RegJo Südniedersachsen Ausgabe 4/2012
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12 PRoFeSSoRenGeSPRäCh <strong>RegJo</strong> SüDnIeDeRSACHSen <strong>RegJo</strong> SüDnIeDeRSACHSen PRoFeSSoRenGeSPRäCh 13<br />
Eine Justiz am Gängelband?<br />
Hans-Dieter Apel, Leitender oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft göttingen, und Werner Heun, Staatsrechtler an der<br />
Universität göttingen, im 13. Professorengespräch über die Unabhängigkeit und Beeinflussbarkeit der Justiz.<br />
gesprächsleitung: Sven grünewald Fotografie: Marco Bühl<br />
Mit was für einem medialen Bild des Staatsanwalts haben wir es zu<br />
tun und wie viel hat das eigentlich mit der Realität gemein?<br />
Apel: Mit der Darstellung des Staatsanwalts in deutschen Krimis<br />
kann ich noch leben. Er ist dort jemand im Hintergrund, der gelegentlich<br />
die Arbeit der Polizei behindert, aber gebraucht wird,<br />
wenn etwa ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss beantragt<br />
werden muss. Der Staatsanwalt hat eine Sekretärin und ein schönes<br />
Dienstzimmer, in dem sich nur die Akte des gerade bearbeiteten<br />
Falles befindet. Das hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun.<br />
Problematischer sind amerikanische Krimis, weil diesen ein anderes<br />
Rechtssystem zugrunde liegt. Der Staatsanwalt ermittelt oft sehr<br />
einseitig gegen den Angeklagten. Der Verteidiger bildet den Gegenpol,<br />
der sich um den Nachweis der Unschuld seines Mandanten<br />
bemühen muss. Das vermittelt ein Bild, das mit unserer Realität<br />
gar nichts zu tun hat. Die Staatsanwaltschaft ist zwar die Anklagebehörde,<br />
das bedeutet aber nur, dass sie die einzige Behörde ist, die<br />
Anklage erheben darf. Tatsächlich wird aber nur in relativ wenigen<br />
Fällen, nämlich in etwa 30% der Ermittlungsverfahren Anklage<br />
erhoben und 70% werden eingestellt. Wir müssen also sehr genau<br />
prüfen, ob die Verdachtsmomente für eine Verurteilung ausreichen<br />
und müssen oft auch zu Unrecht Beschuldigte vor einer falschen<br />
Verdächtigung schützen.<br />
Heun: Ich glaube auch, dass das Image eines Staatsanwaltes mehr<br />
durch die amerikanischen Krimis gebildet wird als durch die Bilder<br />
deutscher Staatsanwälte, die im Tatort herumgeistern. Damit wird<br />
natürlich eine falsche Vorstellung, sozusagen ein Imageproblem,<br />
erzeugt. Aber das wird man nicht ohne weiteres wegbekommen.<br />
Wie viele Verfahren stehen denn wie vielen Staatsanwälten im<br />
Bezirk göttingen (Landkreise göttingen, northeim, osterode am<br />
Harz) gegenüber?<br />
Apel: Wir haben 37 Dezernenten, die etwa 37.000 Verfahren im<br />
Jahr bearbeiten, wobei der Zeitaufwand sehr unterschiedlich ist:<br />
Für ein Standardverfahren werden 110 Minuten gerechnet, für<br />
ein Kapitalverbrechen 2.000 Minuten. Im Moment haben wir aber<br />
zurückgehende Fallzahlen im Bereich der Strafrechtspflege. Das ist<br />
eine allgemeine Tendenz bedingt auch durch den demografischen<br />
Wandel: Die 14- bis 30-Jährigen sind strafrechtlich aktiver als die<br />
60- bis 85-Jährigen. Bloß, es gibt manchmal Entwicklungen, die<br />
diese Statistik ad absurdum führen und die mit der zunehmenden<br />
Spezialisierung zusammenhängen: Wir sind seit <strong>2012</strong> Schwerpunktstaatsanwaltschaft<br />
für IuK-Kriminalität. Da haben wir ein<br />
Verfahren, das allein schon über 24.000 Einzelverfahren gebracht<br />
hat und wir haben aus dem ganzen Bundesgebiet von anderen<br />
Staatsanwaltschaften über 20.000 Verfahren übernommen.<br />
Heun: Seit dem Höhepunkt der Kriminalität Ende der 60er, Anfang<br />
der 70er Jahre gibt es generell einen relativ deutlichen Rückgang<br />
der Kriminalität. Das kommt allerdings im öffentlichen Bewusstsein<br />
überhaupt nicht zum Ausdruck, denn da ist das Gefährdungsgefühl<br />
viel größer. Es ist sozusagen umgekehrt proportional<br />
gestiegen.<br />
Apel: Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wird eben sehr stark<br />
durch Medien beeinflusst und wenn über denselben Fall in verschiedenen<br />
Medien berichtet wird, wird die Gefahrenwahrnehmung<br />
übersteigert. Wenn etwa über eine Kindstötung medienübergreifend<br />
breit berichtet wird, dann gerät darüber in Vergessenheit,<br />
dass es in dem Jahr vielleicht „nur“ 15 Kindestötungen bundesweit<br />
gab und das sehr viel weniger sind als in früheren Jahren. Man<br />
muss sich einmal die Gewichtung anschauen: Von der Staatsanwaltschaft<br />
Göttingen werden jährlich circa 6.000 Verfahren durch<br />
Anklage oder Strafbefehl abgeschlossen. Davon entfallen nur 70<br />
Anklagen einschließlich Tötungsdelikte (1,3 %) auf das Landgericht.<br />
Und auf diesen kleinen Teil konzentriert sich 95% der<br />
Presseberichterstattung.<br />
einmal grundsätzlich: Warum haben wir überhaupt eine<br />
gewaltenteilung?<br />
Heun: Allgemein wird angenommen, dass sich die Gewalten gegenseitig<br />
hemmen, ausbalancieren, begrenzen, damit der einzelne