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den Hartz-IV-Regelsätzen) für alle TransferleistungsbezieherInnen<br />

zu gewährleisten, tritt er<br />

dieses Verfassungsgebot ausgerechnet bei<br />

jungen Menschen mit Füßen.<br />

Extrem hart trafen die Leistungskürzungen<br />

junge Menschen, die von zu Hause ausziehen<br />

und als Arbeitsuchende mittels der Grundsicherung<br />

nach dem SGB II lieber eine eigene<br />

Bedarfsgemeinschaft gründen wollten, als im<br />

Haushalt ihrer Eltern zu verbleiben.<br />

Heranwachsende und junge Erwachsene<br />

wieder in der Abhängigkeit von ihren Eltern zu<br />

belassen und ihnen per Mittelentzug die Möglichkeit<br />

der Gründung eines eigenen Hausstandes<br />

zu nehmen, ist einer wohlhabenden<br />

und hoch individualisierten Gesellschaft, die<br />

im Zeichen der Globalisierung berufliche Flexibilität<br />

und geografische Mobilität von ihren<br />

Mitgliedern verlangt, unwürdig.<br />

Schulkinder und Jugendliche sind die beiden<br />

einzigen Personengruppen, deren Hartz-IV-Regelsatz<br />

seit 2009 nicht mehr erhöht worden ist.<br />

Stattdessen wurde ihnen bei der gesetzlichen<br />

Neuregelung von Hartz IV im Frühjahr 2011<br />

ein „Bildungs- und Teilhabepaket“ im Wert von<br />

250 EUR pro Jahr zugestanden. Dieses stellt<br />

nicht bloß ein soziales Placebo, sondern auch<br />

eine politische Mogelpackung dar. Denn neu<br />

waren dabei nur 120 EUR pro Jahr, und was<br />

sind schon 10 EUR im Monat mehr für ein<br />

Schulkind oder einen Jugendlichen? Lässt sich<br />

damit sein „Bedarf zur Teilhabe am sozialen<br />

und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“<br />

(Gesetzestext) wirklich erfüllen?<br />

Intervention und Prävention<br />

Erforderlich ist ein Konzept, das unterschiedliche<br />

Politikfelder (Beschäftigungs-,<br />

Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik) miteinander<br />

vernetzt und Maßnahmen zur Umverteilung<br />

von Arbeit, Einkommen und Vermögen<br />

einschließt. Durch separate und voneinander<br />

isolierte Schritte, etwa höhere Transferleistungen,<br />

sind die prekären Lebenslagen von<br />

Jugendlichen nur partiell zu verbessern, ihre<br />

tief sitzenden Ursachen aber schwerlich zu beseitigen.<br />

Ein integrales Konzept zur Verringerung<br />

und Vermeidung von Jugendarmut muss<br />

gesetzliche (Neu-)Regelungen sowie monetäre<br />

und Realtransfers umfassen. Individuelle<br />

und erzieherische Hilfen, Fördermaßnahmen<br />

für junge Menschen sowie Strukturreformen<br />

sollten einander sinnvoll ergänzen und so<br />

verzahnt werden, dass möglichst wenig Reibungsverluste<br />

zwischen den verschiedenen<br />

Institutionen und Trägern entstehen.<br />

Aufgabe der Pädagogik –<br />

Verantwortung der Schulen<br />

Eine bessere, die Schule weniger auf soziale<br />

Selektion ausrichtende, Bildungspolitik wäre<br />

ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung der Armut<br />

junger Menschen. Die durch Jugendarmut<br />

verstärkte Chancenungleichheit in der Gesellschaft<br />

bildet eine zentrale Herausforderung für<br />

die Schule. Da eine soziale Infrastruktur weitgehend<br />

fehlt, liegt hier – neben der notwendigen<br />

Erhöhung monetärer Transfers zu Gunsten<br />

sozial benachteiligter Jugendlicher – ein<br />

