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„displacement“-Genese der russischen DPs - Forschungsstelle ...

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Die Tolstoy Foundation<br />

„Stiller als Wasser, tiefer als Gras“ 57<br />

Die Arbeit <strong>der</strong> IRO wurde ergänzt und unterstützt durch zahlreiche kleinere Hilfsorganisationen<br />

– NGOs, Flüchtlings- und private Wohlfahrtsorganisationen –, die sich je nach eigener Zielsetzung<br />

um bestimmte religiöse o<strong>der</strong> ethnische Gruppen von Displaced Persons kümmerten. Sie<br />

organisierten Affidavits und betreuten und berieten <strong>DPs</strong> vor ihrer Auswan<strong>der</strong>ung aus Deutschland.<br />

Die IRO profitierte davon, dass die Hilfsorganisationen über sehr genaue Kenntnisse <strong>der</strong><br />

Ausgangskulturen und -traditionen einzelner DP-Gruppen o<strong>der</strong> -Ethnien verfügten. Sie unterstützten<br />

die IRO nicht nur materiell, indem sie eigene finanzielle Ressourcen bereitstellten,<br />

son<strong>der</strong>n verfügten auch über gut ausgebildetes Personal, das oft bereits Erfahrungen aus früheren<br />

Hilfsoperationen mitbrachte und juristisch geschult war. Die Mitarbeiter <strong>der</strong> Hilfsorganisationen<br />

kannten einerseits die Ausgangsgesellschaften einzelner DP-Gruppen, an<strong>der</strong>erseits die<br />

potenziellen Aufnahmelän<strong>der</strong>, mit denen sie in Kontakt standen und von wo aus ihre Arbeit<br />

praktisch – in Form von finanziellen Zuwendungen und durch Ausstellung von Einladungen –<br />

unterstützt wurde. Sie waren damit in <strong>der</strong> Lage, sowohl juristische Beratung zu geben als auch<br />

Auswan<strong>der</strong>ungen praktisch zu organisieren. Schließlich beherrschten sie die Sprache <strong>der</strong> <strong>DPs</strong><br />

und besaßen schon allein dadurch <strong>der</strong>en Vertrauen:<br />

Thus, the refugees were given a new feeling of personal assurance and identification,<br />

and, as a result, they adjusted more readily to their new homes, and became more firmly<br />

re-established than would have been possible un<strong>der</strong> public guardianship. Special arrangements<br />

made by the voluntary agencies also enabled IRO to ensure the welfare of<br />

many institutional and other hardship cases at the time of the Organization’s closure. 175<br />

Eine dieser Hilfsorganisationen <strong>der</strong> IRO, die 1939 von Lev Tolstoys Tochter Alexandra Tolstoy<br />

und Tatiana Schaufuss in New York gegründete Tolstoy Foundation, konzentrierte ihre Aktivitäten<br />

auf sowjetische <strong>DPs</strong> allgemein und russische <strong>DPs</strong> im Beson<strong>der</strong>en. Dies waren DP-<br />

Gruppen, die nach dem Abkommen von Jalta ohne jeden Zweifel hätten repatriiert werden<br />

sollen, so dass man für sie öffentlich erst eintreten konnte, als sich das politische Verhältnis <strong>der</strong><br />

Alliierten des Zweiten Weltkrieges bereits verschlechtert hatte. Die Tolstoy Foundation nahm<br />

ihre Arbeit in Deutschland unter <strong>der</strong> Leitung von Tatiana Schaufuss erst im September 1947<br />

auf. Sie war eine Körperschaft amerikanischen Rechts, <strong>der</strong>en Filiale in Deutschland erst 1956<br />

als eingetragener Verein rechtlich eigenständig wurde. 176 Prominente Gründungsmitglie<strong>der</strong> in<br />

Amerika waren Sergej Rachmaninov, Boris Bachmetev, Boris Sergeevskij und Mitarbeiter <strong>der</strong><br />

American Relief Administration, wie Ethan Colton und Allen Wardwell. Ziel <strong>der</strong> Foundation<br />

war es, „<strong>russischen</strong> Flüchtlingen und ‚an<strong>der</strong>en Opfern kommunistischer Repression’ zu helfen“.<br />

177 Da es we<strong>der</strong> in den USA noch in Europa eine starke Vertretung <strong>der</strong> Russischen Orthodoxen<br />

Kirche gab, weitete <strong>der</strong> Church World Service, <strong>der</strong> die Mehrheit <strong>der</strong> protestantischen<br />

Kirchen in den USA repräsentierte, seine Tätigkeit auf Angehörige <strong>der</strong> Orthodoxen Kirche aus.<br />

Unter <strong>der</strong> Schirmherrschaft des World Church Service nahm die Tolstoy Foundation im September<br />

1947 ihre Arbeit in Europa auf. Bis 1952 registrierte sie über 75.000 <strong>DPs</strong>, von denen<br />

50.000 an den Church World Service weitergeleitet wurden, während von ihr selbst 23.000 bis<br />

25.000 Auswan<strong>der</strong>er vermittelt wurden. Zu den genaueren politischen Kontexten <strong>der</strong> Tolstoy-<br />

Foundation, ihrer Gründung und ihren Aktivitäten zu Beginn des „Kalten Krieges“ gibt es<br />

175<br />

Holborn: International Refugee Organization, S. 145–146.<br />

176<br />

1972 wurde <strong>der</strong> Verein umbenannt in „Tolstoi Hilfs- und Kulturwerk e.V.“. Der Verein ist Mitglied im Paritätischen<br />

Wohlfahrtsverband und besitzt den Status <strong>der</strong> Gemeinnützigkeit. Eine Anmerkung zur Zugänglichkeit relevanter<br />

Informationen über die Organisation: Meines Wissens liegen bisher keine Monografien zur Tolstoy Foundation<br />

vor; in dieser Arbeit wurde deshalb zurückgegriffen auf mir zugängliche Broschüren, Kurzdarstellungen und die<br />

Internetpräsentation <strong>der</strong> Foundation sowie auf ein Interview mit Frau Margarethe Gabriel, <strong>der</strong> früheren Hauptbuchhalterin<br />

<strong>der</strong> Tolstoy Foundation, im Münchener „Tolstoi Hilfs- und Kulturwerk e.V. in <strong>der</strong> Thierschstraße 11 am<br />

1. Oktober 2002.<br />

177<br />

Tolstoi-Bibliothek (Hg.): 50 Jahre Russische Tolstoi-Bibliothek, München 1999, S. 15 (Zitat im Zitat ohne<br />

Quellenverweis).

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