RegJo Südniedersachsen Ausgabe 4/2012
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14 PRoFeSSoRenGeSPRäCh <strong>RegJo</strong> SüDnIeDeRSACHSen <strong>RegJo</strong> SüDnIeDeRSACHSen PRoFeSSoRenGeSPRäCh 15<br />
Bürger entsprechende Freiräume hat. Der andere Gesichtspunkt<br />
ist eine effektive, leistungsfähige Staatsorganisation. Die ist von<br />
Anfang an einer der Grundgedanken der Gewaltenteilung gewesen.<br />
Und das heißt, dass die Staatsgewalten ineinander greifen,<br />
sich gegenseitig ergänzen. So soll auch eine möglichst optimale<br />
demokratische Legitimation erreicht werden.<br />
existiert denn eine reale gewaltenteilung oder ist es nicht eher<br />
so, dass die Justiz eine nachgeordnete Behörde der exekutiven,<br />
also der Bundes- und Landesregierungen, ist, wie es etwa die<br />
neue Richtervereinigung beschreibt?<br />
Heun: Das wird man sicher nicht sagen können. Erstens muss<br />
man natürlich die gesamte Gewaltenteilung in den Blick nehmen.<br />
Wir haben ja nicht nur die Exekutive, die Justiz und vor<br />
allem das Parlament, sondern auch eine vertikale Gewaltenteilung<br />
über den Föderalismus mit dem Bundesrat. Außerdem<br />
haben wir noch besondere Kontrollorgane wie den Bundesrechnungshof.<br />
Innerhalb dieses Rahmens kann man sagen, dass es<br />
zwischen Exekutive und Parlament eine sehr enge Verbindung<br />
gibt, die Justiz aber relativ stark abgetrennt ist, um ihre Unabhängigkeit<br />
zu sichern. Sie ist aufgrund ihrer Unabhängigkeit aber<br />
relativ wenig demokratisch legitimiert – nur die obersten Spitzen<br />
der Gerichtsbarkeit, also das Bundesverfassungsgericht und<br />
die Richter der obersten Bundesgerichte, sind stärker demokratisch<br />
legitimiert. In den anderen Fällen wird das im Wesentlichen<br />
durch die Exekutive gemacht.<br />
Apel: Formal gibt es den unabhängigen Richter, aber nicht den<br />
unabhängigen Staatsanwalt. In der Praxis sind die Unterschiede<br />
jedoch sehr gering. Ganz deutlich wird die faktische Unabhängigkeit<br />
der Staatsanwaltschaften bei bestimmten Verfahren. Es<br />
Prof. Werner heun<br />
Ich bin seit 1990 Professor an der<br />
Rechtswissenschaftlichen Fakultät<br />
der Universität göttingen und Direktor<br />
des Instituts für Allgemeine Staatslehre<br />
und Politische Wissenschaften und<br />
Autor zahlreicher wissenschaftlicher<br />
Publikationen. Meine Forschungsschwerpunkte<br />
umfassen unter anderem<br />
deutsches und amerikanisches<br />
Verfassungsrecht, europäische und<br />
amerikanische Verfassungsgeschichte,<br />
Finanzrecht, Kirchenrecht, Staatstheorie<br />
und Medizinrecht.<br />
gibt immer wieder Ermittlungen gegen führende Politiker, aktuell<br />
etwa gegen den Bundespräsidenten. Das macht deutlich, wie<br />
unabhängig Justiz und Staatsanwaltschaften agieren können.<br />
In Deutschland ist die Staatsanwaltschaft dem Justizministerium<br />
mit seinem Weisungsrecht zugeordnet – in europa ist dies in<br />
der überwiegenden Zahl der Länder anders. Dort ist die Justiz in<br />
Selbstverwaltungsstrukturen eingebunden, die auch die Staatsanwaltschaften<br />
umfasst, siehe etwa Italien.<br />
Apel: Vom Selbstverständnis her ist ein Staatsanwalt einem Richter<br />
gleich, das muss man deutlich machen. Das zeigt sich auch in der<br />
Ausbildung in Niedersachsen: Die Nachwuchskräfte in der Justiz<br />
durchlaufen als Assessoren Landgericht, Amtsgericht und Staatsanwaltschaft<br />
und erst danach entscheiden sie sich, ob sie sich auf<br />
eine Planstelle als Richter oder als Staatsanwalt bewerben. Und<br />
das System bleibt durchlässig – man kann sich als Staatsanwalt auf<br />
eine Richterstelle bewerben und umgekehrt. Staatsanwälte entscheiden<br />
auch einen ganz hohen Prozentsatz ihrer Verfahren wie<br />
ein Richter.<br />
Heun: Wir haben eine gewisse Diskrepanz zwischen den beiden<br />
Bereichen. In der Realität verschwimmen die Unterschiede sehr<br />
viel stärker, während die Verfassung eine richterliche Unabhängigkeit<br />
vorgibt, die für die Staatsanwaltschaft ganz sicher nicht<br />
gegeben ist.<br />
Warum gibt es denn keine vom Weisungsrecht unabhängigen<br />
Staatsanwaltschaften in Deutschland?<br />
Apel: Die eigentliche Bedeutung des Weisungsrechts liegt im<br />
Bereich der allgemeinen Weisungen. Nur durch generelle Richtlinien<br />
lässt sich landesweit eine einheitliche staatsanwaltliche<br />
hans-dieter apel<br />
Seit 1979 bin ich bei der Staatsanwaltschaft göttingen<br />
tätig und habe dort zunächst erwachsenen- und<br />
Jugendstrafsachen und ab 1981 Wirtschafts- und<br />
