Wie dokumentarfilme die innerschWeiz folklorisieren - 041 ...
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sBB, <strong>die</strong>se swissness auf schienen, verstehen sich<br />
nicht mehr als ein unternehmen, das seine kunden in<br />
<strong>die</strong> Welt hinausträgt, das ihnen neue orte und menschen<br />
erschliesst. <strong>die</strong> züge führen nur noch nach<br />
hause, zu heim und heimatherd. komponiert hat das<br />
Lied übrigens roman camenzind. der spielte früher<br />
bei subzonic eine musik, <strong>die</strong> man urban nannte.<br />
und jetzt stimmt er auftrags der Bähnlerschweiz<br />
also ein in <strong>die</strong> schalmei der eidg. selbstgenügsamkeit,<br />
<strong>die</strong> neuerdings auch englisch kann. in «<strong>die</strong> kinder<br />
vom napf» klingt das so: «romoos is super.» das mag<br />
ja sein, aber der Film ist es nicht. alice schmid beobachtet<br />
ihre hauptdarsteller, als drehe sie keinen dokumentar-,<br />
sondern einen tierfilm. <strong>die</strong> kamera filmt<br />
den alltag der kinder im Winter, im Frühling, im<br />
sommer und im herbst und entdeckt dabei so bemerkenswerte<br />
Verhaltensweisen wie klarinette spielen,<br />
kartoffeln schälen oder Fussball spielen. man muss<br />
schon sehr verstädtert sein im kopf, um das nicht für<br />
banal und langweilig zu halten. Für das gegenteil eines<br />
guten dokumentarfilms.<br />
aber seien wir nicht ungerecht: auch in «alpsegen»,<br />
«Wätterschmöcker» oder «Bergauf, bergab» ist<br />
der dokumentarische zugriff nichts anderes als eine<br />
ausrede, um mit der kamera faul über Berge und Bärte<br />
zu gleiten und <strong>die</strong> wichtigen Fragen nicht zu stellen.<br />
«<strong>die</strong> kinder vom napf» kommt einem Blick in <strong>die</strong> zukunft<br />
<strong>die</strong>ser kinder noch am nahesten, als ein mädchen<br />
sagt, romoos müsse halt wie hollywood werden.<br />
herzig. thomas horat merkt in «Wätterschmöcker»<br />
einen ganzen Film lang nicht, dass er der üblichen<br />
selbstinszenierung der muotathaler aufsitzt, wonach<br />
es sich bei ihnen um besonders urchige typen, Pfeifenraucher,<br />
theatermacher und heavymetaller handle.<br />
und in «alpsegen» schafft Bruno moll das kunststück,<br />
über den alpsegen nichts zu erzählen, während<br />
er fleissig <strong>die</strong> kalendersprüche seiner sennen einsammelt.<br />
Wer wirklich in den schattenbereich von heidnischer<br />
und katholischer kultur vorstossen will, muss<br />
sich «arme seelen» ansehen, edwin Beelers grossartige<br />
reportage über untotes denken und glauben.<br />
zurück nach 1729<br />
nun, mit den regisseuren glaubt auch das Publikum<br />
gerne an <strong>die</strong> «grossinszenierung eines alpinen<br />
gegenraums», von der Jakob tanner gesprochen hat<br />
und <strong>die</strong> sich im 21. Jahrhundert das Fernsehen und<br />
kino als massenmedium gewählt hat. hier ist noch<br />
(oder wieder) möglich, was sich jeder intendant einer<br />
Landesausstellung längst verbitten würde – <strong>die</strong> Folklorisierung<br />
der schweiz. gerade <strong>die</strong> urkantone werden<br />
