Wie dokumentarfilme die innerschWeiz folklorisieren - 041 ...
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agh hat <strong>die</strong>sem eigentümlich schwebenden<br />
Japan-Buch äusserst behutsam eine<br />
deutsche Form verliehen.<br />
<strong>die</strong> jüngst erschienene übersetzung<br />
von Péter nádas' «Parallelgeschichten»<br />
ver<strong>die</strong>nt das Prädikat «herkulesarbeit» allein<br />
schon der 1700 seiten wegen. obendrein<br />
ist nádas ein ausgesprochen präziser<br />
stilist, der entsprechende sorgfalt bei der<br />
umsetzung ins deutsche verlangt. in einem<br />
aufsatz im Begleitbuch zu den «Parallelgeschichten»<br />
schreibt christina Viragh<br />
aus profunder optik, dass <strong>die</strong>ses Werk<br />
«in der spannung zwischen seiner sprachlichen<br />
Besonderheit und seiner Weit- und<br />
Weltläufigkeit» lebt; eine spannung, deren<br />
intuition und unergründlichkeit vom autor<br />
nicht verraten wird.<br />
nicht zuletzt deshalb leitet Viragh<br />
gleich auch <strong>die</strong> maxime für ihre arbeit daraus<br />
ab: «übersetze so, dass das, was nicht<br />
gesagt wird, weil es scheinbar nicht hineingehört,<br />
doch spürbar bleibt, spürbar <strong>die</strong><br />
intensität der vielfachen eindrücke des<br />
autors, sein vor spannung vibrierender<br />
Bezug zu den dingen.» der Leipziger Preis<br />
bekundet, dass ihr das vortrefflich gelungen<br />
ist.<br />
ob der übersetzungsarbeit soll indes<br />
nicht vergessen gehen, dass sich christina<br />
Viragh auch als autorin hervortut. übersetzung<br />
und eigenes Werk stehen in enger<br />
Verbindung miteinander. um das unsagbare<br />
und das ungesagte kreist auch ihre<br />
Prosa.<br />
luzerner topografie, literarisch<br />
eingefangen<br />
christina Viragh ist 1953 in Budapest<br />
geboren, mit sieben Jahren emigrierte sie<br />
mit ihren eltern in <strong>die</strong> schweiz. sie wuchs<br />
in Luzern auf, stu<strong>die</strong>rte Philosophie, deutsche<br />
und französische Literatur in Lausanne<br />
und arbeitete danach als Journalistin<br />
und Lehrerin für Französisch. nachdem<br />
sie 1994 ein Jahr als stipendiatin in<br />
rom verbrachte, zog sie in <strong>die</strong>se südlichen<br />
gefilde. in ihren Büchern jedoch behielt<br />
<strong>die</strong> Luzerner topografie ihren unergründlichen<br />
stellenwert. sie hat sie mehrfach literarisch<br />
eingefangen und transformiert.<br />
1992 debütierte christian Viragh mit<br />
dem roman «unstete Leute». auf kunstvoll<br />
verschlungene, gleichermassen detailscharfe<br />
wie halluzinierende Weise erzählt<br />
Viragh<br />
sie darin <strong>die</strong> geschichte einer Flucht, <strong>die</strong><br />
sich nur mit einem unpersönlichem «man»<br />
erzählen lässt. <strong>die</strong> ankunft in der fremden<br />
stadt ist kein ankommen, sondern öffnet<br />
einen emotionalen raum der Befremdung<br />
und der unzugehörigkeit. <strong>die</strong> Wahrnehmung<br />
zerfällt in einzelpartikel, <strong>die</strong> sich einem<br />
gesamtzusammenhang verweigern.<br />
auf <strong>die</strong>se Weise ist es Viragh nicht nur gelungen,<br />
<strong>die</strong> unsagbare erfahrung des<br />
Fremden in sprache zu übersetzen, vielmehr<br />
ist <strong>die</strong>se selbst sprache geworden. im<br />
bereits erwähnten interview sagte <strong>die</strong> autorin:<br />
«meiner meinung nach ist alles er-<br />
Das Übersetzen unterscheidet<br />
sich bei Christina<br />
Viragh nicht grundsätzlich<br />
vom Prosa-Schreiben.<br />
Übersetzung und eigenes<br />
Werk stehen in enger<br />
