TITELTHEMA REGENBOGENFAMILIE BABYBOOM Die Ära der Regenbogenfamilien 20 L-MAG Illustration: Eleonore Rödel / www.ro-edel.de
Lesben <strong>mit</strong> K<strong>in</strong>derwunsch und Regenbogenfamilien – das wird immer alltäglicher <strong>in</strong> der lesbischen Welt. Doch ist der Babyboom unter Lesben e<strong>in</strong> noch junges Phänomen. Dabei gab es auch vor zwanzig oder dreißig Jahren Lesben <strong>mit</strong> K<strong>in</strong>dern, auch wenn die Sichtweise auf diese damals e<strong>in</strong>e andere war. „Das Thema ‚Lesben und K<strong>in</strong>derwunsch‘ gab es damals gar nicht“, er<strong>in</strong>nert sich Lela Lähnemann vom Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen des Berl<strong>in</strong>er Senats an die Anfänge ihrer Arbeit zu Beg<strong>in</strong>n der 90er Jahre. „Das war wie e<strong>in</strong> Widerspruch <strong>in</strong> sich: Lesben, die können doch gar ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der haben.“ Aber sie hatten. Damals waren das allerd<strong>in</strong>gs meist K<strong>in</strong>der aus früheren Hetero-Beziehungen. K<strong>in</strong>der, die aus dem K<strong>in</strong>derwunsch e<strong>in</strong>es Lesbenpaares hervorgegangen waren, gab es so gut wie nicht. Mütter = Patriarchat? In der Lesbenszene der späten 80er und der frühen 90er Jahre waren die Mütter jedenfalls kaum sichtbar, was auch <strong>mit</strong> dem fem<strong>in</strong>istischen Selbstverständnis e<strong>in</strong>es Großteils der Lesben zusammenh<strong>in</strong>g. „Da wurde die Institution Mutterschaft kritisch h<strong>in</strong>terfragt“, me<strong>in</strong>t Uli Streib-Brzic, Autor<strong>in</strong> des Buches „Von nun an nannten sie sich Mütter“. „Und die Frauen wollten e<strong>in</strong>fach etwas anderes leben, jenseits der patriarchalen Norm.“ <strong>E<strong>in</strong></strong>e Lesbe <strong>mit</strong> K<strong>in</strong>d war da für viele e<strong>in</strong> No-go. Das erlebte auch Corry F<strong>in</strong>né aus Berl<strong>in</strong> (52), deren Tochter Ruby heute 27 Jahre alt ist. Als ihre Tochter zwei Jahre alt war, verliebte sie sich erstmals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Frau. Sie g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Com<strong>in</strong>g-out-Gruppe und stieg voll <strong>in</strong> die Szene e<strong>in</strong>. „<strong>E<strong>in</strong></strong> deutlicheres Zeichen dafür, dass man vor kurzem noch <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>em Mann im Bett war, als e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>d, konnte es aber kaum geben.“ Und das war e<strong>in</strong> Problem, g<strong>in</strong>g es doch oft um die Def<strong>in</strong>ition der „richtigen“ Lesbe. „Ich als Mutter war da eben nicht die Ur-Lesbe“, erzählt Uli Streib-Brzic, die das bei Veranstaltungen wie der Lesbenwoche immer wieder zu spüren bekam. L-MAG Neues Phänomen oder langsam Normalität? Lesben zwischen Samenbanken, Adoptionspapieren, W<strong>in</strong>deln und diversen Familienstrukturen. L-MAG sprach <strong>mit</strong> Müttern, Vätern, Familien und Expert<strong>in</strong>nen über die neue Form des Zusammenlebens: die Regenbogenfamilie K<strong>in</strong>der oder ke<strong>in</strong>e …? <strong>E<strong>in</strong></strong> Blick zurück Neben den Kämpfen um die Def<strong>in</strong>itionsmacht sahen sich lesbische Mütter auch häufig <strong>mit</strong> den Forderungen lesbischer Separatist<strong>in</strong>nen konfrontiert. In Frauenzusammenhängen entstanden daher vor allem für Lesben <strong>mit</strong> Söhnen schwierige Situationen. Meist g<strong>in</strong>g es dabei um die Frage, ob und bis zu welchem Alter Jungen denn <strong>in</strong> solchen Räumen zugelassen wären. Viele Lesben fühlten sich durch die Anwesenheit von Jungen ab e<strong>in</strong>em bestimmten Alter e<strong>in</strong>geschränkt und gestört, da diese für sie „kle<strong>in</strong>e Macker“ waren. „Wir haben das immer wieder thematisiert“, berichtet Nadja (56), deren Tochter heute 33 Jahre alt ist, über die Berl<strong>in</strong>er Gruppe. Da viele Lesben bewusst männerfreie Orte aufsuchten, war das Thema immer wieder e<strong>in</strong> Problem. „Wir waren immer solidarisch <strong>mit</strong> den Müttern von