Iurratio – Juristische Nachwuchsförderung eV
Iurratio – Juristische Nachwuchsförderung eV
Iurratio – Juristische Nachwuchsförderung eV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
106<br />
Fallbearbeitung<br />
d) Strafzumessung<br />
Von Strafe kann abgesehen werden oder sie kann gemildert werden (§ 18 IV TPG).<br />
e) Ergebnis<br />
C hat schuldhaft einen Organhandel begangen (§ 18 I TPG).<br />
2. ANSTIFTUNG ZUM SICH-üBERTRAGEN-LASSEN DES GEHAN-<br />
DELTEN oRGANS (P) DURCH DAS VEREINBAREN DES ERHo-<br />
LUNGSURLAUBS (§ 18 I TPG)<br />
Dieses Delikt tritt gegebenenfalls hinter dem Handeltreiben zurück (mitbe-<br />
strafte Nachtat).<br />
3. ANSTIFTUNG DES o ZU DESSEN TATEN IM ZUSAMMENHANG<br />
MIT DER oRGANENTNAHME<br />
a) Eine Anstiftung zur Übertragung des gehandelten Organs (§ 18 I TPG)<br />
scheitert jedenfalls am Fehlen des Vorsatzes (§§ 26, 16 I 1 StGB). C wusste<br />
nicht, dass O von einem Organhandel ausging (die Vereinbarung des<br />
Erholungsurlaubs hatten sie verheimlicht), er stellte sich also keine vorsätz-<br />
liche Tat des O vor.<br />
b) Was O’s (möglichen) Verstoß gegen die Spenderkreisbegrenzung an-<br />
geht (§ 8 I 2 TPG), so ist C jedenfalls nach dem Gedanken der notwendigen<br />
Teilnahme straflos: Ein Verstoß gegen § 19 I Nr. 2 mit § 8 I 2 TPG setzt vo-<br />
raus, dass der Lebendspender mitwirkt. Da diese Mitwirkung nicht geson-<br />
dert unter Strafe gestellt ist, würde diese gewollte Privilegierung über die<br />
Anstifterstrafe umgangen.<br />
II. STRAFBARKEIT DES o<br />
1. oRGANENTNAHME UNTER VERLETZUNG DER AUFKLäRUNGS-<br />
PFLICHT DURCH DAS ENTFERNEN DER NIERE DES C (§ 19 I NR. 1<br />
MIT § 8 I 1 NR. 1B TPG)<br />
Da O die Niere des C entnommen hat, ohne dass dieser zuvor im Sinn des<br />
§ 8 II 1 u. 2 TPG aufgeklärt worden ist, handelte O nur dann tatbestands-<br />
los, wenn C wirksam auf eine Aufklärung verzichtet hat. Ein solch wirk-<br />
samer Verzicht ist zu bejahen: Zum einen bedurfte C als erfahrener<br />
Transplantationsmediziner der an sich erforderlichen Aufklärung nicht;<br />
er kannte bereits bestens alle Risiken. Zum andern ist trotz des scheinbar<br />
strikten Wortlauts des § 8 I (Organentnahme ist „nur zulässig, wenn... nach<br />
Absatz 2 Satz 1 und 2 aufgeklärt worden ist“) ein Aufklärungsverzicht gestat-<br />
tet. Dies erzwingt das Selbstbestimmungsrecht des Spenders; sonst würde<br />
man sich in Widersprüche verwickeln, da in der sonstigen Medizin ein<br />
Aufklärungsverzicht sogar bei viel schwerer wiegenden Eingriffen zulässig ist. 9<br />
<strong>–</strong> Dieses Delikt hat O daher nicht begangen.<br />
2. oRGANENTNAHME UNTER VERLETZUNG DER SPENDERKREIS-<br />
BEGRENZUNG DURCH DAS ENTFERNEN DER NIERE DES C<br />
(§ 19 I NR. 2 MIT § 8 I 2 TPG)<br />
9 Siehe BGH NJW 1973, 556, 558.<br />
a) Tatbestand<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 2 / 2011<br />
O hat die Niere des C entnommen. Dies tat er unter Verletzung der<br />
Spenderkreisbegrenzung, wenn C dem P nicht in besonderer persön-<br />
licher Verbundenheit offenkundig nahe stand (§ 8 I 2 TPG). Das „beson-<br />
dere“ der persönlichen Verbundenheit sieht der Gesetzgeber in einer gewach-<br />
senen Beziehungsgeschichte, die aus häufigen engen und sehr persönlichen<br />
