Filmakademie Baden-Württemberg Campus Magazin 23/24
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SPOTLIGHT: KLIMAKRISE<br />
nicht mehr in die Richtung fließen<br />
oder zum Erliegen kommen können.<br />
All diese Dinge wären katastrophale<br />
Kipppunkte im System.<br />
Vielleicht noch nicht global, aber<br />
zumindest regional haben all diese<br />
Prozesse bereits begonnen. Das<br />
ist ein wirklich krasses Warnsignal.<br />
Innerhalb der nächsten Jahre<br />
werden wir die 1,5 Grad Erwärmung<br />
überschreiten, das steht<br />
jetzt schon fest. Die meisten globalen<br />
Kipppunkte liegen zwischen 1,5<br />
und 2 Grad durchschnittlicher Erwärmung.<br />
Wir kommen also in absehbarer<br />
Zeit in diese Gefahrenzone.<br />
Und wenn wir die Emissionen<br />
nicht massiv runterfahren, dann<br />
werden wir sie überschreiten, und<br />
dann ist irgendwann der Ofen aus.<br />
Dann können wir nur noch zuschauen,<br />
wie das System sich immer<br />
weiter in extreme Temperaturbereiche<br />
fährt, an die Menschen<br />
sich nicht anpassen können. Kipppunkte<br />
sind also ein extrem wichtiges<br />
Thema.<br />
Wie konnte es dazu kommen,<br />
dass das System so aus dem<br />
Gleichgewicht geraten ist?<br />
Am besten lässt sich das über das<br />
Konzept des Kohlenstoffbudgets erklären:<br />
Um unseren Planeten herum<br />
gibt es einen geschlossenen<br />
Kreislauf von Kohlenstoff und Wasser,<br />
eine fixe Menge, die über Millionen<br />
Jahre zwischen lebendigen<br />
und toten Elementen in einem konstanten<br />
Austausch war. Dieses verlässliche<br />
Gesamtvolumen haben wir<br />
verändert, indem wir über fossile<br />
Verbrennung Kohlenstoff – Kohle,<br />
Öl, Gas – aus dem Boden geholt<br />
haben. Das alles belastet die Atmosphäre<br />
zusätzlich, überfordert das<br />
System und erschöpft das verfügbare<br />
Kohlenstoffbudget. Über den<br />
Zusammenhang zwischen diesen<br />
110<br />
vielen klimaschädlichen Gasen in<br />
der Atmosphäre können wir die<br />
Temperatur sehr präzise vorhersagen.<br />
Das ist einfach nur angewandte<br />
Physik. Daher wissen wir, dass<br />
der Bereich bis zum Erreichen der<br />
Kipppunkte bei ungefähr 1,5 Grad<br />
liegt.<br />
Für das Kohlenstoffbudget sind aber<br />
nicht nur die Emissionen selbst zu<br />
beachten, sondern auch natürliche<br />
Speicher, die der Atmosphäre<br />
wieder Kohlenstoff entziehen. Das<br />
sind etwa Wälder, Moore oder Ozeane.<br />
Alles, was Leben ist, speichert<br />
Kohlenstoff. Da wir aber parallel zu<br />
den Emissionen immer mehr Lebensräume<br />
vernichten, zum Beispiel<br />
Wälder weiter abholzen, landet<br />
all das auf der negativen Seite<br />
dieser Kohlenstoffgleichung. In Kanada<br />
brennt gerade eine Rekordfläche.<br />
In zwei Monaten sind bereits<br />
über 4 Millionen Hektar Wald abgebrannt,<br />
die nicht mehr als Kohlenstoffspeicher<br />
zur Verfügung stehen.<br />
Das heißt, wir nähern uns immer<br />
schneller diesen Kippelementen.<br />
Wir haben quasi keinen Stoff,<br />
kein Budget mehr. Wir müssten also<br />
JETZT maximal die Emissionen senken,<br />
nicht erst in ein paar Jahren.<br />
Die nächsten Jahre sind für uns daher<br />
wirklich entscheidend.<br />
Trotzdem gibt es offensichtlich<br />
noch sehr viele Menschen<br />
und Kräfte, die diese Fakten<br />
negieren oder nicht davon<br />
überzeugt sind. Was müsste<br />
denn auf globalem Level passieren,<br />
um das Schlimmste<br />
noch abzuwenden?<br />
Es muss ein Ruck durch unsere Gesellschaft<br />
gehen. Wir müssen endlich<br />
verstehen und akzeptieren, dass<br />
der Klimawandel zu 100 Prozent<br />
menschengemacht ist und dass die<br />
Aussagen der Klimawissenschaft absolut<br />
verlässlich sind. Wir bewegen<br />
uns definitiv auf diese Kipppunkte<br />
zu. Wenn man das nicht wahrhaben<br />
möchte, ist das einfach nur eine<br />
Verweigerung der Realität. Aber<br />
als Menschheit können wir es uns<br />
nicht leisten, diese Verweigerung<br />
weiterzubetreiben. Aktuell gibt es<br />
zusätzlich noch das Phänomen El<br />
Niño im Pazifik. Das ist ein natürlicher<br />
Zyklus, der aber auch wieder<br />
verstärkt wird durch die klimaschädlichen<br />
Gase. In den nächsten<br />
12-18 Monaten werden wir extreme<br />
Temperaturen in einer nicht geahnten<br />
Dimension erleben. Die Ozeane<br />
weisen weltweit Rekordtemperaturen<br />
auf. Es war noch nie so viel<br />
Energie in den Ozeanen. Das sorgt<br />
für weitere Verdunstung und extreme<br />
Regenfälle. Das moderate Klima<br />
der letzten 10.000-12.000 Jahre ist<br />
jetzt schon Schnee von gestern.<br />
Gerade für Landwirtschaft und<br />
Ackerbau brauchen wir verlässliche<br />
Bedingungen, aber die lassen<br />
wir gerade hinter uns. In Kanada<br />
wird Öl aus sandigen Bodenschichten<br />
gefördert. Dafür wurden riesige<br />
Flächen vernichtet. Dadurch<br />
wiederum wird eine gewaltige Trockenheit<br />
ausgelöst. Die riesige Provinz<br />
Alberta wird einen kompletten<br />
Ernteausfall haben. Auch Kansas in<br />
den USA wird einen Ernteverlust<br />
von 50-70 Prozent haben. In China<br />
wird es ähnlich sein. Die Extrembedingungen<br />
in diesen großen<br />
Kornkammern der Welt haben gravierende<br />
Konsequenzen für unsere<br />
Ernährung. Das ist umso dramatischer,<br />
wenn man weiß, dass wir in<br />
Deutschland auf 60 Prozent der Fläche<br />
Nahrungsmittel anbauen, die<br />
wir an Tiere verfüttern.<br />
All diese Zerstörung hängt nachweislich<br />
mit der fossilen Energieförderung<br />
zusammen. Deshalb ist