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„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...

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20 Anne Kuhlmann-Smirnov<br />

(Lager Karlsfeld, Lager „SS-Kaserne“, Lager Schleißheim-Feldmoching). Er war Mitglied <strong>der</strong><br />

<strong>russischen</strong> Scout-Bewegung und hatte über seinen Bru<strong>der</strong> früh Kontakt zu <strong>der</strong> Organisation<br />

NTS. In München studierte er ab 1946 an <strong>der</strong> UNRRA-Universität Agrar- und Forstwirtschaft.<br />

1948 absolvierte er zusätzlich eine dreimonatige Ausbildung als Elektriker bei <strong>der</strong> IRO. Wegen<br />

<strong>der</strong> Invalidität seines Vaters wan<strong>der</strong>te er mit seiner Familie nicht aus. 1951 heiratete er eine<br />

russische Studentin aus Polen, eine Überlebende <strong>der</strong> deutschen Konzentrationslager. 1967<br />

wurde ein Sohn geboren. 1945 arbeitete Sergej in einer amerikanischen Armeeküche, ab 1948 in<br />

einer <strong>russischen</strong> Druckerei, danach in <strong>der</strong> Druckerei des Verlags Posev. Seit den fünfziger<br />

Jahren war er bis zu seiner Pensionierung bei Radio Liberty tätig.<br />

Schriftliche Quellen<br />

Die wichtigsten <strong>der</strong> schriftlich festgehaltenen, veröffentlichten o<strong>der</strong> unveröffentlichten Erinnerungen,<br />

mit denen im Folgenden gearbeitet wird, sollen hier im Überblick kurz vorgestellt<br />

werden. Unabhängig davon, ob sie für die Öffentlichkeit o<strong>der</strong> für Freunde o<strong>der</strong> Familienmitglie<strong>der</strong><br />

geschrieben wurden, besitzen sie im Vergleich zu den Interviews nicht nur klarere<br />

narrative Strukturen im Sinne einer Organisation von erlebter Vergangenheit, son<strong>der</strong>n auch<br />

stärker entwickelte Interpretationen und Wertungen. Was für mündliche Aussagen über die<br />

erlebte Vergangenheit konstatiert wurde, gilt damit um so mehr für Aussagen in schriftlicher<br />

Form: Sie stellen eine Wirklichkeitskonzeption ihrer Urheber dar, die zum einen im Kontext<br />

dessen zu lesen ist, was über eine geschichtliche Zeit überliefert ist, zum an<strong>der</strong>en aber immer<br />

auch auf dem Hintergrund ihrer persönlichen biografischen Entwicklung und Situation.<br />

Aleksej Nekljudov:<br />

Wie wir die Sowjetunion verließen und nach Amerika kamen, 1941–1956 48<br />

Aleksej Nekljudov, 1912 in Taganrog geboren, flüchtete mit seiner Frau, seiner vierjährigen<br />

Tochter Olga und seiner Schwiegermutter beim Rückzug <strong>der</strong> deutschen Wehrmacht aus Taganrog<br />

über Dnepropetrovsk nach Lvov (Lemberg). Im Dezember 1943 gelang es ihm, vom „Institut<br />

für Deutsche Ostarbeit“ in Lvov als Ingenieur in die Wiener Neustätter Flugzeugwerke<br />

geschickt zu werden. Von April bis August 1945 lebte die Familie in einem Übergangslager <strong>der</strong><br />

Flugzeugwerke unweit <strong>der</strong> österreichisch-deutschen Grenze. Danach siedelte sie nach Göttingen<br />

in die britisch besetzte Zone Deutschlands über, wo die Schwester Nekljudovs, die 1944 die<br />

deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hatte, mit ihrer Familie lebte. Auch ein Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> nach<br />

<strong>der</strong> Oktoberrevolution 1917 nach Jugoslawien geflohen war, lebte inzwischen bei <strong>der</strong> Familie in<br />

Göttingen. Mit Hilfe seiner Schwester gelang es Nekljudov, eine Wohnung zu finden und ohne<br />

die Unterstützung von UNRRA und IRO in Deutschland zu leben. Er fand Arbeit im Göttinger<br />

Reichsbahn-Ausbesserungwerk und bewarb sich schließlich im November 1948 bei <strong>der</strong> IRO um<br />

Auswan<strong>der</strong>ung in die USA. Im Oktober 1949 emigrierte die Familie in die Vereinigten Staaten.<br />

Die Geschichte <strong>der</strong> Flucht aus <strong>der</strong> Sowjetunion und des Aufenthaltes <strong>der</strong> Familie in Österreich<br />

und Deutschland bis zur Auswan<strong>der</strong>ung nach Amerika und den ersten Jahren des Einlebens<br />

schrieb Nekljudov 1979 für seine Tochter Olga. Sie wurde nicht veröffentlicht. Im Aufbau an<br />

<strong>der</strong> Chronologie <strong>der</strong> Ereignisse orientiert und mit geradezu technischer Exaktheit werden alle<br />

Einzelschritte, bürokratischen Abläufe und Entscheidungen <strong>der</strong> Familie rekonstruiert. Die<br />

Memoiren enden im Jahre 1957, in dem Olga als letztes Familienmitglied die amerikanische<br />

Staatsbürgerschaft erhielt. Der heute neunzigjährige Nekljudov lebt mit seiner Frau in Kalifornien<br />

und reagierte nicht nur erfreut auf mein Interesse an seinen Erinnerungen, son<strong>der</strong>n beantwortete<br />

auch sehr offen einige Rückfragen meinerseits.<br />

48 Nekljudov, Aleksej: Kak my ušli iz Sovetskogo Sojuza i popali v Ameriku, 1941–1956 [Wie wir die Sowjetunion<br />

verließen und nach Amerika kamen, 1941–1956], unveröffentlichtes Manuskript, 1979. Die bei Kriegsende 13jährige<br />

Nichte Nekljudovs, die damals in Göttingen lebende Oksana Antich, stellte mir freundlicherweise das unveröffentlichte<br />

Manuskript <strong>der</strong> Erinnerungen ihres Onkels zur Verfügung und vermittelte auch den persönlichen Kontakt.<br />

Ihr sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

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