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VNW-Magazin Ausgabe 1/2022

Das VNW-Magazin erscheint fünf Mal im Jahr. Neben Fachartikeln enthält es Berichte und Reportagen über die Mitgliedsunternehmen des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen - den Vermietern mit Werten.

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19<br />

Loitz. Dass es den gebürtigen Venezolaner<br />

Rolando González einmal aufs platte pommersche<br />

Land verschlagen würde – damit hätte<br />

er lange nicht gerechnet. Dennoch steht der<br />

32-Jährige nun mit einer Kiste voll Brennholz<br />

auf einem Hinterhof in Loitz, der rund<br />

4300-Seelen-Stadt an der Peene. „Ich dachte,<br />

die Heizung müssten wir sofort umbauen“,<br />

sagt seine Frau Annika Hirsekorn. Sie habe sich<br />

aber an die Holzöfen gewöhnt. Beide haben<br />

sich in Mexiko-Stadt kennengelernt, in Berlin<br />

gelebt und sind für ein Experiment nach Vorpommern<br />

gekommen.<br />

Sie sollen zur Belebung der Stadt beitragen.<br />

Den Großstädtern wurde dafür für ein Jahr ein<br />

Haus sowie ein Grundeinkommen von jeweils<br />

1000 Euro pro Monat zur Verfügung gestellt.<br />

Ein Freund habe sie im Herbst 2020 auf das<br />

Projekt im Internet hingewiesen, erinnert sich<br />

Hirsekorn. „Und dann dachte ich mir, naja,<br />

wenn, dann würde ich mich mit Rolando bewerben“,<br />

sagt die 36-Jährige und lacht. Mit ihren Ideen setzten<br />

sich die beiden gegen etwa 100 andere Bewerbungen durch. „Im<br />

Dezember haben wir dann die Zusage bekommen.“ Seit April des<br />

vergangenen Jahres sind die beiden in Loitz, wobei sie zunächst<br />

anderweitig unterkamen, weil in dem Altbau vom Ende des 19.<br />

Jahrhunderts noch Renovierungen nötig waren.<br />

Trotz des Grundeinkommens gehen beide weiter ihren bisherigen<br />

Jobs nach. González als Video-Produzent und Hirsekorn<br />

unter anderem als Kuratorin von Ausstellungen. Allein ihre Krankenversicherungen<br />

