Iurratio – Juristische Nachwuchsförderung eV
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110<br />
Fallbearbeitung<br />
eingetreten sein. Bei den Jungen eines Tieres handelt es sich um deren Erzeugnis. 4<br />
Bruno ist also Frucht nach § 99 Abs. 1 BGB, d.h. Erzeugnis seiner Mutter und<br />
steht gem. §§ 953, 90a S.3 BGB im Eigentum ihres Eigentümers. Voraussetzung ist<br />
daher, dass die Eltern von Bruno im Eigentum der Italienischen Republik standen.<br />
a) Ursprünglich waren die Tiere herrenlos.<br />
b) Durch das Einfangen der Tiere hat Slowenien gem. §§ 958 Abs.1, 90a S.3<br />
BGB Eigentum an ihnen erworben.<br />
c) Es könnte jedoch Eigentumsverlust gem. §§ 929 S.1, 90a S. 3 BGB eingetre-<br />
ten sein. Vorausgesetzt sind Einigung und Übergabe durch Eigentümer und<br />
Erwerber. Hier wurden die Tiere zum Zwecke der Ansiedlung an die italie-<br />
nischen Behörden übergeben, Slowenien hat also gem. §§ 929 S.1, 90a S. 3<br />
BGB durch Übereignung Eigentum an Italien verloren.<br />
d) Möglicherweise hat Italien gem. § 960 Abs.1 S. 1 BGB Eigentum an den<br />
Tieren verloren, wenn der Bär als wildes Tier dadurch herrenlos geworden ist,<br />
dass er sich in Freiheit befand.<br />
aa) Das setzt voraus, dass es sich bei einem Braunbären um ein wildes Tier<br />
handelt. Diese sind als Tiere zu definieren, welche einer Art angehören, die<br />
normalerweise frei von menschlicher Herrschaft lebt. 5 Bei einem Braunbär ist<br />
das unproblematisch zu bejahen.<br />
bb) Weiter ist erforderlich, dass die Braunbären sich in Freiheit befanden. Da-<br />
ran könnten hier deswegen Zweifel bestehen, da sie in einem bestimmten be-<br />
grenzten Gebiet lebten, nämlich im Naturpark Adamello-Brenta. Demgemäß<br />
bestimmt § 960 Abs. 1 S. 2 BGB, dass Tiere in Tiergärten nicht herrenlos sind;<br />
gemeint ist damit, dass sie sich nicht in Freiheit befinden. 6 Fraglich ist, ob<br />
der Naturpark als Tiergarten i. S. d. § 960 Abs. 1 S. 2 BGB bezeichnet werden<br />
kann. Wodurch ein Tiergarten sich auszeichnet ist umstritten. Nach überwie-<br />
gender Ansicht ist darauf abzustellen, ob es sich um ein eingehegtes Gelände<br />
handelt, welches nach Art und Größe einen gezielten Zugriff auf das Tier er-<br />
möglicht. 7 Danach ist der Naturpark wegen seiner Größe und mangels Ein-<br />
hegung kein Tiergarten i. S. d. § 960 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Überwachung der<br />
Bären ändert daran nichts, da ein Zugriff auf das Tier nicht ohne Weiteres<br />
möglich ist.<br />
cc) Die Eltern des Bruno wurden also gem. § 960 Abs. 1 S. 1 BGB herren-<br />
los durch das Ansiedeln im Naturpark Adamello-Brenta. Daher hat die Italie-<br />
nische Republik nicht gem. §§ 953, 90a S. 3 BGB Eigentum an Bruno erworben.<br />
3. Möglicherweise hat J durch den Abschuss des Bären gem. § 958 Abs. 1 BGB<br />
durch Gesetz Eigentum erworben. Das setzt voraus, dass er tatsächlich Eigen-<br />
besitz am Bären erlangte. Ob ein Jäger durch Tötung des Wildes Besitz er-<br />
langt, ist umstritten. Das Schießen des Bären allein ist kein ausreichender Be-<br />
4 Jickeli/Stieper, in: BGB (2004), § 99 Rn. 7 Holch, in: MüKo-BGB 5. Aufl. (2006),<br />
§ 99 Rn. 2; Fritzsche, in: Bamberger/Roth BGB 2. Aufl. (2008) § 99 Rn. 4.<br />
5 Gursky, in: Staudinger BGB (1995), § 960 Rn. 1; Bassenge, in: Palandt-<br />
BGB, § 960 Rn. 1; Baur/Stürner Sachenrecht 18. Aufl. (2009), § 53 Rn. 68;<br />
Kindl, in: Bamberger/Roth BGB 2. Aufl. (2008), § 960 Rn. 1.<br />
6 Gursky, in: Staudinger BGB (1995), § 960 Rn. 7; Henssler, in: Soergel BGB<br />
13. Aufl. (2002), § 960 Rn. 2.<br />
7 Oechsler, in: MüKo-BGB 5. Aufl. (2006), § 960 Rn. 3; Gursky, in: BGB<br />
(1995), § 960 Rn. 6; Henssler, in: Soergel BGB 13. Aufl. (2002), § 960 Rn. 3;<br />
Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 80 II 1.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 2 / 2011<br />
sitzerwerbstatbestand, hinzutreten müsste Eigenbesitz gem. § 872 BGB, etwa<br />
durch tatsächliche Gewalt über die Sache sowie eine Aneignungsberechti-<br />
gung im Jagdrevier, § 958 Abs. 2 BGB. So wird eine Besitzbegründung bei-<br />
spielsweise dann angenommen, wenn ein Tier sich in der Falle des Jägers be-<br />
findet und sich daraus nicht befreien kann. 8 Hier jedoch besteht keine Zuord-<br />
nung wie sie durch die Falle verkörpert wird. J hat also keinen Besitz und da-<br />
mit nicht gem. § 958 Abs.1 BGB Eigentum erworben.<br />
3. Möglicherweise hat der Freistaat Bayern Eigentum gem. § 958 Abs. 1 BGB<br />
an dem Tierkadaver erworben. Die Bergung des Tieres durch die Mitarbei-<br />
ter des Naturschutzministeriums stellt eine tatsächliche Inbesitznahme, mit-<br />
hin eine Aneignung dar; Eigentumserwerb gem. § 958 Abs. 1 BGB ist also zu<br />
bejahen.<br />
Zwischenergebnis: Der Freistaat Bayern ist Eigentümer des Bärenkadavers.<br />
4. P könnte durch das Präparieren des Bärenkadavers gem. § 950 Abs. 1 BGB<br />
Eigentum erworben haben.<br />
a) Das setzt zunächst voraus, dass es sich bei dem ausgestopften Tier um eine<br />
neue Sache handelt. In welchen Fällen eine Sache als neu anzusehen ist, ist<br />
gesetzlich nicht definiert. Die herrschende Meinung stellt dabei auf die Verkehrsanschauung<br />
ab. 9 Danach soll es insbesondere ein Indiz sein, ob die Sache<br />
einen neuen Namen erhält10 und ob die Sache einem neuen Verwendungszweck<br />
dient. 11 Danach ist hier das Vorliegen einer neuen Sache fraglich. Dafür<br />
spricht, dass die meisten Teile des Tierkadavers durch Kunststoff ersetzt wurden<br />
und so schon bereits von der ursprünglichen Sache nur noch ein geringer<br />
Teil in der neuen Sache vorhanden ist. Dagegen spricht, dass die Sache ihrer<br />
äußerlichen Gestalt nach weitgehend identisch ist und auch gerade identisch<br />
sein soll. Die Sache dient auch keinem neuen Verwendungszweck; sie soll lediglich<br />
eine dauerhafte Ausstellung der alten Sache ermöglichen. Auch erhält<br />
die Sache keinen neuen Namen. Die besseren Gründe sprechen also dafür,<br />
hier keine neue Sache anzunehmen (a. A. genauso gut vertretbar).<br />
Hilfsgutachten:<br />
b) Der Verarbeitungswert darf weiter nicht erheblich hinter dem Stoffwert zurückbleiben.<br />
Der Verarbeitungswert wird ermittelt, indem man die Differenz<br />
zwischen dem Wert der neuen Sache und dem Stoffwert bildet. 12 Da der Stoffwert<br />
des Kunststoffs und des Fells im Hinblick auf die Nutzbarkeit des Präparats<br />
als Ausstellungsstück deutlich geringer ist als der Wert der neuen Sache,<br />
ist der Verarbeitungswert hier relativ hoch; er bleibt jedenfalls nicht erheblich<br />
hinter dem Stoffwert zurück.<br />
8 Gursky, in: Staudinger BGB 1995, § 958 Rn. 5; RGSt 32, 164 (164f.) ; KG<br />
JW 1926, 2647 (2647); a. A. Bassenge, Palandt § 958 Rn. 3 f.<br />
9 BGHZ 20 159 (163) = NJW 1956 788 (789); OGH OGHZ 3, 348 (351) = NJW 1950<br />
542; OLG Köln NJW 1997, 2187 (2187); CR 1996, 600 (601); NJW 1991, 2570 (2570);<br />
KG NJW 1961, 1026 (1026); OLG Stuttgart NJW 1952 ,145 (145); Baur/Stürner § 53<br />
Rn. 18; Henssler, in: Soergel BGB, § 950 Rn. 7; Füller, in: MüKo-BGB, § 950 Rn. 7 f.<br />
10 Baur/Stürner, § 53 Rn. 18; Ebbing, in: Erman, § 950 Rn. 4; Henssler, in:<br />
Soergel BGB, § 950 Rn. 7; Wiegand, in: Staudinger BGB, § 950 Rn. 9.<br />
11 Füller, in: MüKo-BGB, § 950 Rn. 8; Ebbing, in: Erman BGB, § 950 Rn. 4.<br />
12 BGHZ 18, 226 (226f.); 56, 88 (89); Wiegand, in: Staudinger BGB § 950 Rn.<br />
11; Baur/Stürner, § 53 Rn. 19; Henssler, in: Soergel BGB, § 950 Rn. 9; Westermann,<br />
Sachenrecht, § 53 II 4.