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„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...

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„Stiller als Wasser, tiefer als Gras“ 7<br />

nahmen zur Lösung des DP-Problems, das man nun durch Resettlement, die Umsiedlung in<br />

Drittlän<strong>der</strong>, zu bewältigen hoffte. Die entscheidende politische Wende kam mit dem Displaced<br />

Persons Act vom Juni 1948, <strong>der</strong> den Weg in die Vereinigten Staaten für ein Kontingent von<br />

insgesamt etwa 400.000 <strong>DPs</strong> öffnete. In den DP-Lagern begann nun ein Auswahlverfahren, in<br />

dem über viele Checks und Selektionsstufen <strong>DPs</strong> für die Übersiedlung in verschiedene potenzielle<br />

Aufnahmelän<strong>der</strong> ausgesucht wurden.<br />

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit <strong>der</strong> Migrationsgeschichte <strong>der</strong> <strong>russischen</strong> Displaced<br />

Persons im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg. Die Forschungsperspektive liegt damit nicht<br />

so sehr auf den verwaltungspolitischen Leistungen <strong>der</strong> alliierten Planer hinsichtlich <strong>der</strong> Rückführung<br />

<strong>der</strong> <strong>DPs</strong> in ihre Heimatlän<strong>der</strong> bzw. ihrer Ansiedlung in Drittlän<strong>der</strong>n, wie sie in <strong>der</strong><br />

bislang umfassendsten Studie über die Displaced Persons in Deutschland von Wolfgang Jacobmeyer<br />

(1985) dargestellt wurden. Vielmehr werden die individuellen und gruppenspezifischen<br />

Beweggründe einer relativ kleinen Zahl von <strong>DPs</strong> fokussiert, die sich weigerten, in die Sowjetunion<br />

zurückzukehren. Jacobmeyer kommt auf <strong>der</strong> Grundlage seiner Recherchen – bei denen er<br />

sich vorwiegend des Aktenmaterials <strong>der</strong> planenden Organisationen bedient hat – und unter<br />

Berufung auf H.G. Adler zu dem Schluss, dass es sich bei den <strong>DPs</strong> im weitesten Sinne um<br />

„verwaltete Menschen“ und „bloße Objekte von Politik“ gehandelt habe. In seinen abschließenden<br />

Überlegungen stellt er fest: „Die Geschichte <strong>der</strong> <strong>DPs</strong> wurde nirgendwo durch zielbewußtes<br />

Handeln <strong>der</strong> Betroffenen bestimmt“, 6 eine Einschätzung, <strong>der</strong> Stanislaus Stepień in „Der alteingesessene<br />

Fremde“ (1989) zustimmt:<br />

In solchen Zeiten und beson<strong>der</strong>s angesichts <strong>der</strong> Vorgeschichte <strong>der</strong> Akteure ist die Wahrnehmung<br />

von Orientierungsalternativen außerordentlich eingeschränkt. Die Handlungen<br />

des Subjektes begrenzen sich deshalb in starkem Maße auf die Befriedigung des Unmittelbaren,<br />

d.h. auf ganz wenige Aspekte des täglichen Lebens. 7<br />

Diese Einschätzung <strong>der</strong> Eigeninitiative von <strong>DPs</strong> wurde Ende <strong>der</strong> neunziger Jahre bereits von<br />

Tamara Frankenberger in Frage gestellt, die auf <strong>der</strong> Grundlage von Interviews mit ehemaligen<br />

Zwangsarbeiterinnen zu dem Schluss kommt, dass die Handlungsräume <strong>der</strong> <strong>DPs</strong> durch den<br />

Organisationsapparat <strong>der</strong> alliierten Besatzungsmächte zwar „eklatant eingeschränkt“ waren,<br />

dass aber dennoch „die vorhandene vielfältige Konfusion offensichtlich bewußtes Handeln<br />

ermöglichte“. 8<br />

Indem sich die vorliegende Arbeit migrationswissenschaftlich positioniert, richtet sie das Augenmerk<br />

auf Fragen, die aus neueren Forschungen zu den Migrationen des 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

vor allem in die USA hervorgehen, nach denen entscheidende Erkenntnisse über die<br />

großen Wan<strong>der</strong>ungsbewegungen unter an<strong>der</strong>em durch die Frage nach <strong>der</strong> subjektiven Perspektive,<br />

nach den persönlichen Motivationen und den Alternativen von Auswan<strong>der</strong>ern zu gewinnen<br />

sind. Da <strong>der</strong> überwiegende Teil <strong>der</strong> späteren <strong>DPs</strong> als ZivilarbeiterInnen o<strong>der</strong> Kriegsgefangene<br />

gegen ihren Willen deportiert und zur Arbeit in <strong>der</strong> reichsdeutschen Wirtschaft gezwungen<br />

worden war, beginnt die Geschichte ihrer Migration im eigentlichen Sinne erst mit <strong>der</strong> Entscheidung<br />

einiger von ihnen, nach dem Krieg nicht in die Sowjetunion zurückzukehren. Der<br />

Ausgangspunkt meiner Arbeit war in diesem Zusammenhang eben jene Frage nach den Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> <strong>DPs</strong>, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, die „von oben“ über sie getroffen<br />

wurden, und danach, ob und inwieweit sie als Akteure selbstbestimmt in Erscheinung treten<br />

konnten. Um ihre individuellen Motivationen und Handlungsweisen zeigen zu können, wurde<br />

auf Methoden <strong>der</strong> Alltagsgeschichte zurückgegriffen, mit <strong>der</strong>en Hilfe Zeitzeugenberichte er-<br />

6<br />

Ebd., S. 18, 247, 244; Adler, H.G.: Aufzeichnungen einer Displaced Person, in: Merkur, Bd. 6, 1952, S. 1040–1049,<br />

zit. nach Jacobmeyer, S. 18.<br />

7<br />

Stepień, Stanislaus: Der alteingesessene Fremde. Ehemalige Zwangsarbeiter in Westdeutschland, Frankfurt/M./New<br />

York: Campus, 1989, S. 78.<br />

8<br />

Frankenberger, Tamara: Wir waren wie Vieh. Lebensgeschichtliche Erinnerungen ehemaliger sowjetischer Zwangsarbeiterinnen,<br />

Münster: Westfälisches Dampfboot, 1997, S. 79.

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