„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...
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„Stiller als Wasser, tiefer als Gras“ 41<br />
gungen ab, unter denen die Repatriierung unter Zwang verhin<strong>der</strong>t werden konnte und verkündete,<br />
die <strong>DPs</strong> des Lagers Funkturm seien polnische Staatsbürger. Insgesamt 618 <strong>DPs</strong> ließen sich<br />
auf eine entsprechende Liste setzen, die von <strong>der</strong> Besatzungsbehörde akzeptiert wurde. In <strong>der</strong><br />
Folge kam es zwar dennoch zur Überstellung <strong>der</strong> Gruppe in ein sowjetisches Repatriierungslager,<br />
doch gelang es letztlich, die Rückführung <strong>der</strong> <strong>DPs</strong> in die Sowjetunion zu verhin<strong>der</strong>n und sie<br />
in einem polnischen Lager in Hannover unterzubringen. 115<br />
Da die Auslandskirche von Anfang an unter denselben äußeren Bedingungen wie ihre Mitglie<strong>der</strong><br />
existierte, entwickelte sie ähnliche Handlungsmuster wie diese in Bezug auf die Repatriierung.<br />
Auch die Auswan<strong>der</strong>ung aus Deutschland in Drittlän<strong>der</strong> entwickelte sich parallel, indem<br />
einerseits die Mitglie<strong>der</strong> ihrer Kirche folgten, an<strong>der</strong>erseits die „Kirchenverwaltung immer<br />
wie<strong>der</strong> zu einer Neuordnung des kirchlichen Lebens in <strong>der</strong> Diaspora“ gezwungen war. 116 Gernot<br />
Seide berichtet von Gemeinden, die gemeinsam mit ihrem Geistlichen auswan<strong>der</strong>ten, und dies<br />
bereits in den deutschen DP-Lagern gemeinsam planten:<br />
Als zum Beispiel eine Gruppe von 7000 Flüchtlingen ein Angebot zur Übersiedlung nach<br />
Paraguay erhielt, wurden konkrete Pläne zur Gründung von zwei <strong>russischen</strong> Siedlungen<br />
ausgearbeitet. Die Bindung und die Bedeutung <strong>der</strong> Kirche für diese Flüchtlinge wird<br />
deutlich, wenn man sieht, dass im Zentrum <strong>der</strong> neuen Siedlungen die Kirche stand, die<br />
Wohnhäuser gruppierten sich um dieses Zentrum herum. 117<br />
Margarethe Gabriel, eine Mitarbeiterin <strong>der</strong> Tolstoy Foundation, die insbeson<strong>der</strong>e russische <strong>DPs</strong><br />
im Auswan<strong>der</strong>ungsverfahren unterstützte, hat in unserem Gespräch die Bedeutung von Geistlichen<br />
als Partnern bei <strong>der</strong> Organisation von Auswan<strong>der</strong>ungen bestätigt. Die meisten <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />
Auslandskirche organisierten Migrationen führten nach Südamerika. Nach Seide wurden russisch-orthodoxe<br />
Christen vor allem in Argentinien, Chile, Brasilien, Paraguay, aber auch Kanada,<br />
Australien, Italien und Griechenland ansässig. Als eine <strong>der</strong> letzten Gemeinden, die gemeinsam<br />
mit ihren Priestern auswan<strong>der</strong>ten, emigrierte die Heidelberger russische Gemeinde mit 130<br />
Mitglie<strong>der</strong>n in die USA, wo sie ihre Kirche neu errichteten. 118<br />
Russische DP-Organisationen<br />
In <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> vierziger Jahre wurden die drei von den Westalliierten besetzten<br />
Zonen Deutschlands zum Zentrum <strong>der</strong> <strong>russischen</strong> Emigration in Europa. Beson<strong>der</strong>e Bedeutung<br />
kam dabei den DP-Lagern zu. Hier wurden die ersten Veteranenorganisationen <strong>der</strong> Russischen<br />
Befreiungsarmee (ROA) gegründet, von denen sich jede in <strong>der</strong> Nachfolge General Vlasovs sah.<br />
Die politischen Positionen <strong>der</strong> vielen Einzelorganisationen zu beschreiben, würde den Rahmen<br />
dieser Arbeit sprengen. Die wichtigsten waren ACODNR (Antibol’ševistskij Centr Osvoboditel’nogo<br />
Dviženija Narodov Rossii), KOV (Komitet Ob’’edinennych Vlasovcev), SAF (Sojuz<br />
Andreevskogo Flaga), SVOD (Sojuz Voinov Osvoboditel’nogo Dviženija) und SBONR (Sojuz<br />
Bor’by za Osvoboždenie Narodov Rossii), von denen SBONR die „liberalsten“ Positionen<br />
vertrat. 119 Die in diesem Zusammenhang in <strong>der</strong> Emigrantenpresse auftretenden Diskurse wurden<br />
als „Kampf um das Erbe Vlasovs“ geführt, auf das jede Gruppe ein Monopol erhob. Gleichzei-<br />
115 Archimandrit Nafanail L’vov: Vospominanija o bor’be s nasil’stvennoj repatriaciej v Gamburge v 1945 g. [Erinnerungen<br />
an den Kampf gegen die Zwangsrepatriierung in Hamburg 1945], in: Der Bote <strong>der</strong> deutschen Diözese <strong>der</strong><br />
Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland (Vestnik Germanskoj Eparchii Russkoj Pravoslavnoj Cerkvi za granicej)<br />
1/1996, S. 22–28.<br />
116 Seide: Die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland, S. 26–27.<br />
117<br />
Ebd., S. 123–124, dort ohne Quellenangabe.<br />
118<br />
Seide: Die russisch-kirchliche Emigration (1), S. 20.<br />
119<br />
Curganov, Jurij: Neudavšijsja revanš. Belaja emigracija vo Vtoroj Mirovoj Vojne [Missglückte Revanche. Die<br />
weiße Emigration im Zweiten Weltkrieg], Moskau: Intrada, 2001, S. 215; vgl. auch die sehr kritischen Portraits <strong>der</strong><br />
einzelnen politischen Gruppen bei Dvinov in <strong>der</strong>s., Boris L.: Politics of the Russian Emigration, RAND Paper P-768,<br />
1. Oktober 1955.