Klarheit und gute Nachbarschaft - Evangelische Kirche in Deutschland
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Auch Menschen, die vom dreie<strong>in</strong>igen Gott reden, können diese Wahrheit weder<br />
besitzen noch über sie verfügen. Sie bleiben Sünder, die darauf angewiesen s<strong>in</strong>d,<br />
dass diese Wahrheit sie von Sünde <strong>und</strong> Schuld frei macht. Zu anderen Menschen –<br />
also auch Muslimen –, die von dieser Wahrheit nicht berührt s<strong>in</strong>d, reden sie von<br />
dem Gott, der sündige Menschen rechtfertigt, <strong>in</strong> der Erwartung, dass Gott auch<br />
ihnen die Gewissheit ihrer Rechtfertigung durch se<strong>in</strong>e Gnade schenkt. Solche<br />
Gewissheit kann weder durch Taktik noch Überredung erzwungen werden. Die<br />
christliche Geme<strong>in</strong>de begegnet Menschen, die solche Gewissheit nicht haben,<br />
darum mit der Bitte <strong>und</strong> E<strong>in</strong>ladung, sich auch mit Gott versöhnen zu lassen (vgl. 2.<br />
Kor. 5,20). E<strong>in</strong>ladung <strong>und</strong> Bitten s<strong>in</strong>d die Gr<strong>und</strong>formen christlicher Mission, der<br />
<strong>und</strong>uldsamer Zwang fremd ist. Gott selbst offenbart sich Menschen <strong>in</strong> Liebe <strong>und</strong><br />
nicht mit der Gewalt göttlicher Übermacht. Er begegnet Menschen werbend, <strong>in</strong>dem<br />
er ihnen Zeit <strong>und</strong> Raum gibt, se<strong>in</strong> Wort zu hören <strong>und</strong> sich von se<strong>in</strong>em Geist<br />
anrühren zu lassen. Darum lässt die christliche Mission auch <strong>in</strong> der Begegnung mit<br />
Muslimen Raum zur eigenen Entscheidung für oder gegen Gottes Wahrheit. Sie<br />
vertraut darauf, dass Gottes Geist Menschen befähigt, se<strong>in</strong>e Liebe von allen ihren<br />
menschlichen, von Irrtum bedrohten Darstellungen zu unterscheiden.<br />
In e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der alle Wahrheiten relativiert werden, kann die evangelische <strong>Kirche</strong><br />
leicht <strong>in</strong> den Verdacht geraten, sich mit diesem Verständnis der Wahrheit Gottes<br />
dem Zeitgeist beugen zu wollen. Denn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft des weltanschaulichen<br />
<strong>und</strong> religiösen Pluralismus sche<strong>in</strong>t der absolute Wahrheitsanspruch e<strong>in</strong>er Religion<br />
per se wahrheitswidrig zu se<strong>in</strong>. Besonders monotheistische Religionen sehen sich<br />
dem Vorwurf ausgesetzt, mit ihrem Glauben an den e<strong>in</strong>en Gott dem Geist e<strong>in</strong>es<br />
<strong>in</strong>toleranten Alle<strong>in</strong>vertretungsanspruchs der Wahrheit zu frönen. Wenn aber gefordert<br />
wird, den Glauben an die absolute Wahrheit Gottes aufzugeben, kann<br />
„Wahrheit“ nur noch als subjektiv beliebige Überzeugung verstanden werden. Dann<br />
gilt diese Wahrheit nur noch für diejenigen, die sie vertreten.<br />
Wenn die evangelische <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong>räumt, mit ihren menschlichen<br />
Unzulänglichkeiten der Wahrheit Gottes selbst immer wieder im Weg gestanden zu<br />
haben, unterwirft sie sich ke<strong>in</strong>eswegs diesem Wahrheitsverständnis. Denn trotz<br />
menschlicher Ungewissheiten <strong>und</strong> Unkenntnis, trotz Schwäche <strong>und</strong> Schuld auf<br />
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