vor den kameras der <strong>dokumentarfilme</strong>r zum reduit<br />
eines in der tradition verwurzelten und mit der natur<br />
folklorisierung<br />
verbundenen Lebens stilisiert. <strong>Wie</strong> vor bald 300 Jahren<br />
in «<strong>die</strong> alpen». das Langgedicht von albrecht von<br />
haller verdankt sich einer reise des Berner naturwissenschaftlers<br />
durch das engelbergertal und ist <strong>die</strong> urszene<br />
der helvetischen Bergverherrlichung: «<strong>die</strong> Freyheit<br />
theilt dem Volk aus milden mutter-händen / mit<br />
immer gleichem mass, Vergnügen, ruh und müh. /<br />
kein unzufriedner sinn zankt sich mit seinem glücke,<br />
/ man isst, man schläft, man liebt, und danket dem<br />
geschicke.»<br />
manchmal kündigt sich ein gewitter an, und dann<br />
biegen sich <strong>die</strong> tannen, und männer mit Blumen im<br />
mund äugen aus ihren gaden. «einmal Bergler, immer<br />
Bergler», sagt ein Bergler. der milan kreist, und<br />
der käse im chessi wird endlich gut.<br />
Besucherzahlen<br />
(Kinoeintritte in der Schweiz, Stand 11. April 2012)<br />
Dokumentarfilme über <strong>die</strong> ländliche Schweiz:<br />
Die Kinder vom Napf (Alice Schmid, 2012) 66 212<br />
Das Erbe der Bergler (Erich Langjahr, 2006) 63 879<br />
Bergauf, bergab (Hans Haldimann, 2008) 57 811<br />
Hirtenreise ins 3. Jahrtausend (Erich Langjahr, 2002) 43 219<br />
Die <strong>Wie</strong>senberger (Bernard Weber/Martin Schilt, 2012) 31 682<br />
Schönheiten des Alpsteins (Thomas Rickenmann, 2008) 30 265<br />
Heimatklänge (Stefan Schwietert, 2007) 26 723<br />
Arme Seelen (Edwin Beeler, 2011) 25 335<br />
Wätterschmöcker (Thomas Horat, 2010) 21 891<br />
Bödälä – Dance the Rhythm (Gita Gsell, 2010) 21 604<br />
Sennen-Ballade (Erich Langjahr, 1996) 14 096<br />
Ur-Musig (Cyrill Schläpfer, 1993) 5088<br />
Alpsegen (Bruno Moll, 2012, nach einer Woche im Kino) 1861<br />
Das Alphorn (Stefan Schwietert, 2003) 3697<br />
Hoselupf (This Lüscher, 2011) 39 808<br />
Silvesterchlausen (Thomas Rickenmann, 2011) 16 434<br />
Andere Schweizer Dokumentarfilme:<br />
Mais im Bundeshuus (Jean-Stéphane Bron, 2003) 105 161<br />
Vol spécial (Fernand Melgar, 2011) 31 240<br />
Dutti – der Riese (Martin Witz, 2007) 30 665<br />
Jo Siffert (Men Lareida, 2005) 30 459<br />
Cleveland vs. Wall Street (Jean-Stéphane Bron, 2010) 29 357<br />
No More Smoke Signals (Fanny Bräuning, 2009) 14 227<br />
Pizza Bethlehem (Bruno Moll, 2010) 8785<br />
Geburt (Silvia Haselbeck/Erich Langjahr, 2009) 6343<br />
Space Tourists (Christian Frei, 2009) 3856<br />
Andere Schweizer Dokumentarfilme mit Kulturthemen:<br />
Die Frau mit den 5 Elefanten (Vadim Jendreyko, 2009) 31 048<br />
Balkan Melo<strong>die</strong> (Stefan Schwietert, 2012) 5209<br />
The Substance – Albert Hofmann's LSD (Martin Witz, 2011) 5081<br />
Sounds and Silence (Norbert <strong>Wie</strong>dmer/Peter Guyer, 2009) 3258<br />
Blau (über Hösli & Ricardo, Norbert <strong>Wie</strong>dmer/Stefan Kälin, 2005) 1086<br />
Hardcore Chambermusic (Peter Liechti, 2006) 983<br />
8<br />
Quelle: Procinema, Bern