wichtiger Ansatzpunkt für Gegenmaßnahmen.<br />

Ganztagsschulen hätten einen pädagogischsozialen<br />

Doppeleffekt: Einerseits könnten von<br />

Armut betroffene oder bedrohte Jugendliche<br />

systematischer gefördert werden als bisher, andererseits<br />

könnten ihre Eltern leichter als sonst<br />

einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, was<br />

sie finanzielle Probleme besser meistern ließe.<br />

Durch die Ganztags- als Regelschule lassen<br />

sich soziale Handicaps insofern kompensieren,<br />

als eine bessere Versorgung der Kinder, eine gezielte<br />

Unterstützung vor allem leistungsschwächerer<br />

SchülerInnen bei der Erledigung von<br />

Hausaufgaben und eine sinnvollere Gestaltung<br />

der Freizeit möglich wären.<br />

Ohne mehr Sensibilität für gesellschaftliche<br />

Spaltungs- und massive Verarmungstendenzen<br />

im Gefolge der globalen Finanz- und Weltwirtschaftskrise<br />

wird es keine Solidarität mit armen<br />

Jugendlichen geben. Das Thema „Kinder- und<br />

Jugendarmut“ muss im Rahmen der Lehrerausbildung<br />

stärker berücksichtigt werden. Das Armutsthema<br />

sollte auch stärker als bisher Teil der<br />

Curricula werden, und zwar nicht mehr nur bezogen<br />

auf Not und Elend der sog. Dritten Welt.<br />

Zwar kann die Pädagogik eine konsequente<br />

Politik gegen Armut nicht ersetzen, sie muss aber<br />

dafür sorgen, dass diese Problematik trotz emotionaler<br />

Barrieren und rationaler Bedenken auf die<br />

Agenda gesetzt wird: Die weitgehende Tabuisierung<br />

der Jugendarmut ist ein geistig-moralisches<br />

Armutszeugnis für das reiche Deutschland (vgl.<br />

Butterwegge, „Armut in einem reichen Land.<br />

Wie das Problem verharmlost und verdrängt<br />

wird", 3. Auflage 2012, Campus-Verlag).<br />

Christoph Butterwegge<br />

Prof. Dr. Christoph Butterwegge<br />

Humanwissenschaftliche<br />

Fakultät – Politikwissenschaft<br />

Universität zu Köln<br />

Jugendarmut<br />

Yvonne Ploetz (Hg.)<br />

nds 10-2012<br />

Beiträge zur Lage in Deutschland<br />

320 S., ISBN 978-3-86649-484-8,<br />

Budrich-Verlag, 10/2012, 33 Euro<br />

Die Verarmung großer Teile junger Menschen<br />

nimmt zu. Welche politischen Instrumente<br />

sind denkbar, um diesen Jugendlichen<br />

(wieder) eine Zukunft zu eröffnen?<br />

Die AutorInnen setzen sich mit Ursachen<br />

und Auswirkungen von Jugendarmut in<br />

der Bundesrepublik auseinander und diskutieren<br />

Auswege. Beiträge von: Ronald<br />

Lutz, Hans-Peter Michels, Christoph Butterwegge,<br />

Max Koch, Werner Seppmann und<br />

vielen anderen. Se<br />

Das Meer im Nebel<br />

Muñoz, Vernor<br />

Bildung auf dem Weg<br />

zu den Menschenrechten<br />

95 S., ISBN 978-3-86649-374-2,<br />

Budrich-Verlag, 10/2012, 9,90 Euro<br />

Vernor Muñoz begreift „Bildung als Menschenrecht"<br />

als Übergang der Menschheit<br />

vom patriarchalen Gesellschaftsrahmen hin zu<br />

einer universellen Kultur der Menschenrechte.<br />

Der langjährige UN-Sonder bericht erstatter für<br />

das Recht auf Bildung schlägt deshalb vor,<br />

Qualität und Wirkung der Bildung als Elemente<br />

der Entwicklung einer sozialen Sprache<br />

und Verfasstheit aufzufassen, die dem Leben<br />

seine Würde bewahrt. Unbedingt lesen! Se<br />

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