Wie dokumentarfilme die innerschWeiz folklorisieren - 041 ...
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LECHTS UND RINKS<br />
<strong>die</strong> macht der abstinenzler<br />
Von Christoph Fellmann<br />
es war <strong>die</strong> grösste politische sensation, <strong>die</strong><br />
es in Luzern je gab. der katholische, konservative<br />
kanton hatte gerade den sonderbundskrieg<br />
verloren, als er im sommer<br />
1848 über <strong>die</strong> Bundesverfassung abstimmte.<br />
59 Prozent der Luzerner stimmten dem<br />
neuen schweizer grundgesetz zu, das doch<br />
<strong>die</strong> Freisinnigen diktiert hatten. nun, der<br />
abstimmungssieg der revolutionären<br />
kräfte verdankte sich einem einfachen<br />
trick: <strong>die</strong> männer, <strong>die</strong> nicht an <strong>die</strong> urne<br />
gegangen waren, wurden zu den Befürwortern<br />
gezählt. Wer also nicht ausdrücklich<br />
gegen <strong>die</strong> neue ordnung war, nahm<br />
man an, war für sie. daran musste ich denken,<br />
als im märz in emmen über <strong>die</strong> aufnahme<br />
von Fusionsverhandlungen mit der<br />
stadt Luzern abgestimmt und <strong>die</strong> Fantasie<br />
von der «stadtregion», von «grossluzern»<br />
endgültig begraben wurde. 53,6 Prozent<br />
hatten mit nein gestimmt. <strong>die</strong> stimmbeteilung<br />
lag bei 51 Prozent.<br />
nun ist es natürlich ganz und gar unanständig,<br />
darüber zu spekulieren, wie <strong>die</strong><br />
anderen 49 Prozent gestimmt hätten, hätten<br />
sie denn gestimmt. ein interessantes<br />
gedankenspiel ist es allemal. denn hat,<br />
wer nicht abstimmt, tatsächlich keine meinung?<br />
oder anders, konkreter gefragt: <strong>Wie</strong><br />
würden menschen über eine gemeindefusion<br />
abstimmen, <strong>die</strong> durch ihre stimmabstinenz<br />
zu verstehen geben, dass ihnen <strong>die</strong><br />
gemeindegrenzen egal sind? es ist völlig<br />
plausibel anzunehmen, dass sie der gemeindefusion<br />
zustimmen würden. – damit<br />
keine missverständnisse aufkommen:<br />
ich behaupte nicht, dass <strong>die</strong> gemeinden<br />
der agglomeration in den Fusionsabstimmungen<br />
den alten trick der Vorväter hätten<br />
anwenden sollen; er ist mit den spielregeln<br />
der demokratie nicht vereinbar. ich<br />
behaupte aber, dass es in emmen – und<br />
auch in kriens, horw und ebikon – eine<br />
«Das Fusionsprojekt war<br />
längst eins der schlechten<br />
Stimmung, der ausgeleierten<br />
Argumente und der simplen,<br />
aber erfolgreichen Propaganda<br />
seiner Gegner.»<br />
solide mehrheit gibt für eine Fusion mit<br />
der stadt Luzern. es ist <strong>die</strong> anonyme mehrheit<br />
derer, <strong>die</strong> sich so selbstverständlich in<br />
der «stadtregion» bewegt, dass sie sich<br />
nicht einmal dann für <strong>die</strong> politischen geschäfte<br />
ihrer Wohngemeinde interessiert,<br />
wenn es um deren existenz geht.<br />
es ist <strong>die</strong> mehrheit, <strong>die</strong> durch ihr alltagsverhalten<br />
ganz unsentimental jene realität<br />
schafft, hinter der <strong>die</strong> Politik immer<br />
noch hinterherhinkt. es ist <strong>die</strong> realität einer<br />
grossen, zusammenhängenden stadt,<br />
in der sich kein einziges wichtiges Problem<br />
an <strong>die</strong> gemeindegrenzen hält, und in der<br />
keine einzige wichtige zukunftsfrage<br />
durch <strong>die</strong> Folkloristen der gemeindeauto-<br />
22<br />
nomie beantwortet werden kann. dass<br />
<strong>die</strong>se mehrheit nach den abstimmungen<br />
wie eine minderheit aussieht, ist ein bisschen<br />
deprimierend. aber wichtiger als <strong>die</strong>se<br />
Feststellung ist <strong>die</strong> Frage: <strong>Wie</strong> findet<br />
man an der urne eine mehrheit für eine<br />
Fusion, wenn <strong>die</strong> grosse mehrheit ihrer<br />
Befürworter an <strong>die</strong>ser urne unter keinen<br />
umständen je erscheinen wird? <strong>die</strong> gelungene<br />
Fusion mit Littau gibt <strong>die</strong> antwort: es<br />
braucht ein konkretes Fusionsprojekt mit<br />
einer gemeinde, in der eine realistische<br />
chance besteht, mit den richtigen argumenten<br />
eine mehrheit der abstimmenden<br />
zu überzeugen.<br />
so gesehen war <strong>die</strong> strategie der stadt<br />
Luzern zum scheitern verurteilt. statt das<br />
momentum zu nutzen, um mit emmen<br />
und im zuge der entwicklung des neuen<br />
stadtzentrums Luzern-nord einen kleineren,<br />
aber erfolgversprechenden zweiten<br />
schritt zu tun, wollte man gleich mit der<br />
ganzen agglo zusammengehen. und<br />
stürmte in horw, kriens, ebikon und adligenswil<br />
in <strong>die</strong> sichere niederlage. das nein<br />
aus emmen war dann nur noch der logische<br />
tiefpunkt in der abwärtsspirale: das<br />
Fusionsprojekt war, als emmen abstimmte,<br />
längst eins der schlechten stimmung,<br />
der ausgeleierten argumente und der simplen,<br />
aber erfolgreichen Propaganda seiner<br />
gegner. 1848 hat <strong>die</strong> Luzerner regierung<br />
eine wichtige abstimmung durch einen<br />
trick gewonnen. heute steht den Politikern<br />
<strong>die</strong>ser trick zum glück nicht mehr<br />
zur Verfügung. taktik aber wäre erlaubt.<br />
illustration: mart meyer