Verbindung miteinander.<br />
innerung, alles. ohne sie gibt es keine zusammenhänge,<br />
aber gleichzeitig ist <strong>die</strong> erinnerung<br />
eine sehr fragile angelegenheit.<br />
sie zerfällt ständig, sie ist wie ein mosaik.»<br />
<strong>die</strong>sen Prozess des zerfalls und neu<br />
Verknüpfens demonstrieren speziell auch<br />
<strong>die</strong> beiden zuletzt erschienenen romane<br />
«Pilatus» und «im april». «Pilatus» (2003)<br />
gibt ein vielschichtiges, verschlungenes,<br />
beziehungsreiches geflecht aus erinnerung<br />
und gegenwart wieder, worin Wahrheit<br />
nur als irrlichternder Plural aufscheint,<br />
zu der über ungefähres, zerfurchtes terrain<br />
viele Wege führen. im zentrum steht<br />
das Verschwinden der mutter, das <strong>die</strong> erzählerin<br />
und ihre schwester zu ergründen<br />
versuchen. der Pilatus ist dabei der örtliche<br />
und zugleich mythopoetische kristallisationskern<br />
ihrer neurotischen schwesterbeziehung.<br />
Vielleicht findet sich in einer<br />
der zahllosen sagen und Legenden ein<br />
schlüssel für das Fernbleiben der mutter.<br />
16<br />
ebenfalls um einen bestimmten ort,<br />
eine matte in Luzern, rankt sich der roman<br />
«im april» (2006). Viragh faltet darin<br />
einen vielfältigen erzählprospekt auf und<br />
schachtelt vier geschichten aus unterschiedlichen<br />
zeitepochen subtil ineinander.<br />
auf raffinierte Weise verbindet sie<br />
hierbei anschauliches erzählen mit einer<br />
kunstvollen struktur, <strong>die</strong> nicht voreilig einen<br />
überblick suggeriert, sondern es dem<br />
Lesepublikum überlässt, <strong>die</strong>sen überblick<br />
selbst zu schaffen und zu erfahren. darin<br />
besteht ein zentrales markenzeichen ihrer<br />
Literatur.<br />
Prosa und übersetzung finden<br />
zusammen<br />
mit ihrer Prosa und mit ihren übersetzungen<br />
zählt christina Viragh zu den<br />
wichtigen stimmen der schweizer Literatur.<br />
in einem längeren Porträt hat urs Bugmann<br />
treffend geschrieben: «ihre Bücher<br />
(...) berichten von den Voraussetzungen<br />
des erzählens und erzählen dabei in überhellen<br />
Bildern, <strong>die</strong> keine ganzheit vortäuschen<br />
und keine folgerichtigen abläufe. sie<br />
halten unsere prekäre existenz aus und<br />
machen uns fähig, nach unserem ort zu<br />
suchen, unsere orientierung in der gegenwart<br />
zu befragen.»<br />
in <strong>die</strong>ser Formulierung finden Prosa<br />
und übersetzung zusammen. das übersetzen<br />
unterscheidet sich bei christina Viragh<br />
nicht grundsätzlich vom Prosa-schreiben.<br />
<strong>die</strong> nur unmerkliche zäsur äussert sich<br />
letztlich darin, dass <strong>die</strong> übersetzungen bereits<br />
einmal in einer anderen sprache geschrieben<br />
und publiziert worden sind.<br />
Romane von Christina Viragh:<br />
Unstete Leute. Klett-Cotta, Stuttgart 1992,<br />
Rufe von jenseits des Hügels. Klett-Cotta, Stuttgart<br />
1994,<br />
Mutters Buch. Klett-Cotta, Stuttgart 1997,<br />
Pilatus. Ammann Verlag, Zürich 2003,<br />
Im April. Ammann Verlag, Zürich 2006<br />
Übersetzungen (Auswahl):<br />
Péter Nádas: Liebe. Berlin 1996,<br />
Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen,<br />
Berlin 1996,<br />
Alain-Fournier: Der grosse Meaulnes, Zürich 1997,<br />
Gyula Krúdy: Meinerzeit, München 1999,<br />
Sándor Márai: Die Glut, München 1999,<br />
Lászlò Krasznahorkai: Im Norden ein Berg, im Süden<br />
ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss.<br />
Zürich 2005,<br />
Péter Nádas: Parallelgeschichten. Reinbek bei<br />
Hamburg 2012