Können Computer denken? Teil 1 - Didaktik der Informatik
Können Computer denken? Teil 1 - Didaktik der Informatik
Können Computer denken? Teil 1 - Didaktik der Informatik
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
sitionen pro Sekunde. Die ” normale“ durchschnittliche Suchtiefe beträgt zehn Halbzüge.<br />
In die Bewertungsfunktion gehen ca. 120 Faktoren ein, <strong>der</strong>en Gewichte mit Hilfe einer<br />
Datenbank mit 900 Meisterpartien durch aufwendige Algorithmen zur linearen Optimierung<br />
und zur statistischen Annäherung automatisch bestimmt wurden. Weiter verfügt es<br />
über einen singular extension Algorithmus mit erweiterter Suchtiefe zur Vermeidung des<br />
Horizont-Effektes in erzwungenen Situationen.<br />
Die Maschine berechnet in je<strong>der</strong> Phase des Spiels jeweils neu ” ihren“ Zug ganz mechanisch<br />
mittels fest verdrahteter und programmierter Algorithmen (d. h. die jeweilige Problemlösung<br />
ist — als Kondensat <strong>der</strong> geistigen Arbeit vieler Menschen — implizit vorgegeben),<br />
sie hat keinen Plan, keine Strategie, sie kann nicht lernen (das können bisher nur die<br />
Programmierer, die dann das Ergebnis ihres Lernprozesses z. B. durch Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wichtungszahlen<br />
o<strong>der</strong> durch neue Algorithmen wie<strong>der</strong> starr implementieren können) 4 . Man<br />
weiß nicht genau, wie Schachexperten Stellungen analysieren und ihre Züge auswählen,<br />
aber auf keinen Fall so. Untersuchungen (z. B. Unterschiede bei <strong>der</strong> Rekonstruktion aus<br />
dem Gedächtnis zwischen kurz gezeigten ” echten“ und zufällig erzeugten Spielstellungen,<br />
Analyse <strong>der</strong> Augenbewegungen beim ersten Betrachten einer Stellung) deuten darauf<br />
hin, daß Experten einen ganzheitlichen Blick für die Stärken, Schwächen und Entwicklungsmöglichkeiten<br />
einer Position haben und nicht Schritt für Schritt die Zugmöglichkeiten<br />
<strong>der</strong> einzelnen Figuren untersuchen. 5 Aus ihrer umfangreichen Erfahrung stehen ihnen<br />
ohne jede bewußte Suche augenblicklich mehrere Tausend typische Positionsmuster und<br />
-strukturen zur Verfügung, denen fast ebenso unmittelbar die aktuelle Stellung zugeordnet<br />
wird. Mit diesen Mustern ist in <strong>der</strong> Regel eine hochwirksame Intuition für den besten<br />
Zug verbunden. Ist in bestimmten Situation doch eine genauere Analyse nötig (absolute<br />
Spitzenspieler sind in Simultan- o<strong>der</strong> Blitzpartien nicht sehr viel schlechter), werden<br />
meist höchstens die drei erfolgversprechendsten Alternativen über nur vier, fünf Halbzüge<br />
bedacht und nur in Ausnahmefällen wird ein einzelner Zug tiefer verfolgt.<br />
Was wäre eigentlich genau bewiesen, wenn sich definitiv herausstellen sollte, daß entwe<strong>der</strong><br />
bestimmte Schachmaschinen alle Menschen schlagen können o<strong>der</strong> umgekehrt sich einige<br />
Menschen als unbesiegbar erweisen? Wäre die ” prinzipielle Überlegenheit maschineller Intelligenz“<br />
gezeigt, wäre ” die menschliche Ehre gerettet“ o<strong>der</strong> wären nur in beiden Fällen<br />
ehrgeizige Männerphantasien 6 verwirklicht? Ist Schach ein geeigneter Indikator für eine<br />
umfassende, typisch menschliche Intelligenz? Die Tatsache, daß viele als hochintelligent<br />
4 Ein von Arthur Samuel Anfang <strong>der</strong> 50er Jahre entwickelter Dame-<strong>Computer</strong> ist eins <strong>der</strong> ganz wenigen<br />
erfolgreichen Beispiele für ein lernendes Programm. Je nach Erfolg o<strong>der</strong> Mißerfolg bei Anwendung <strong>der</strong><br />
Bewertungsfunktion wurden die Gewichte automatisch verän<strong>der</strong>t. Bei komplexeren Problemen wie Schach<br />
ist aber die Gefahr sehr groß, daß dieses Verfahren schnell ” aus dem Ru<strong>der</strong>“ läuft.<br />
5 Ulric Neisser (Psychologie heute (1987a), S. 68) zitiert in diesem Zusammenhang die Anekdote vom<br />
früheren Schachweltmeister Capablanca, <strong>der</strong> auf die Frage, wie viele alternative Züge er in einer schwierigen<br />
Stellung prüfe, antwortete: ” Einen, und zwar den richtigen“. Diese Anekdote ist zu schön, als daß sie<br />
nur einem gehören dürfte: Wolfgang Coy (1988b, S. 349) schreibt sie Richard Réti zu.<br />
6 Bei den Begrün<strong>der</strong>n <strong>der</strong> KI im engeren Sinne handelt es sich ausschließlich um Gründungsväter, und<br />
auch heute ist <strong>der</strong> Frauenanteil in <strong>der</strong> <strong>Informatik</strong> recht gering.<br />
Kasparow hält es für ausgeschlossen, daß jemals eine Frau die Weltmeisterschaft im Schach gegen einen<br />
Mann gewinnen kann. Karpow ist im gleichen Gespräch vorsichtiger. Für ihn hängt es davon ab, wann<br />
die Intuition im Schach eine größere Rolle spielt als Rechnen. Kasparow hält dagegen, daß die für Schach<br />
nötige Intuition eine ganz an<strong>der</strong>e sei als ” die Intuition <strong>der</strong> Frauen“; seine eigene Intuition hält er auf <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Seite für niemanden auf ein <strong>Computer</strong>programm übertragbar (Der Spiegel 40/1990, S. 253). Karpows<br />
Position wird von Hubert und Stuart Dreyfus gestützt, die einerseits die Intuition als wesentliches<br />
Element des Expertentums in allen Fachgebieten ansehen, an<strong>der</strong>erseits den geringen Anteil von Frauen<br />
im Spitzenschach damit erklären, daß sich auf Grund eines falschen Bildes über die für Schach nötigen<br />
12