„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...
„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...
„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Stiller als Wasser, tiefer als Gras“ 15<br />
Sowjetunion zurück. Nach Zemskov lag die Zahl <strong>der</strong> sowjetischen Remigranten aus allen Teilen<br />
<strong>der</strong> Welt bei insgesamt 106.835 Personen, 1.420 Russen kamen allein aus Frankreich. 36<br />
Eine Son<strong>der</strong>gruppe: Kollaborateure und<br />
Angehörige <strong>der</strong> Vlasov-Armee<br />
Die Gruppe <strong>der</strong> Kollaborateure bildete ein beson<strong>der</strong>es Kontingent innerhalb <strong>der</strong> DP-Population.<br />
Im sowjetischen Diskurs bedeutete Kollaboration etwas an<strong>der</strong>es als im westlichen, da in <strong>der</strong><br />
UdSSR potenziell je<strong>der</strong> Heimkehrer unter dem Verdacht <strong>der</strong> Kollaboration stand. Für die „alten“<br />
Emigranten <strong>der</strong> Revolution und des Bürgerkrieges galt dies in beson<strong>der</strong>em Maße. Bereits<br />
vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Westeuropa extrem nationalistisch orientierte, antibolschewistische<br />
russische Emigrantenorganisationen, die in Hitler den „Befreier“ Russlands zu<br />
sehen glaubten. Die Mitglie<strong>der</strong> von Organisationen wie <strong>der</strong> Russischen Nationalfront (RNF)<br />
und ihrer Unterorganisation, <strong>der</strong> Russischen National- und Sozialbewegung (RNSD), 37 aber<br />
auch <strong>der</strong> Nationalen Arbeitsunion (NTS), die für die Nachkriegszeit eine große Rolle spielen<br />
sollte, waren überzeugte Antibolschewisten, die von <strong>der</strong> Sowjetunion zu Recht als ideologische<br />
Feinde betrachtet wurden. Diejenigen von ihnen, die auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Deutschen gegen die<br />
Sowjetunion kämpften – ob an <strong>der</strong> Waffe o<strong>der</strong> als Übersetzer, Journalisten etc. –, wähnten sich<br />
in einem „Kampf für die Befreiung Russlands“, ignorierten dabei aber weitgehend die Kriegsallianz<br />
<strong>der</strong> Sowjetunion mit den westlichen Alliierten. Zudem zeigen die Konzessionen, die sie<br />
<strong>der</strong> nationalsozialistischen Ideologie in ihren Programmen machten, dass sie dieser durchaus<br />
auch Sympathien entgegenbrachten. 38<br />
Zum Symbol <strong>der</strong> sowjetischen Kollaboration schlechthin wurden jedoch nicht die Organisationen<br />
<strong>der</strong> „alten“ Emigranten, son<strong>der</strong>n die Russische Befreiungsarmee (ROA) unter General<br />
Andrej Vlasov und das mit ihr in Verbindung stehende „Komitee zur Befreiung <strong>der</strong> Völker<br />
Russlands“ (KONR). 39 Andrej Andreevič Vlasov, 1900 in Lomakino bei Nižnyj Novgorod<br />
geboren, diente seit 1918 in <strong>der</strong> Roten Armee. 1930 wurde er Mitglied <strong>der</strong> KPdSU, 1938 Militärberater<br />
in China. Als Befehlshaber <strong>der</strong> 20. sowjetischen Armee warf er 1941 die deutschen<br />
Truppen vor Moskau zurück und galt danach – zumindest berichten dies seine Apologeten – als<br />
legendärer „Verteidiger Moskaus“. Nach seiner Gefangennahme im Kessel von Volchov 1942<br />
stellte er den Deutschen seine Dienste zur Verfügung und gründete ein antisowjetisches nationalistisches<br />
„Russisches Komitee“. Erst im Herbst 1944 erhielt er die Erlaubnis <strong>der</strong> Deutschen,<br />
aus <strong>russischen</strong> Kriegsgefangenen zwei Divisionen zu bilden. Bei Kriegsende begab sich Vlasov<br />
mit seinen Truppen in amerikanische Gefangenschaft, wurde jedoch an die Sowjets ausgeliefert<br />
und Anfang August 1946 in Moskau hingerichtet. Die symbolische Bedeutung <strong>der</strong> Russischen<br />
Befreiungsarmee unter General Vlasov war wesentlich größer als ihre tatsächliche militärische,<br />
da sie insgesamt nie mehr als 55.000 bis 60.000 Soldaten umfasste und erst gegen Kriegsende<br />
überhaupt eingesetzt wurde. 40 Damit war ihr Anteil an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> sowjetischen Kollaborateure,<br />
die auf insgesamt etwa eine Million „Hilfswillige“ und „Freiwillige“ gegen Kriegs-<br />
36<br />
Zemskov, V.N.: Repatriacija sovetskich graždan i ich dal’nejšaja sud’ba (1944–1956) [Die Repatriierung sowjetischer<br />
Bürger und ihr weiteres Schicksal, 1944–1956], in: Socis 6/1995, S. 3–13, hier S. 8.<br />
37<br />
RNF – Rossijskij Nacional’nyj Front; RNSD – Rossijskoe Nacional’noe i Social’noe Dviženie. Beide waren 1938<br />
und 1939 bis zur Unterzeichnung des Molotov-Ribbentrop-Paktes am 23. August 1939 in Deutschland aktiv. Nach<br />
dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und bis Kriegsende lebten ihre Aktivitäten wie<strong>der</strong> auf.<br />
Zu ihrem politischen Programm und ihren Aktivitäten vgl. Dvinov, Boris L.: Politics of the Russian Emigration,<br />
RAND Paper P-768, 1. Oktober 1955, S. 14–22.<br />
38<br />
Vgl. Dvinov: Politics of the Russian Emigration, passim.<br />
39<br />
ROA – Russkaja Osvoboditel’naja Armija; KONR – Komitet za osvoboždenie narodov Rossii.<br />
40<br />
Detaillierter zur Geschichte <strong>der</strong> Vlasov-Bewegung vgl. Aronson, Grigorij: Pravda o vlasovcach. Problemy novoj<br />
emigracii [Die Wahrheit über die Vlasov-Anhänger. Probleme <strong>der</strong> neuen Emigration], New York 1949; Reitlinger:<br />
Ein Haus auf Sand gebaut, S. 337–464; zur Biografie Vlasovs vgl. Fischer: Soviet Opposition to Stalin, S. 25–41.