Dokumente zur Geschichte des Nachlasses von G.W.F. Hegel 'Zwei ...

Notiz an mich gelangen lassen, daß Sie sich in Besitz
von noch unverarbeitetem Material für die Lebensgeschichte
Hegel's befinden, u. Sie verbinden damit das
unschätzbare Anerbieten, mir dasselbe zur Benutzung
überlassen zu wollen. Gestatten Sie mir, Ihnen vor allem
meinen ver·b ind 1 ichsten Dank dafür auszusprechen, einen
Dank, an dessen Aufrichtigkeit Sie um so weniger zweifeln
werden, da Ihnen aus eigener Erfahrung bekannt ist,
wie selten dergleichen Gefälligkeiten, u. wie viel seltener
sie aus freiem Entgegenkommen erwiesen werden. Ich
nehme aber auch das so Gebotene mit beiden Händen an, -
vorausgesetzt, daß dasjenige, was ich Ihnen über die
Beschaffenheit meiner Arbeit u. über die dadurch bedingte
Benutzung der in Rede stehenden Papiere zu eröffnen
habe, mit Ihrem Entschluß u. dessen Motiven nicht in
Widerspruch steht.
Wenn Sie, verehrter Herr, ich weiß nicht mehr, erfahren
haben, daß ich mit einer Schrift Uber unseren Philosophen
beschäftigt bin, so sind Sie darin recht berichtet.
Es würde jedoch ein Mißverständnis sein, wenn Sie eine
förmliche Biographie, bestimmt etwa, die Rosenkranzische
überflüssig zu machen, vermutheten. Meine Schrift soll
allerdings den Titel führen: 'Hegel u. seine Zeit'; ihr
Hauptzweck indeß geht auf eine Darstellung der Entstehungs-
u. Entwickelungsgeschichte, - auf eine historisch-pragmatische
Kritik mithin der Hegel'schen Philosophie.
Biographische Vollständigkeit im nebensächlichen
Detail ist durch diesen Zweck: sie ist ebenso durch die
von mir gewählte Form, - die Form von Vorlesungen,
ausgeschlossen. Nichts destoweniger läuft nun aber meine
Darstellung beständig an dem Faden der Hege1'schen Lebensgeschichte,
die Entwickelung seines philosophischen
wie der Ent.wickeiungseines individuellen Lebens fort,
u. die Kenntnis des letzteren ist mir daher so wichtig,
wie sie nur irgend dem eigentlichen Biographen sein
könnte. Bin ich daher bisher schon - u. zum Theil mit
gutem Erfolge - bemüht gewesen, das bei Rosenkranz vorliegende
Material aus gedruckten u. ungedruckten Mittheilungen
zu ergänzen u. zu berichtigen, so ermessen
Sie leicht, wie begierig ich auf Ihre Schätze schon
jetzt, u. wie beflissen ich sein werde, dieselben in dem
angedeuteten Interesse auszubeuten, um dadurch mein Buch
soviel wie möglich wenigstens zu einem Complemente des
Werkes von Rosenkranz zu machen. Alles, was in irgend
einer Weise auf die Gestaltung der Hegel'schen Überzeugungen
durch u. im Zusammenhange mit äußeren Erlebnissen,
persönlichen Beziehungen, Zeiterscheinungen u.s.w.
ein Licht werfen kann, muß demjenigen, der sich die
pragmatische Analyse jener Oberzeugungen zu Aufgabe
gemacht hat, von der höchsten Wichtigkeit sein. Ich erlaube
mir, anzudeuten, daß dabei insbesondere die politischen
Ansichten des Mannes in Frage kommen, und daß
mit diesem zugleich die ganze spätere Form seines Systems
wesentlich aus der Stellung der Philosphie zur
damaligen Zeit, aus seinem Verhältnis zur preuß. Regierung
und zu den leitenden Staatsmännern - (wo denn auch
die ganze Geschichte seiner Berufung [ ..• ]) - wird
miterklärt werden müssen. Die Hoffnung, daß Ihre Mit-
112