σ Fachliteratur - PD Dr. Wolfgang Schindler

PD Dr. W. Schindler. Einführung in die Germanistische Linguistik – Seite 41
Bei Pronominalisierungen unterscheidet man zwischen anaphorischen (122) und kataphorischen
(123) Verweisen (Rückwärts- und Vorwärtsverweisen):
(122) In Frankreich macht Pia gerne Urlaub. Es gefällt ← ihr ← dort immer wieder sehr gut.
(123) Das → ist der Weisheit letzter Schluss:/ Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,/ Der
täglich sie erobern muss! [Goethe, Faust II, 5. Akt]
In (121) zeigt sich eine weitere textbildende Operation, die bei Wiederaufnahmen vorkommen
kann: die Abfolge unbestimmter > bestimmter Artikel (ein Bärenweibchen > das Bärenweibchen).
Da bei der Ersteinführung in den Text die Referenten öfters noch unbekannt sind, wird erst der
indefinite Artikel gewählt (außer wenn es sich um Fälle handelte wie der Mond oder der liebe
Gott). Man vgl. auch Ein Mann kam in die Kneipe. Ein/ Der Mann bestellte einen Whiskey.
8.4.3. SUBSTITUTION
Wiederaufnahme des Referenzobjektes bei Ersetzung des bezeichnenden Wortmaterials. Dieses
Verfahren dient der detaillierteren, nuancierteren Beschreibung von Referenten. Die Substitution
erfolgt oft durch sprachliche Ausdrücke, die mit dem Bezugswort in einem sprachsystematischen
Zusammenhang steht. Gemeint sind v. a. die semantischen Beziehungen der referentiellen
SYNONYMIE wie in der 47-jährige Düsseldorfer Rechtsanwalt H. J. O. ... Der Jurist ... – Sigrid ...
die Tochter von Frau Müller ... die freche Göre ... das kleine Monster ... und HYP(ER)ONYMIE wie in
der Manta ... dieser majestätische Fisch ... das schöne Tier ...
8.5. PARTIELLE REKURRENZ
liegt vor, wenn morphologische Konstituenten (Stämme) in verschiedenen Wörtern bzw. Wortbildungsprodukten
(Beispiel: Mutter ... mütterlich ... Mutterschaft ... Mutter-Tochter-Verhältnis
... bemuttern ...) auftreten. Keine Referenzidentität! Die Ausdrücke lassen sich einem gemeinsamen
thematischen Bereich zuordnen.
8.6. IMPLIZITE WIEDERAUFNAHME
Wiederaufnahme ohne Referenzidentität, zwischen denen Relationen wie Teil-Ganzes, Enthaltensein,
Einordnung unter einen gemeinsamen Wissensrahmen etc. bestehen.
(124) Gestern war ich auf einer Hochzeit. Der Bräutigam sah elend aus.
Der bestimmte Artikel lässt sich nur dann erklären (ein Bräutigam ist nicht im Vortext), wenn
man annimmt, dass mit Hochzeit „Bräutigam“ mitgesetzt ist, da zu einer Hochzeit ein Bräutigam
und eine Braut etc. gehören (Weltwissen: Hochzeits-Schema).
(125) Das graue Giebelhaus, in dem Johann Friedemann aufwuchs, (...) Durch die Haustür betrat
man (...) von der eine Treppe mit weißgemaltem Holzgeländer in die Etagen hinaufführte.
Die Tapeten des Wohnzimmers im ersten Stock zeigten (...)
8.7. ELLIPSE
Sogar etwas, das an der Textoberfläche nicht da ist, wirkt textkonstituierend: die Ellipse. Ausgelassene
Einheiten rekonstruieren wir und fügen diese in unsere mentale Textkonstruktion ein:
(126) Als ihm die Sache mit der Taube widerfuhr, die seine Existenz von einem Tag zum anderen
aus den Angeln hob, war Jonathan Noel schon über 50 Jahre alt, blickte auf
eine wohl zwanzigjährige Zeitspanne von vollkommener Ereignislosigkeit zurück und