorecht bleibt. Neu geschaffen wird<br />

das Amt eines EU-Aussenministers.<br />

■ Verteidigungspolitik: Einzelne Mitglieder können sich zu einer<br />

verstärkten Zusammenarbeit entschliessen.<br />

■ Wirtschafts- und Sozialpolitik: Eine stärkere Koordinierung<br />

wird möglich.<br />

■ Steuerpolitik: Bei Entscheidungen zu direkten Steuern bleibt<br />

das nationale Vetorecht.<br />

■ Asyl- und Einwanderungspolitik: Das nationale Vetorecht fällt weg.<br />

■ 1 Million EU-Bürger können mit ihrer Unterschrift die Kommission<br />

veranlassen, zu einem bestimmten Thema einen neuen<br />

Vorschlag auszuarbeiten.<br />

■ Erstmals wird ein Mechanismus geschaffen, damit ein Land<br />

die EU verlassen kann.<br />

«Eine Kern-EU ist<br />

unwahrscheinlich»<br />

Dr. Stephan Kux, Leiter Wirtschaftsförderung,<br />

Amt für Wirtschaft und<br />

Arbeit des Kantons Zürich<br />

Braucht die EU eine Verfassung?<br />

Ein Binnenmarkt ohne Grundrechtskatalog,<br />

eine Währung<br />

ohne Verfassung sind problematisch.<br />

Faktisch hat die EU<br />

auch bereits eine Verfassung –<br />

eine Wirtschaftsverfassung.<br />

Wichtig ist der Prozess, der zu<br />

einer europäischen Verfassung<br />

führt. Erstmals haben wir dann<br />

auch eine gesamteuropäische<br />

Konstituante.<br />

Können die Differenzen zwischen<br />

den «kleinen» und den «grossen»<br />

Ländern zu einer Art Kern-EU<br />

führen?<br />

Differenzen zwischen «kleinen»<br />

und «grossen» Mitgliedstaaten<br />

hat es immer gegeben. Das<br />

politische System der EU ist aber<br />

geprägt durch Konkordanz und<br />

Verhandlungslösungen – auch<br />

wenn die «Grossen» ihre Interessen<br />

manchmal durch das Veto<br />

oder andere Instrumente durchsetzen.<br />

Auch mit 25 Mitgliedstaaten<br />

ist eine Kern-EU wenig<br />

wahrscheinlich.<br />

Welche Herausforderungen stellen<br />

sich in den nächsten Jahren?<br />

Sicher muss die EU die Erweiterung<br />

verdauen. Es wird Jahrzehnte<br />

dauern, bis die neuen<br />

Mitgliedstaaten ihren wirtschaftlichen<br />

Rückstand aufgeholt<br />

haben. Die zentrale<br />

Herausforderung bleiben aber<br />

Wettbewerbsfähigkeit und<br />

Innovationskraft. Hier kann die<br />

Erweiterung als Frischzellenkur<br />

wirken – die gilt es zu<br />

nutzen, sonst fällt der Kontinent<br />

endgültig in eine Eurosklerose.<br />

Credit Suisse Bulletin 1-<strong>04</strong> 47

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!