Söhnen“, erzählt Nadja Müller* über sich und die anderen lesbischen Mütter, die das Verhalten vieler Lesben an diesem Punkt als ausgrenzend empfanden. Erste lesbische Müttergruppen Als die erste lesbische Müttergruppe Ende der 80er Jahre <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> entstand, war das für Corry e<strong>in</strong> großer Rückhalt. <strong>E<strong>in</strong></strong> Ort, an dem man sich nicht immer erklären oder rechtfertigen musste. Das Zusammense<strong>in</strong> <strong>mit</strong> anderen lesbischen Müttern war wichtig, auch, um sich nicht, wie Uli Streib-Brzic es formuliert, permanent wie „zwischen allen Stühlen“ vorzukommen. Die permanente Infragestellung ihres Lesbischse<strong>in</strong>s erlebte sie gerade im Com<strong>in</strong>g-out als extrem schwierig, da man <strong>in</strong> dieser Phase selbst schon auf der Suche nach der eigenen Identität ist und sich neu verorten muss. Das galt ebenso für lesbische Co-Mütter, wie Stephanie Dörfler* (47), die als 24-Jährige <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er Frau zusammenkam, die e<strong>in</strong>e 9-jährige Tochter hatte. Sie war <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>er Müttergruppe die e<strong>in</strong>zige Co-Mutter. Auch diese kämpften um Anerkennung für ihren Beitrag zur K<strong>in</strong>dererziehung und -betreuung, der jedoch häufig gar nicht wahrgenommen wurde, da sie ja nicht die „richtigen“ Mütter waren. Es gab eben nicht nur Mütter und jene Lesben, für die e<strong>in</strong> Leben <strong>mit</strong> K<strong>in</strong>d unvor- stellbar war. Stephanie, von Beruf Erzieher<strong>in</strong>, wollte immer gern <strong>mit</strong> K<strong>in</strong>dern zusammenleben. „Es kl<strong>in</strong>gt vielleicht merkwürdig, aber e<strong>in</strong> eigenes K<strong>in</strong>d wollte ich jedoch nie.“ Ke<strong>in</strong>e „echten“ Lesben oder Mütter Das Phänomen lesbische Mütter drang nur langsam <strong>in</strong>s öffentliche Bewusstse<strong>in</strong>. 1994 gab es <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> erstmals e<strong>in</strong>e Veranstaltung zum Thema „Lesben als Mütter. Schwule als Väter“ im Rahmen des Internationalen Jahres der Familie – Was e<strong>in</strong>e „kle<strong>in</strong>e Revolution“ war, er<strong>in</strong>nert sich Lela Lähnemann. Außerhalb des lesbischen Umfelds sahen sich Lesben <strong>mit</strong> K<strong>in</strong>dern wieder anderen Klischees und Vorurteilen gegenüber: Ohne Mann im Haus könne doch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d nicht richtig aufwachsen! Und Lesben als „Männerhasser<strong>in</strong>nen“ könnten doch ke<strong>in</strong>e Jungen aufziehen! In den 90er Jahren gab es dann auch <strong>in</strong> Deutschland erste Expertisen über K<strong>in</strong>der lesbischer und schwuler Eltern, die zeigten, dass solche K<strong>in</strong>der ke<strong>in</strong>e Defizite haben oder gar <strong>in</strong> ihrer Entwicklung gestört s<strong>in</strong>d, wie oft behauptet wurde. Den Begriff „Regenbogenfamilie“ gab es damals noch nicht, den hat Lela Lähnemann für e<strong>in</strong>e Fachtagung im Jahr 2000 eigens erfunden – worauf sie heute noch e<strong>in</strong> wenig stolz ist, schließlich ist er <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> aller Munde. Heute gehen lesbische Frauen <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er größeren Selbstverständlichkeit an das Thema K<strong>in</strong>der heran. „Viele jüngere Lesben wollen e<strong>in</strong>fach heute alles – Beruf, Partnerschaft und K<strong>in</strong>der“, me<strong>in</strong>t Lela Lähnemann. Und da die Arbeitsteilung bei gleichgeschlechtlichen Paaren vielfach paritätischer ist als bei Heteros, lässt sich auch der Alltag zwischen Haushalt, K<strong>in</strong>dererziehung und Beruf oft leichter organisieren. „Die starren Positionen von damals, für die e<strong>in</strong> Leben <strong>mit</strong> K<strong>in</strong>d so gar nicht zum lesbischen Leben passt, haben sich verändert“, so Uli Streib-Brzic. „Auch durch die realen Vorbilder, die es schon gab, hat sich nach und nach die Erkenntnis durchgesetzt, dass es e<strong>in</strong> möglicher Lebensentwurf für Lesben ist“. *Name von der Red. geändert Claudia L<strong>in</strong>dner 21