Ein Flirt mit Paris Mädchen in Uniform Heather - L-Mag
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Von e<strong>in</strong>er, die immer wieder aufsteht<br />
Angelika Klüssendorfs „Das <strong>Mädchen</strong>“ hätte den Frankfurter Buchpreis verdient gehabt<br />
L-MAG<br />
Autor<strong>in</strong><br />
Angelika Klüssendorf<br />
Fatale Familie<br />
Ergreifend: „Der Regen, bevor er fällt“<br />
Romane, die „Frauenschicksale über mehrere Generationen“<br />
erzählen, gibt es haufenweise. Aber nur wenige tun dies so schön<br />
e<strong>in</strong>drücklich und poetisch wie der britische Autor Jonathan Coe.<br />
Das Buch kam bereits 2009 auf Deutsch heraus und wird jetzt als Taschenbuch<br />
verlegt. Schon vor zwei Jahren war sich die Kritik e<strong>in</strong>ig über<br />
se<strong>in</strong>e sprachliche und erzählerische Kraft. Alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong> bestimmtes Detail<br />
sucht man <strong>in</strong> den meisten Buchbesprechungen vergebens: Rosamond, die<br />
Erzähler<strong>in</strong> und Hauptfigur des Romans, ist lesbisch. Und sie berichtet<br />
nicht nur von ihrer Familientragödie, sondern auch von ihren – meist gescheiterten<br />
– Liebesbeziehungen. Zum Glück gibt es ja L-MAG, wo solche<br />
„Details“ nicht unter den Teppich gekehrt werden. Die Geschichte<br />
entfaltet sich anhand selbst besprochener Tonbänder der <strong>mit</strong>tlerweile verstorbenen<br />
Rosamond. Die Tonbänder s<strong>in</strong>d Beschreibungen von 20 Familienfotos,<br />
gedacht als Vermächtnis an Imogen, die bl<strong>in</strong>de Enkel<strong>in</strong> ihrer<br />
Kus<strong>in</strong>e Beatrix. Und jene Beatrix, Dreh- und Angelpunkt des Familiendramas,<br />
ist auch die unerfüllte, be<strong>in</strong>ahe obsessive Liebe Rosamonds.<br />
Doch nicht Imogen f<strong>in</strong>det die Bänder, sondern Rosamonds Nichte Gill,<br />
die sie geme<strong>in</strong>sam <strong>mit</strong> ihren Töchtern gebannt anhört und so tiefgreifende<br />
Erkenntnisse über die eigene Familie gew<strong>in</strong>nt. <strong>E<strong>in</strong></strong><br />
nicht ganz kitschfreies, sehr lesenswertes Buch<br />
über unerfüllte Liebe, Frauen, die sich nicht trauen,<br />
und die Verlogenheit <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Familie.<br />
Manuela Kay<br />
Foto: Alex Reuter<br />
Jonathan Coe:<br />
„Der Regen, bevor er fällt“,<br />
BTB Verlag,<br />
300 Seiten, 9,99 Euro<br />
Was für e<strong>in</strong> Buch! Die Schriftsteller<strong>in</strong><br />
Angelika Klüssendorf lockt uns <strong>mit</strong><br />
ihrem neuesten Roman <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ostdeutsche<br />
Vergangenheit, die man so nicht kennt. „Das<br />
<strong>Mädchen</strong>“ kämpft dort gegen die Rohheit der<br />
prügelnden Mutter, die Ungerechtigkeiten der<br />
Staatspolizei, gegen sexuelle Orientierungslosigkeit<br />
– und gegen sich selbst. Dass sie trotz aller<br />
Widrigkeiten nur umso stärker wird und sich zu<br />
e<strong>in</strong>er fasz<strong>in</strong>ierenden, zielstrebigen Persönlichkeit<br />
entwickelt, ist wahrhaft e<strong>in</strong>e literarische Glanzleistung.<br />
Durch das Fehlen jeglicher Mitleidsbekundungen<br />
wird „Das <strong>Mädchen</strong>“ zu e<strong>in</strong>er toughen<br />
und humorvoll-lakonisch erzählten Com<strong>in</strong>g-ofage-Geschichte,<br />
