„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...
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48 Anne Kuhlmann-Smirnov<br />
dort nie<strong>der</strong>zulassen. Das Lager, in dem rund 2.500 <strong>DPs</strong> unterkamen, erhielt UNRRA-Status und<br />
wurde von einem UNRRA-Team verwaltet; später ging es in die Administration <strong>der</strong> IRO über.<br />
In <strong>der</strong> Nähe von Mönchehof kam es in <strong>der</strong> Folge zur Gründung von kleineren DP-Lagern, die<br />
sich Mönchehof zugehörig fühlten. Auf Grund <strong>der</strong> Vorgeschichte <strong>der</strong> als Gruppe aus Nie<strong>der</strong>sachswerfen<br />
evakuierten <strong>DPs</strong> bestimmten innerhalb dieses Lagers bis März 1947 weitgehend<br />
DP-eigene Strukturen das Leben. Fast alle <strong>der</strong> im vorangegangenen Kapitel genannten Organisationen<br />
waren bereits in Nie<strong>der</strong>sachswerfen vertreten gewesen. Deshalb konnten in Mönchehof<br />
relativ schnell zentrale Institutionen wie kirchliche und Bildungseinrichtungen geschaffen<br />
werden, wobei die Lagerbewohner alle Kräfte darauf richteten, möglichst große Autonomie von<br />
den amerikanischen Behörden zu gewinnen. „Arbeitsbrigaden“ wurden rekrutiert und innerhalb<br />
und außerhalb des Lagers eingesetzt. Innerhalb des Lagers wurden von ihnen eine Kirche und<br />
vier zusätzliche Baracken errichtet, in allen Baracken Hun<strong>der</strong>te von Wänden aus Holz und Stein<br />
hochgezogen, um die Wohnbereiche <strong>der</strong> Bewohner voneinan<strong>der</strong> zu trennen. Pferdeställe für die<br />
knapp 50 Pferde des Lagers wurden gebaut, und schließlich sogar eine russische Sauna. In<br />
relativ kurzer Zeit entstanden verschiedene Werkstätten, medizinische Einrichtungen und Geschäfte<br />
– eine Ambulanz, eine Wäscherei, ein Schusterladen, ein Friseurladen und ein eigenes<br />
Transportwesen. Die außerhalb des Lagers beschäftigten „Brigaden“ stellten ihre Dienste den<br />
amerikanischen und deutschen Behörden zur Verfügung. Sie halfen beim Wie<strong>der</strong>aufbau eines<br />
städtischen Krankenhauses und des amerikanischen Flugplatzes Rotwesten sowie bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
des Kasseler Kanalisationssystems. Welchen Wert die Bewohner von Mönchehof<br />
auf ihre Autonomie und Arbeitsleistung legten, kommt bei Boldyrev folgen<strong>der</strong>maßen zum<br />
Ausdruck:<br />
Die Bewohner <strong>der</strong> Lager von Mönchehof nahmen das amerikanische Brot nicht als Geschenk.<br />
Sie bezahlten es in <strong>der</strong> ersten Etappe <strong>der</strong> Existenz <strong>der</strong> Lager (6 Monate) mit ihrer<br />
ehrlichen und gewissenhaften Arbeit. Mehr noch, die Lager zahlten für die […] erhaltenen<br />
Lebensmittel. 147<br />
Im Laufe <strong>der</strong> ersten Jahre entstanden in Mönchehof drei Kin<strong>der</strong>gärten und drei Grundschulen, in<br />
denen 395 Kin<strong>der</strong> unterrichtet wurden, sowie ein Gymnasium für 125 SchülerInnen. Darüber<br />
hinaus waren viele <strong>der</strong> Lagerkin<strong>der</strong> Mitglied <strong>der</strong> <strong>russischen</strong> Scout-Bewegung. Für Erwachsene<br />
wurden Sprachkurse eingerichtet und Elementarkurse zur Ausbildung von Elektro- und Radiotechnikern,<br />
Mechanikern und Technischen Zeichnern angeboten. Die kulturellen Aktivitäten des<br />
Lagers reichten von Vorträgen zu wissenschaftlichen und literarischen Themen über Auftritte<br />
des lagereigenen Chors und Orchesters, Theateraufführungen, Konzerten und Ballettaufführungen<br />
bis hin zu Kunstausstellungen. Eine wichtige Rolle spielte auch die Kirche, die in Mönchehof<br />
von Mitrofan Znosko geleitet wurde. Da das Lager schon in Nie<strong>der</strong>sachswerfen ein Bulletin<br />
(Informacionnyj bjulleten’) herausgegeben hatte und über eine Rotationsmaschine verfügte,<br />
konnte auch die Publikationstätigkeit sehr schnell wie<strong>der</strong> aufgenommen werden. Das Bulletin<br />
enthielt in russischer Sprache Zusammenfassungen von Radioübertragungen aus London, New<br />
York, Paris und Moskau sowie Informationen über innere Angelegenheiten des Lagers. Im<br />
Rotationsdruck wurden in Mönchehof die ersten russischsprachigen Schulbücher gedruckt und<br />
bereits 1945 <strong>der</strong> Verlag Posev gegründet. Am 11. November erschien die erste Ausgabe <strong>der</strong><br />
Wochenzeitung Posev in einer Auflage von 200 Exemplaren. 148<br />
So willkommen <strong>der</strong> UNRRA die relative Ordnung war, die durch die Präsenz und das Machtmonopol<br />
von NTS in Mönchehof aufrechterhalten wurde – Evgenij Romanov bezeichnete das<br />
Lager später als einen „eigenen kleinen Staat“ 149 –, so problematisch galten die politischen<br />
Positionen <strong>der</strong> Organisation. Auch in <strong>der</strong> Lagerbevölkerung wuchs offenbar <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand<br />
gegen NTS. So berichtet Boldyrev, dass schon im ersten Halbjahr 1946 eine Häufung von<br />
147 Boldyrev: Menchegof, S. 123.<br />
148 Boldyrev: Menchegof, hier S. 126. Zu den kulturellen Aktivitäten in Mönchehof, vgl. ebd., S. 124–125.<br />
149 Romanov: V bor’be za Rossiju, S. 95.