Kontakten besteht (etwa eheähnliches Lebensverhältnis, enge Freundschaft). 10<br />
An einer solch „gewachsenen“ Beziehung fehlt es bei C und F. Die fünf<br />
Beratungsgespräche genügen dafür nicht. Demnach wäre die qualifizierte<br />
Nähebeziehung zu verneinen.<br />
Das BSG hat allerdings in seiner Entscheidung zur Überkreuzlebendspende<br />
den Standpunkt vertreten, es genüge (jedenfalls in der besonderen Situation<br />
der Überkreuzspende), wenn die Beteiligten erwarten, dass ihre Beziehung in<br />
der Zukunft als eine enge fortbesteht. 11<br />
So liegt es bei C und F, die davon ausgehen, dass sie Freunde „bleiben“. Indes<br />
ist der Ansatz abzulehnen. Mag er auch in der Sache und rechtspolitisch vorzugswürdig<br />
sein, so missachtet er doch den eindeutigen Gesetzgeberwillen.<br />
Und das steht dem Rechtsanwender nicht zu, weil sich die Gesetzbindung<br />
im Sinn der Art. 97 I u. 20 III GG auf den durch Auslegung ermittelbaren<br />
Gesetzesinhalt erstreckt. 12 Es fehlt folglich am nötigen Näheverhältnis zwischen<br />
C und P. <strong>–</strong> Weil O auch diesen Umstand kannte, handelte er vorsätzlich.<br />
b) Rechtswidrigkeit<br />
Zugunsten des O könnte § 34 StGB eingreifen.<br />
aa) Objektive Rechtfertigung<br />
(1) P befand sich in einer zugespitzten Gefahr für sein Leben, die zumindest<br />
als <strong>–</strong> dem § 34 StGB genügende <strong>–</strong> gegenwärtige Dauergefahr einzustufen ist.<br />
Weil kein anderes Organ zur Verfügung stand, konnte O die für P bestehende<br />
Gefahr auch nicht anders abwenden als durch die Übertragung von C’s Niere.<br />
(2) Das Überlebensinteresse des P müsste die Allgemeininteressen am<br />
Unterbleiben der Organübertragung wesentlich überwiegen. Für P fällt mit<br />
großem Gewicht sein Lebensgrundrecht in die Waagschale. Dennoch würden<br />
einem wesentlichen Überwiegen seines Überlebensinteresses die gesetzlichen<br />
Wertungen des TPG entgegenstehen, wenn sie <strong>–</strong> so wird argumentiert<br />
<strong>–</strong> die zulässigen Organübertragungen abschließend regelten. Das ist aber<br />
nicht der Fall. Der Gesetzgeber selbst hat für den Organhandel und dort mit<br />
10 Schroth, MedR 1999, 67 f.<br />
11 BSGE 92, 19 ff. = BSG, JZ 2004, 464, 468 Anmerkung: Bei einer „Überkreuzlebendspende“<br />
spendet von zwei (meist verheirateten) Paaren jeweils<br />
der Gesunde dem Organbedürftigen des anderen Paares ein Organ. Die<br />
Gründe dafür sind medizinischer Art: Die Spender können ihrem jeweiligen<br />
(Ehe-)Partner nicht spenden, weil die Gewebe nicht kompatibel sind. <strong>–</strong><br />
Nach Auffassung des BSG ist die im Zeitpunkt der Operation in § 8 I 2 TPG<br />
geforderte „besondere persönliche Verbundenheit“ weit auszulegen, es<br />
reiche aus, dass der im Vorfeld der Transplantation tätige Arzt eine hinreichend<br />
intensive, gefestigte und auf Dauer angelegte Beziehung eindeutig<br />
feststellen konnte.]<br />
12 Vgl. bei Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, 2005,<br />
§ 8 Rn. 36 ff. <strong>–</strong> Im Ergebnis halte ich aber eine teleologische Extension<br />
der Spenderkreisbestimmung für richtig. Dieses Ergebnis angemessen zu<br />
begründen, raubt in dieser Klausur zu viel Zeit für die übrigen Probleme.