die sich gewaschen hat. Das ahnt<br />
die geneigte Leser<strong>in</strong> schon bei Beg<strong>in</strong>n des ersten<br />
Satzes: „Scheiße fliegt durch die Luft“. Denn die<br />
Mutter hat ihre beiden kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>der mal wieder<br />
tagelang alle<strong>in</strong> gelassen, und nun wissen die<br />
BUCH<br />
Geschwister nicht, woh<strong>in</strong> <strong>mit</strong> dem Topf voller<br />
st<strong>in</strong>kender Fäkalien. <strong>E<strong>in</strong></strong> rasanter <strong>E<strong>in</strong></strong>stieg ist das,<br />
der das Tempo für e<strong>in</strong>e Geisterbahnfahrt durch<br />
e<strong>in</strong>e zerfetzte, von Sadismus geprägte K<strong>in</strong>dheit<br />
und Jugend vorgibt. Aber so viel sei gesagt: Dieses<br />
<strong>Mädchen</strong> lässt sich nicht unterkriegen, die steht,<br />
wenn sie fällt, sofort wieder auf. Es bleibt also zu<br />
hoffen, dass wir irgendwann noch mehr von<br />
dieser Figur erfahren und ihr<br />
– vielleicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fortsetzung?<br />
– als Frau wiederbegegnen<br />
dürfen. Für die deutsche<br />
Literatur wäre das e<strong>in</strong><br />
Glücksfall. cn<br />
Angelika Klüssendorf:<br />
„Das <strong>Mädchen</strong>“,<br />
Kiepenheuer & Witsch,<br />
182 Seiten, 18,99 Euro<br />
Im grünen Bereich<br />
Claudia Breitsprechers Roman<br />
zwischen Politik und Privatheit<br />
Mart<strong>in</strong>a Wernicke, grüne Bundestagsabgeordnete, überlebt nur<br />
knapp e<strong>in</strong> Attentat und zieht sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> ländlich gelegenes<br />
Wochenendhäuschen zurück. In der uckermärkischen Prov<strong>in</strong>z<br />
will sie nicht nur vom Trauma genesen, sondern auch die Tatsache verdauen,<br />
dass sich erst kürzlich ihre Freund<strong>in</strong> Eleni von ihr trennte. Doch<br />
diese sommerliche „Auszeit“ mutiert zur unbeabsichtigten Konfrontation<br />
<strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er Realität, die Mart<strong>in</strong>a im politischen Alltagsgeschäft schon längst<br />
abhandengekommen war: Im Kontakt <strong>mit</strong> ihren neuen Nachbarn wird ihr<br />
klar, welchen Anteil sie selbst an e<strong>in</strong>er Politik hat, die den Menschen statt<br />
qualifizierter Arbeitsplätze Hartz IV oder Dump<strong>in</strong>glöhne beschert. Auch<br />
bemerkt sie, dass ihr Hunger auf Erfolg und Macht nicht nur ihre politischen<br />
Überzeugungen, sondern auch ihr Liebesleben korrumpierte. <strong>E<strong>in</strong></strong>igen<br />
Passagen von Breitsprechers Roman fehlt zuweilen der Blick fürs<br />
literarische Detail oder das Gespür für passende Metaphern: „Das<br />
Paradies ist nicht dort, wo es laut ist. Es sickert still <strong>in</strong> unsere Poren wie<br />
Honig <strong>in</strong> den Teig e<strong>in</strong>er Scheibe Toast.“ Dafür aber glänzt „Auszeit“ <strong>mit</strong><br />
starken Dialogen und unvorhergesehenen Wendungen<br />
e<strong>in</strong>es Plots, der e<strong>in</strong>en spannungsreichen<br />
<strong>E<strong>in</strong></strong>blick gibt <strong>in</strong> Karriere- und Beziehungsalltag<br />
e<strong>in</strong>er lesbischen Öko-Politiker<strong>in</strong>.<br />
Jana Tosch<br />
Claudia Breitsprecher:<br />
„Auszeit“,<br />
Krug & Schadenberg,<br />
219 Seiten, 19,90 Euro<br />
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