Umweltstrafsachen bearbeitet. 1992 wurde mir die Leitung<br />
der Abteilung für Wirtschafts- und Umweltstrafsachen<br />
und im Jahr 2000 die Leitung der Staatsanwaltschaft<br />
göttingen übertragen. ein besonderes Interesse<br />
habe ich weiterhin an Wirtschaftsstrafsachen und neuen<br />
erscheinungsformen der Kriminalität, insbesondere<br />
der Computer- und Internetkriminalität (IuK-Kriminalität).<br />
Seit 1.1.<strong>2012</strong> ist die Staatsanwaltschaft göttingen<br />
Schwerpunktstaatsanwaltschaft für IuK-Kriminalität für<br />
die Landgerichtsbezirke Braunschweig und göttingen.<br />
Rechtsanwendung, etwa zur Einstellung von Bagetelldelikten,<br />
sicherstellen. Weisungen im Einzelfall sind dagegen die absolute<br />
Ausnahme. Als Behördenleiter würde ich einem Dezernenten, der<br />
ein Verfahren einstellen möchte, nicht die Weisung erteilen, entgegen<br />
seiner Rechtsüberzeugung Anklage zu erheben. In diesem Fall<br />
würde ich von der Möglichkeit Gebrauch machen, das Verfahren<br />
einem anderen Dezernenten zu übertragen, damit dieser es nochmals<br />
selbständig prüft. Aber auch solche Fälle sind äußerst selten.<br />
Bei den etwa 37.000 Ermittlungsverfahren im Jahr muss ich mich<br />
darauf verlassen, dass die Kollegen eigenverantwortlich handeln<br />
und entscheiden. Angesichts des zurückhaltenden Gebrauchs des<br />
Weisungsrechts wird es in der staatsanwaltlichen Praxis nicht als<br />
Problem angesehen. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die Generalstaatsanwälte<br />
in Niedersachsen schon seit vielen Jahren keine<br />
politischen Beamten mehr sind, die jederzeit ohne Angabe von<br />
Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können.<br />
Sie stehen deshalb nicht mehr unter dem Zwang, ihre Amtsausübung<br />
ständig an den grundsätzlichen politischen Ansichten<br />
und Zielen der Regierung zu orientieren, sondern können eigene<br />
Ansichten auch im Widerspruch zur Regierung vertreten.<br />
Heun: Die Verfassung schreibt vor, dass aus Gründen der demokratischen<br />
Legitimation die Staatsanwaltschaft in eine hierarchische<br />
Behördenstruktur eingebunden sein muss und das schließt das<br />
Weisungsrecht, vom Minister abwärts bis zum letzten Beamten,<br />
ein. Daher wäre es formal schwer, das Weisungsrecht abzuschaffen.<br />
Man muss auch Folgendes sehen: Bei den Gerichten haben<br />
wir eine gewisse Koordination durch den Instanzenzug mit den<br />
obersten Gerichten an der Spitze. Die erlassen zwar keine für die<br />
unteren Gerichte bindenden Entscheidungen, aber faktisch haben<br />
sie diese weitgehend vereinheitlichende Wirkung. Wenn es jetzt<br />
bei der Staatsanwaltschaft kein Weisungsrecht gäbe, gäbe es sozusagen<br />
keine überörtliche Koordinierungsmöglichkeit für einheitliche<br />
Regeln.<br />
gegen das Weisungsrecht als organisationsprinzip ist aus praktischer<br />
notwendigkeit überhaupt nichts einzuwenden. nur ist die<br />
Frage, ob es von einem Minister ausgehen sollte oder von einer –<br />
unabhängigen – Selbstverwaltung der Justiz.<br />
Apel: Es gibt da berechtigte Fragen: Wie kann sich ein Dezernent<br />
gegen eine nach seiner Auffassung unrechtmäßige Weisung zur<br />
Wehr setzen? Muss nicht ein Gremium zwischengeschaltet werden,<br />
das diese Weisung überprüft? Und sollte nicht das Weisungsrecht<br />
in bestimmten Bereichen begrenzt und etwa einem Justizverwaltungsrat<br />
übertragen werden? Diese Abkopplung von der politischen<br />
Ebene ist mit unserer Verfassung aber nur schwer vereinbar. Und<br />
Änderungs- oder Reformbedarf wird wenig gesehen, weil die politische<br />
Ebene – von ganz seltenen Fällen abgesehen – in den Normalbetrieb<br />
überhaupt nicht eingreift.<br />
Schwierig sind Fälle, die geheimdienstarbeit oder die „Staatsräson“<br />
tangieren. es gibt mehrere Beispiele in der deutschen geschichte,<br />
wo man fragen kann: Warum gibt es keine stärkere oder überhaupt<br />
eine ermittlungstätigkeit? Beispielsweise der RAF-Komplex, wo<br />
eine Verbindung mit dem Verfassungsschutz naheliegt. oder der<br />
Fall Barschel, in welchem dem Lübecker oberstaatsanwalt Wille<br />
von Vorgesetzten Steine in den Weg gelegt wurden und das politische<br />
Desinteresse auffällig groß war. es gibt wichtige gesellschaftliche<br />
Bereiche, in denen das politische Interesse groß ist, bestimmte<br />
ermittlungen zu verhindern oder zu beeinflussen.<br />
Apel: Es ist problematisch, sehr lange zurückliegende Fälle, als<br />
man vielleicht auch ein anderes Verständnis des Verhältnisses Poli