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„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...

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30 Anne Kuhlmann-Smirnov<br />

Meidung <strong>der</strong> sowjetischen Repatriierungslager<br />

Der überwiegende Teil <strong>der</strong> auf dem Gebiet des Deutschen Reiches befindlichen ZwangsarbeiterInnen,<br />

Kriegsgefangenen und Flüchtlinge war bei seiner Befreiung in deutschen Lagern o<strong>der</strong><br />

lagerähnlichen Anlagen in <strong>der</strong> Nähe von Fabriken o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Arbeitsstätten untergebracht.<br />

Eisenhower hatte den Displaced Persons in Flugblättern und Rundfunkaufrufen den Befehl<br />

gegeben „You will stand fast and not move“ und sie aufgefor<strong>der</strong>t, kleinere Nationalgruppen mit<br />

gewählten Anführern zu bilden. 72 Im Unterschied zu vielen französischen Zwangsarbeitern, die<br />

in Gruppen o<strong>der</strong> allein schon vor Kriegsende nach Frankreich aufbrachen, blieben die in<br />

Kriegsgefangenen-, Konzentrations- und Arbeitslagern internierten sowjetischen <strong>DPs</strong> in <strong>der</strong><br />

Regel zunächst vor Ort bzw. siedelten selbständig in an<strong>der</strong>e Lager über. Viele <strong>der</strong> befreiten<br />

ZwangsarbeiterInnen versuchten zumindest zeitweilig, außerhalb <strong>der</strong> Lager zu leben. Die aus<br />

Kiew stammende ehemalige Zwangsarbeiterin Tat’jana Fesenko beschreibt in ihrer „Erzählung<br />

verzerrter Jahre“ das Herannahen <strong>der</strong> Roten Armee im Frühjahr 1945, das zunächst zu einer<br />

kopflosen Flucht aus dem schlesischen Arbeitslager, in das sie 1944 verschleppt worden war,<br />

führte. Erster Orientierungspunkt wurde für die gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Mutter<br />

Flüchtende eine seit einiger Zeit in Bamberg lebende Freundin aus Kiew. Um nicht wie<strong>der</strong> in<br />

einem Lager untergebracht zu werden, versteckten sie die noch in ihrem Besitz befindlichen<br />

Ausweispapiere, die nationalsozialistischen „Arbeitsbücher“, und gaben vor, „alte“ Emigranten<br />

aus Schlesien zu sein. Die Fluchtbewegung aus <strong>der</strong> Machtsphäre <strong>der</strong> sowjetischen Armee auf<br />

<strong>der</strong> einen Seite und erste soziale Kontakte in Deutschland, soweit solche vorhanden waren, auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, tauchen als Motive in den untersuchten Erinnerungen sowohl von ehemaligen<br />

ZwangsarbeiterInnen als auch von Flüchtlingen auf.<br />

Nach Angaben von Konstantin Boldyrev bildeten sich Gruppen von Repatriierungsgegnern vor<br />

allem um die „alten“ Emigranten, die nicht den Vereinbarungen von Jalta unterworfen waren. 73<br />

Diese zogen in Konvois von einem Lager zum an<strong>der</strong>en o<strong>der</strong> bildeten eigene Lager. Nationale<br />

„Kolonienbildungen“ scheinen – schon aus sprachpraktischen Gründen – typisch gewesen zu<br />

sein für die erste Zeit nach <strong>der</strong> Befreiung. Diese nahmen nicht immer gleich die organisatorische<br />

Form eines Lagers o<strong>der</strong> „assembly centers“ an, son<strong>der</strong>n durchliefen eine Zwischenphase,<br />

in <strong>der</strong> sich <strong>DPs</strong> „wild“ in <strong>der</strong> Nähe von bestehenden Lagern nie<strong>der</strong>ließen. Für Verhandlungen<br />

mit den deutschen o<strong>der</strong> Besatzungsstellen wurden nationale DP-Komitees gewählt. In einigen<br />

Orten – beson<strong>der</strong>s solchen, in denen sich vorher Zwangsarbeiterlager befunden hatten – lebten<br />

so viele <strong>DPs</strong> gleichzeitig, dass sie flächendeckend lagerähnliche Merkmale annahmen. So<br />

berichtet Zavolokin von den zwei benachbarten kleinen Orten Bad Aibling und Kolbermoor in<br />

Bayern, in denen russische <strong>DPs</strong> teils in Lagern, teils außerhalb <strong>der</strong> Lager lebten. Eine Vorstellung<br />

davon, was die Unterbringung von Flüchtlingen im Extrem bedeuten konnte, gibt die<br />

makabre Wohnsituation <strong>der</strong> Protagonisten bei Zavolokin in dem halb fertig gestellten Neubau<br />

einer Fabrik. Nach dem Bericht eines Ortsansässigen handelte es sich dabei um den Rohbau<br />

eines Krematoriums, in dem Düngemittel und an<strong>der</strong>e Produkte hergestellt werden sollten. 74 In<br />

diesem an einer etwas abgelegenen Stelle unweit von Bad Aibling in <strong>der</strong> Nähe des Eisenbahnnetzes<br />

begonnenen Bau lebten nun mehrere DP-Familien.<br />

In Bad Aibling war die Verwaltung einem „<strong>russischen</strong> Komitee“ übergeben worden, das angeblich<br />

von den <strong>russischen</strong> <strong>DPs</strong> selbst gegründet worden war. Bei einem verdeckten Versuch, die<br />

Lagerbewohner zu repatriieren, stellte sich das Komitee dann jedoch als Vertretung <strong>der</strong> sowjetischen<br />

Repatriierungsbehörden heraus. Auf dem Hintergrund solcher Erfahrungen begannen<br />

Repatriierungsgegner, zwei Typen von DP-Lagern zu unterscheiden: solche für Repatrianten<br />

72<br />

Botschaft Eisenhowers, 05.05.1945, in: The New York Times, 06.05.1945, vgl. Jacobmeyer: Vom Zwangsarbeiter,<br />

S. 24.<br />

73<br />

Vgl. Boldyrev: Menchegof, S. 114.<br />

74 Zavolokin: Emigranty, S. 71.

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