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„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...

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22 Anne Kuhlmann-Smirnov<br />

Auslän<strong>der</strong> wollten, aber nicht konnten, die <strong>DPs</strong> können, aber nicht wollen, wird <strong>der</strong> zukünftige<br />

Historiker nicht wenige Bände schreiben müssen. Noch ist das keinem verständlich,<br />

außer den <strong>DPs</strong>. Die verstehen natürlich. 52<br />

Die 1907 in Riga geborene Irina Saburova wuchs auf dem Gut ihres Vaters am Dnepr und in<br />

Riga auf. Von 1915 bis zu ihrer Flucht 1943 lebte sie in Riga. Mit den Flüchtlingsströmen des<br />

Krieges und <strong>der</strong> Nachkriegszeit kam sie nach München, wo sie zunächst in DP-Lagern unterkam.<br />

Bis zu ihrem Tod 1979 lebte sie als Schriftstellerin und Übersetzerin in München.<br />

Briefe<br />

Im Rahmen dieser Arbeit wurden etwa 200 aus den Jahren 1946 bis 1952 stammende Briefe von<br />

Displaced Persons aus verschiedenen Beständen des Historischen Archivs <strong>der</strong> <strong>Forschungsstelle</strong><br />

Osteuropa an <strong>der</strong> Universität Bremen durchgesehen. Von den 103 Briefen, die einen direkten<br />

o<strong>der</strong> indirekten Bezug zur Situation <strong>der</strong> <strong>DPs</strong> enthielten, war nur ein einziger auf das Jahr 1946<br />

datiert. Sechs Briefe stammen aus dem Jahr 1947 und 78 aus den Jahren 1948 bis 1950. Sieben<br />

Briefe wurden nach 1950 geschrieben, elf waren undatiert; ihre Entstehungszeit lässt sich jedoch<br />

in etwa auf die Jahre 1948 bis 1950 schätzen. Die Zunahme <strong>der</strong> Briefe seit 1947 ist zum<br />

einen darauf zurückzuführen, dass sich <strong>der</strong> Postbetrieb erst ab Ende 1945 normalisierte und <strong>der</strong><br />

interzonale Briefverkehr möglich wurde, 53 wobei viele <strong>DPs</strong> zunächst keinen festen Wohnsitz<br />

und damit keine Postadresse besaßen. Zum an<strong>der</strong>en traten Familien und Freunde oft erst nach<br />

jahrelangem Suchen in Briefkontakt. Schließlich kurbelte <strong>der</strong> am 24. Juni 1948 im amerikanischen<br />

Kongress verabschiedete Displaced Persons Act 54 , <strong>der</strong> die Aufnahme eines Kontingents<br />

von <strong>DPs</strong> in die USA festlegte, den Briefverkehr an. Man begann, sich postalisch nach Auswan<strong>der</strong>ungsmöglichkeiten<br />

zu erkundigen und versuchte, über bestehende Beziehungen in eines <strong>der</strong><br />

Aufnahmelän<strong>der</strong> das Emigrationsverfahren zu beschleunigen. Die Fragen, nach denen die hier<br />

vorgestellten Briefe ausgewählt wurden, ergaben sich erst im Verlauf <strong>der</strong> Lektüre und in <strong>der</strong><br />

Zusammenschau mit den übrigen Quellen. Sie orientieren sich zunächst an <strong>der</strong> politischen und<br />

sozialen Situation <strong>der</strong> <strong>DPs</strong> in Deutschland nach dem Krieg und greifen Themen auf, die sich in<br />

den individuellen Darstellungen <strong>der</strong> Briefschreiber wie<strong>der</strong>holten und von denen somit angenommen<br />

werden darf, dass sie über den jeweiligen individuellen Fall hinaus für die allgemeine<br />

Situation <strong>der</strong> <strong>DPs</strong> in Deutschland kennzeichnend waren. Da das Gros <strong>der</strong> Briefe verfasst wurde,<br />

als die Resettlement-Programme <strong>der</strong> IRO einsetzten, wurde auch <strong>der</strong> Frage nachgegangen,<br />

welche Zukunftsperspektiven die Briefschreiber in dieser Zeit entwickelten und welche Mittel<br />

ihnen zur Verfügung standen, das Auswan<strong>der</strong>ungsverfahren zu beeinflussen.<br />

Ein solches Vorgehen wurde bereits von Migrationsforschern wie Wolfgang Helbich, Walter D.<br />

Kamphoefner und an<strong>der</strong>en praktiziert, die Briefe von deutschen Auswan<strong>der</strong>ern nach Amerika<br />

ausgewertet haben. Ein entscheiden<strong>der</strong> Unterschied zur Untersuchung von Briefen etwa deutscher,<br />

irischer o<strong>der</strong> italienischer Auswan<strong>der</strong>er nach Amerika liegt im Fall <strong>der</strong> <strong>russischen</strong> „zweiten<br />

Emigrationswelle” darin, dass die Empfänger <strong>der</strong> Briefe nicht im Herkunftsland <strong>der</strong> Briefschreiber<br />

lebten, son<strong>der</strong>n fast ausschließlich selbst Auswan<strong>der</strong>er <strong>der</strong> ersten o<strong>der</strong> zweiten Emigrationswelle<br />

waren. Sie hatten damit eine relativ genaue Vorstellung von <strong>der</strong> Situation des<br />

Schreibers. Deshalb erhält <strong>der</strong> Leser kaum allgemeinere Schil<strong>der</strong>ungen und Erklärungen o<strong>der</strong><br />

Eindrücke aus dem Nachkriegsdeutschland, son<strong>der</strong>n oft nur Anspielungen auf DP-relevante<br />

rechtliche Bedingungen. Gleichzeitig entfiel aber für die Verfasser auch die Notwendigkeit, die<br />

eigene Biografie als Erfolgsgeschichte darzustellen, wie verschiedentlich bei Briefen von Emig-<br />

52<br />

Ebd., S. 5.<br />

53<br />

Glaser, Hermann/Werner, Thomas: Die Post in ihrer Zeit. Eine Kulturgeschichte menschlicher Kommunikation,<br />

Heidelberg: v. Decker, 1990, S. 350.<br />

54<br />

Am 24. Juni 1948 wurde das „United States Public Law 774“ verabschiedet, das als „Displaced Persons Act of<br />

1948“ bekannt wurde und in den „Acts“ vom 16. Juni 1950 und 19. Juni 1951 ergänzt wurde. Das Gesetz sah die<br />

Aufnahme von etwa 400.000 <strong>DPs</strong> vom 1. Juli 1948 bis zum 31. Dezember 1951 vor. Vgl. Holborn: International<br />

Refugee Organization, S. 411.

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