RegJo Südniedersachsen Ausgabe 4/2012
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Text: Rüdiger Reyhn<br />
„Manchmal wünschte ich mir, kein<br />
Mandat zu haben und nicht entscheiden<br />
zu müssen“: Stoßseufzer wie der<br />
des Osteroder Abgeordneten Karl-<br />
Heinz Hausmann in öffentlicher Diskussion<br />
über die Arbeitsmarktregion<br />
Göttingen mag derzeit manch ein<br />
Kommunalpolitiker im stillen Kämmerlein<br />
hegen. Doch die gewählten<br />
Volksvertreter werden sich – das kristallisiert<br />
sich im neuen Jahr deutlich<br />
heraus – ihrer Verantwortung stellen<br />
müssen.<br />
Dabei war die Debatte um Kreisfusionen<br />
in <strong>Südniedersachsen</strong> außerhalb<br />
der Stadt Göttingen seit dem<br />
Sommer <strong>2012</strong> zu einer Schicksalsfrage,<br />
die nur von Bürgerinnen<br />
und Bürgern<br />
höchstselbst zu lösen sei,<br />
hochgejazzt worden. Aus<br />
diesem Kessel ist der<br />
Druck raus. Im Oktober<br />
mussten die Initiatoren<br />
eines Bürgerbegehrens<br />
im Landkreis Northeim<br />
kleinlaut einräumen,<br />
dass sie die für einen<br />
Bürgerentscheid erforderliche<br />
Zahl an Unterschriften<br />
nicht zusammen<br />
bekommen hatten. Anfang<br />
Dezember stimmten beim<br />
Bürgerentscheid in den Wahllokalen<br />
nicht genügend Osteröder für<br />
den Abbruch der Verhandlungen mit<br />
den Landkreisen Göttingen und Northeim.<br />
Und jetzt zeigt die vom Methodenzentrum<br />
Sozialwissenschaften der<br />
Uni Göttingen konzipierte repräsentative<br />
Bürgerbefragung im Landkreis<br />
Northeim, dass die Identifikation mit<br />
ihrem Landkreis und das Interesse<br />
an Fusionsüberlegungen eher verhalten<br />
ausgeprägt ist. Wer sich fachlich<br />
ein Urteil zutraut, tendiert zudem zur<br />
Triangellösung – Zweierfusionen mit<br />
Göttingen oder Osterode allein erreichen<br />
bei dieser Bewertung durch die<br />
Bürger nur die Plätze zwei und drei.<br />
Dass es dabei innerhalb des Landkreises<br />
Northeim zu unterschiedlichen<br />
Einschätzungen der Befragten<br />
kommt, kann nicht überraschen: Die<br />
Menschen in Einbeck und Dassel tendieren<br />
eher zu Göttingen, das Alte<br />
Amt und Bad Gandersheim favorisieren<br />
mehrheitlich ein Zusammengehen<br />
mit Osterode. Von einer einhelligen<br />
Ablehnung der Bildung eines<br />
Großkreises Göttingen und leidenschaftlichem<br />
Kampf für den Erhalt des<br />
eigenen Landkreises kann jedenfalls<br />
keine Rede sein – noch dazu, wenn die<br />
Fusion auf freiwilliger Basis erfolgt.<br />
Auf dieses Votum „von unten“<br />
hatte die bisherige Landtagsmehrheit<br />
immer gewartet. Die Spitzenkandi-<br />
daten für die Wahl am 20. Januar –<br />
CDU-Mann David McAllister und der<br />
Sozialdemokrat Stephan Weil – hatten<br />
im Wahlkampf angekündigt, in<br />
der neuen Legislaturperiode werde<br />
es zu Vorgaben des Landes kommen.<br />
Wer jedoch die Wahlprogramme der<br />
Parteien nach klaren Aussagen zu<br />
Stichworten wie Gebiets- oder Funktionalreform<br />
fahndet, wird nicht fündig.<br />
Hier herrscht quasi eine ganz<br />
große Koalition der Schweiger. Alle<br />
Parteien mutmaßen offenbar, mit<br />
diesem Thema im Wahlkampf nicht<br />
punkten zu können. Umso spannender<br />
dürfte dann die Debatte ab dem<br />
21. Januar werden.<br />
<strong>RegJo</strong> SüDnIeDeRSACHSen FuSion 105<br />
Leidenschaft sieht anders aus<br />
In der Debatte um die Landkreisfusion zeigen die Bürger nur mäßiges Interesse – die Kommunalpolitik<br />
und der künftige Landtag sind weiterhin in der Pflicht.<br />
Die künftigen Diskussionen können<br />
sich durchaus der Einschätzungen<br />
aus der repräsentativen Umfrage<br />
im Landkreis Northeim bedienen.<br />
Viele Menschen äußern dort Furcht<br />
vor zu großen Entfernungen innerhalb<br />
eines neugebildeten Großkreises<br />
Göttingen. Auf der Basis der bisherigen<br />
Angebote in der Fläche, zu denen<br />
Kfz-Zulassungsstellen ebenso gehören<br />
wie Jugendämter, Kreisstraßenmeistereien,<br />
Deponien und Kreisvolkshochschulen,<br />
wird die Kommunalpolitik<br />
Kreativität beweisen müssen. Entweder<br />
müssen Dienstleistungen temporär<br />
vorgehalten – oder aber es müssen<br />
mobile Angebote geschaffen<br />
werden.<br />
In Verbindung mit der<br />
Nutzung moderner Kommunikationstechnologie<br />
sind<br />
beide Ansätze kein Hexenwerk:<br />
Kreisbeschäftigte<br />
können auch im Kleinbus<br />
über die Dörfer fahren,<br />
Anträge entgegennehmen<br />
und Beratungen<br />
vornehmen. Oder die<br />
Kreisverwaltung richtet so<br />
etwas wie ein Home-Office<br />
in den Gemeinden ein. Von<br />
hier aus können Gespräche per<br />
Skype mit den Verwaltungsstellen<br />
geführt werden. Durch solche<br />
Internet-basierten Dorfbüros lässt sich<br />
im Zweifel auch innerhalb eines großen<br />
Landkreises ein Mehr an Bürgernähe<br />
erreichen – zumal hier persönliche<br />
Kontakte entstehen können und<br />
vielfach Wartezeiten entfallen.<br />
Solche Entwicklungen brauchen<br />
ihre Zeit. Doch die haben sie auch.<br />
Denn eine Kreisfusion wird vermutlich<br />
erst 2016 umgesetzt. Wenn es<br />
gelingt, die damit entstehenden Chancen<br />
für mehr Bürgernähe sowie Kompetenz<br />
und Preiswürdigkeit kommunaler<br />
Dienstleistungen zu nutzen,<br />
kann in wenigen Jahren das Staunen<br />
darüber groß sein, dass sich die Region<br />
im Jahr 2013 mit der Bildung eines<br />
modernen Großkreises so schwer tat.<br />
Landes- und Kommunalpolitik jedenfalls<br />
sind jetzt gefordert.<br />
Bild: aey – fotolia.com