kosteten schließlich Hunderte Euro. Auch ihre<br />

Wohnung in Berlin haben sie noch. „So sind wir auch nicht darauf<br />

angewiesen, dass das jetzt hier von null auf hundert sofort läuft.“<br />

Es geht um das Ausprobieren von Ideen<br />

Seit 2016 ist das Amt Peenetal/Loitz eine Modellregion im Wettbewerb<br />

Zukunftsstadt des Bundesministeriums für Bildung und<br />

Forschung. Dabei geht es um die Entwicklung und das Ausprobieren<br />

von Ideen, wie man vom Strukturverlust betroffene Regionen<br />

beleben kann. „Es steht ja nicht nur Loitz vor diesen Problemen“,<br />

sagt Bürgermeisterin Christin Witt (CDU). „Es ist ein Versuch.“<br />

Der könne auch für andere Standorte Vorarbeit leisten. Zuletzt<br />

schaffte es Loitz als eine von acht Regionen in die dritte Phase des<br />

bundesweiten Wettbewerbs. Vom Bund stammt laut Witt auch<br />

das Basiseinkommen für Hirsekorn und González.<br />

Das Projekt habe auf jeden Fall Aufmerksamkeit auf die Stadt<br />

Loitz gelenkt. „Auf alle Fälle bringen sie sich ein“, sagt Witt. Viele<br />

Dinge brauchten noch ein bisschen Zeit. „Der Pommer ist einer,<br />

der sich das nicht, sag ich mal, von außen aufdrücken lässt.“ Neben<br />

den beiden Neu-Loitzern gehöre zur Zukunftsinitiative etwa<br />

auch der Bau eines Wohnkomplexes für verschiedene Lebensformen<br />

und Altersgruppen mit medizinischer Versorgung und Gemeinschaftsräumen<br />

im Zentrum.<br />

Hirsekorn und González haben im Haus eine Siebdruckwerkstatt,<br />

eine Comic-Bibliothek und selbst einen Escape-Room eingerichtet.<br />

Sie haben schon einige Projekte mit Kindern und Jugendlichen<br />

aus der Region gemacht. „Das wird total gut angenommen“, sagt<br />

Hirsekorn. Nur mit der Bibliothek sei es noch ein bisschen schleppend.<br />

Wenn man frage, was die Kids lesen wollen, sagten viele,<br />

sie wollten Playstation spielen.<br />

Ein Handbuch soll anderen Gemeinden helfen<br />

Es gehe aber nicht bloß um das Haus und die Räumlichkeiten,<br />

sondern vielmehr auch um Vernetzung. Das Paar hat nach eigener<br />

Aussage schon viele Gleichgesinnte im Ort gefunden, die auch<br />

Projekte organisieren wollen. González habe etwa eine Telegram-<br />

Gruppe zur Nachbarschaftshilfe aufgesetzt. Zu Weihnachten<br />

hätten sie im Rahmen einer Wichtelaktion nicht benötigte Gegenstände<br />

von Loitzern eingesammelt und daraus thematische<br />

Adventskalender zusammengestellt, unter anderem für eine Beratungsstelle<br />

für Arbeitslose.<br />

Die beiden wollen einen Verein mit Namen "De Loite" gründen,<br />

bei dem sich noch mehr Menschen einbringen sollen. Zudem<br />

will Hirsekorn etwa das Thema Zwangsarbeit während des Zweiten<br />

Weltkriegs in Loitz im Rahmen eines Schulprojekts aufarbeiten.<br />

„Man kann auf jeden Fall schon sagen, dass die Wahrnehmung<br />

in der Bevölkerung sehr unterschiedlich ist“, sagt Carmen<br />

Renninger von der Hochschule Neubrandenburg diplomatisch. Sie<br />

und eine Kollegin begleiten die Loitzer Zukunftsprojekte wissenschaftlich.<br />

Eine weitere Erkenntnis sei, dass die Verwaltung flexibler<br />

sein könnte bei der Umsetzung. Als Teil der Evaluation soll<br />

ein Handbuch entstehen, das anderen Gemeinden bei ähnlichen<br />

Projekten helfen soll.<br />

Hirsekorn und González fühlen sich gut in Loitz aufgenommen.<br />

„Klar, wir wissen, dass es viele Leute gibt, die das Projekt<br />

nicht gut finden“, sagt Hirsekorn. Das habe auch mit unzureichender<br />

Kommunikation zu tun. Die Kritiker träten aber nur<br />

ganz selten an sie heran. Einige habe sie auch schon im direkten<br />

Austausch überzeugen können. Andere Menschen hätten Begrüßungsgeschenke<br />

vorbeigebracht. Sie hätten mittlerweile Bekannte,<br />

die sie jederzeit unterstützten. „Davon gibt es total viele.“<br />

Das Experiment scheint teilweise schon ein Erfolg zu sein. „Die<br />

beiden werden das Haus erwerben“, freut sich Witt. „Der Kaufvertrag<br />

steht kurz vorm Abschluss. Wir haben jetzt nur noch den<br />

Notar-Termin.“ Das sei somit wieder ein Haus, das belebt wurde.<br />

Und: Die beiden seien nicht die einzigen. Ein anderes Paar, dessen<br />

Bewerbung nicht erfolgreich war, sei mittlerweile trotzdem nach<br />

Loitz gezogen. Die beiden würden sich nun um die Galerie am<br />

alten Steintor kümmern, um sie wieder für Besucher zu öffnen. h

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