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8<br />
BILDUNG<br />
Welttag für<br />
menschenwürdige<br />
Arbeit<br />
Der internationale Gewerkschaftsbund<br />
hat am 7. Oktober 2012 zum fünften Mal<br />
den Welttag für menschenwürdige Arbeit<br />
ausgerufen. Gerade in der weltweiten<br />
Wirtschafts- und Finanzkrise sind internationale<br />
Solidarität und der Kampf für Arbeitnehmerrechte<br />
besonders notwendig.<br />
Ausbeutung und Schutzlosigkeit prägen<br />
das Leben der arbeitenden Menschen<br />
in vielen Ländern des Südens. Die Jugendarbeitslosigkeit<br />
liegt in Spanien und<br />
Griechenland bei über 50 Prozent.<br />
Die Lohn- und Arbeitsbedingungen<br />
für Beschäftigte etwa in der asiatischen<br />
Textilproduktion (u.a. für H&M, Zara und<br />
Metro) oder den Zulieferern großer Computerfirmen<br />
(z.B. Apple) sind oft sehr<br />
schlecht. Und es gibt Länder, da schuften<br />
Zehnjährige in Fabriken, im Bergbau oder<br />
in Steinbrüchen bis zum Umfallen statt<br />
zur Schule gehen zu können.<br />
Kinderarbeit und Jugendarbeitslosigkeit<br />
sind zwei Seiten derselben Medaille:<br />
abgrundtiefe Verachtung menschenwürdigen<br />
Lebens, wenn nur der Profit zählt.<br />
„Gute Arbeit weltweit" war das Motto<br />
der internationalen Konferenz, die DGB<br />
und Friedrich-Ebert-Stiftung am 7. Oktober<br />
in Berlin gemeinsam durchgeführt haben.<br />
Michael Sommer, DGB-Vorsitzender und<br />
Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes<br />
(IGB), machte auf die massiven<br />
Angriffe auf Arbeitnehmerrechte<br />
weltweit aufmerksam: Tarifverträge werden<br />
ausgehebelt, Löhne gedrückt, Mindestlöhne<br />
verweigert, Arbeitszeiten verlängert, der<br />
Arbeitsdruck gesteigert, Renten gekürzt<br />
und das Renteneintrittsalter erhöht. „Wir<br />
können als Gewerkschaften angesichts<br />
dieser Rolle rückwärts nicht still halten,<br />
weil mit der aktuellen Politik auch die Axt<br />
an die demokratischen Grundstrukturen<br />
unseres Gemeinwesens gelegt wird." In<br />
Foren wurde u.a. über Strategien gegen<br />
Kinderarbeit, zur Regulierung prekärer und<br />
informeller Arbeit und zur Durchsetzung<br />
von Gewerkschaftsrechten diskutiert (vgl.<br />
www.dgb.de/extra/wddw2012). Se<br />
Immer mehr prekäre Lebenslagen – besonders unter jungen Menschen<br />
Arme Jugend!<br />
Wie eine Studie des DGB im Februar 2009 belegte, gibt es neben der weiterhin<br />
hohen Jugendarbeitslosigkeit vermehrt Jugendarmut. In einem reichen Land<br />
wie der Bundesrepublik beruht die Armut auf einer Ungleichverteilung der<br />
materiellen Ressourcen. Das bedeutet mehr als wenig Geld zu haben, denn<br />
Arme sind auch persönlicher Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten<br />
beraubt, sozial benachteiligt und (etwa im Hinblick auf Bildung und Kultur,<br />
Wohlergehen und Gesundheit, Wohnen und Wohnumfeld, Freizeit und Konsum)<br />
unterversorgt. Armut entwürdigt die von ihr Betroffenen und schließt sie von<br />
der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben weitgehend aus.<br />
Wer bereits in jungen Jahren sozial deklassiert<br />
und ausgegrenzt wird, vermag kulturelle<br />
und Bildungsprozesse womöglich nie mehr im<br />
Sinne seiner persönlichen Emanzipation zu<br />
nutzen. Hier und heute bedeutet Armut für<br />
betroffene Jugendliche etwa, dass sie niedrige<br />
