BOGENSPORT MAGAZIN 4/2023

TRAINING
An San – Vollständiger Schuss
Als Beispiel kann man hier einen Fußballspieler
anführen, der den Ball schießt,
während er über das Spielfeld läuft. Er
bewegt sich sowohl durch den Raum als
auch im Raum. Hier sind mehrere Followthroughs
möglich, da es mehrere Wege
gibt, den Ball zu schießen, und da sein Ziel
ist, zu treffen, und nicht, präzise zu sein.
Beim Bogenschießen geht es hingegen
vor allem um Präzision, es ist taktisch und
strategisch weniger komplex. Das Ziel ist
sowohl im Training als auch im Wettkampf
das gleiche: Den gleichen Vorgang jedes
Mal zum gleichen Ergebnis zu führen – das
Ziel nach dem Pfeilflug zu treffen. Hier ist
eigentlich nur eine Entscheidung zu treffen
– den Pfeil lösen. Andere Entscheidungen
können situationsbezogen sein, zum
Beispiel in Verbindung mit dem Kompensieren
von Windkräften. Für präzise Schüsse
gibt es nur eine Art von Follow-through.
Um eine erlernte Fähigkeit im richtigen
Moment unbewusst und automatisch immer
wieder abzurufen, müssen wir ein
motorisches Gedächtnis daran haben. Das
Leistungsziel ist es, den Ablauf durchlaufen
zu können, ohne darüber nachzudenken.
Bevor ein motorisches Gedächtnis
in unserem Gehirn gespeichert werden
kann, muss es erlernt und durch bewusste
langjährige Praxis automatisiert werden.
Der Professor für Ingenieurwesen an der
Cambridge University, Dr. Franklin, hat gemeinsam
mit den Neurowissenschaftlern
D. Wolpert und I. Howard ein Joystickgeführtes
Experiment entwickelt, bei dem
herausgefunden werden sollte, ob eine Änderung
des Follow-throughs eine Auswirkung
auf das Tempo und die Genauigkeit
hat, mit der eine Aufgabe erlernt wird. Die
Freiwilligen wurden in zwei Gruppen eingeteilt.
Jede Gruppe musste den Joystick
auf ein Hauptziel und dann auf das zweite
Ziel (Follow-through) halten. Für die zweite
Gruppe wurde das Follow-through-Ziel
willkürlich ausgewählt, und dem Joystick
wurde ein Kraftfeld hinzugefügt, wodurch
das Steuern schwieriger wurde. Sie mussten
also zwei unterschiedliche Wege des
Follow-throughs erlernen. Auf das Bogenschießen
übertragen wäre dies, gleichzeitig
in einer festen Endposition und mit einer
kontinuierlichen Bewegung nachzuhalten.
Wenn es um Präzision geht und die Follow-throughs
im Training willkürlich sind,
kann es sein, dass das Gehirn nicht weiß,
welche motorische Erinnerung abzurufen
ist. Jede Bewegung erfordert ein einzigartiges
motorisches Gedächtnis und jede
Menge bewusster Praxis, auch wenn sich
die Bewegungen ähneln. Zum Beispiel ist
die Verwendung eines Tennisschlägers
vergleichbar mit der Nutzung eines Badmintonschlägers,
aber jeder Schläger hat
seine Eigenheiten und erfordert ein anderes
motorisches Gedächtnis. Aus diesem
Grund schießt du nicht mit dem Bogen
deines Kameraden sondern mit deinem
eigenen. Das Ergebnis der Studie war, dass
diejenigen, die nur eine Follow-through-
Richtung hatten, schneller lernten und
eine größere Genauigkeit erzielten. Prüfe
also deinen Schussablauf, gehe zurück,
korrigiere Lücken in deinen Fähigkeiten
und mache den Follow-through in die gleiche
Richtung.
SCHLUSSBEMERKUNG
Es darf nicht vergessen werden, dass der
Schütze auf den Bogen abgestimmt sein
und der Bogen zum Schützen passen muss.
Viele Gründe für eine schlechte Form und
Verletzungen sind die direkte Folge einer
schlechten Materialauswahl. Mit Ausrüstung,
die zu stark oder zu schwer ist, kannst
du keine gute Ausrichtung erreichen. Dein
Körper muss mehr arbeiten, was zu einer
schnelleren Ermüdung führt und deinen
Ablauf inkonsistent und ineffizient werden
lässt. Das Gegenteil ist erwünscht, wenn
man eine gute Form und einen ansehnlichen
Follow-through erreichen will. Die
südkoreanischen Bogenschützen sind das
beste Beispiel für eine gute Form, und das
Beobachten des Follow-through, der bei jedem
Schützen anders ist, ist ebenfalls sehr
lehrreich. Der Grund, warum ihre Schüsse
so mühelos erscheinen, ist nicht, dass
sie außergewöhnlich leichte Bögen oder
dass sie 2000 Pfeile pro Woche im Training
schießen. Einer der Hauptgründe ist,
dass sie nicht die Muskeln nutzen, die sie
nicht nutzen sollten, und dass sie Bögen
schießen, die sie beherrschen. Der Fokus
sollte auf einem biomechanisch effizienten
Schussablauf liegen, unter Verlass auf
die Schwerkraft, die Knochenausrichtung
und dem klaren Verständnis der Auszugskraft
und -richtung, wobei der Schütze ein
striktes Aufwärmtraining absolvieren sollte,
das auf einem Beweglichkeitstraining
basieren sollte.
30 | BOGENSPORTMAGAZIN TRAINING 4/23