Schulabschlüsse erreichen und im Umgang<br />
mit Sprache und Lesestoff weniger geübt sind<br />
als Gleichaltrige, die im Wohlstand leben.<br />
Da junge Menschen massivem Druck seitens<br />
der Werbeindustrie wie auch ihrer Peergroup<br />
ausgeliefert sind, etwa durch das Tragen<br />
teurer Markenkleidung oder den Besitz immer<br />
neuer, möglichst hochwertiger Konsumgüter<br />
„mitzuhalten“, kann Armut für Mitglieder dieser<br />
Altersgruppe noch beschämender als für<br />
Mitglieder anderer Gruppen sein.<br />
Armut wirkt in der Adoleszenz nachhaltig<br />
deprimierend und demoralisierend, weil diese<br />
Lebensphase für das Selbstbewusstsein der<br />
Betroffenen von entscheidender Bedeutung<br />
ist. Wird ein Jugendlicher von seinen KlassenkameradInnen<br />
ausgelacht, ist das für ihn<br />
wahrscheinlich schlimmer, als ohne Abendessen<br />
ins Bett gehen zu müssen. Auch weniger<br />
dramatische Unterversorgungslagen führen<br />
leicht zur sozialen Isolation der von Armut<br />
betroffenen Jugendlichen.<br />
Das andere Gesicht der Bundesrepublik<br />
Jugendarmut, die Lern- und Lebenschancen<br />
davon Betroffener schon vor Erreichen<br />
des Erwachsenenalters zerstören kann, ist<br />
ein Armutszeugnis für die deutsche Überflussgesellschaft<br />
und ihren Wohlfahrtsstaat,<br />
der aufgrund fragwürdiger Strukturreformen<br />
immer weniger fähig zu sein scheint, für ein<br />
Mindestmaß an sozialem Ausgleich, Existenzsicherheit<br />
aller BürgerInnen und Gerechtigkeit<br />
zu sorgen. Bei den sog. Hartz-Gesetzen, der<br />
„Agenda 2010“ und den letzten Gesundheitsreformen<br />
handelt es sich um Maßnahmen zum<br />
Um- bzw. Abbau des Sozialstaates, die seine<br />
ganze Architektur, Struktur und Konstruktionslogik<br />
grundlegend verändern. Es geht längst<br />
nicht mehr nur um Leistungskürzungen im<br />
sozialen Sicherungssystem, sondern um einen<br />
Systemwechsel, anders ausgedrückt: um eine<br />
zentrale gesellschaftliche Richtungsentscheidung,<br />
welche das Gesicht der Bundesrepublik<br />
auf absehbare Zeit prägen dürfte.<br />
Das nach dem früheren VW-Manager Peter<br />
Hartz benannte Gesetzespaket markiert für<br />
die Entwicklung von (Jugend-)Armut eine<br />
historische Zäsur. Besonders mit Hartz IV<br />
waren Änderungen im Arbeits- und Sozialrecht<br />
verbunden, die das politische Klima<br />
der Bundesrepublik vermutlich auf Jahrzehnte<br />
verschlechtern.<br />
Hartz IV wirkt als Rutsche in die Armut,<br />
was besonders für junge Menschen gilt, deren<br />
Rechte noch stärker beschränkt wurden als die<br />
älterer SozialleistungsbezieherInnen. 866.000<br />
(9,5 Prozent) von insgesamt etwa 9,1 Mio. Personen<br />
im Alter von 15 bis 24 Jahren lebten im<br />
April 2011 in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften,<br />
landläufig „Hartz-IV-Haushalte“ genannt. Jugendliche,<br />
Heranwachsende und junge Erwachsene,<br />
die weder einen Arbeits- noch<br />
einen Ausbildungsplatz finden, gehören zu<br />
den VerliererInnen der Hartz-Gesetzgebung.<br />
Menschenwürdiges Existenzminimum?<br />
Obwohl der Sozialstaat nach dem Grundgesetz<br />
(Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1<br />
GG) die Pflicht hat, ein „menschenwürdiges<br />
Existenzminimum“ (Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 9. Februar 2010 zu