Psychotherapeutenjournal 2/2011 - medhochzwei Verlag GmbH
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sind. Das Erlernen verhaltenstherapeutischen<br />
Veränderungswissens kann somit<br />
durch die eigene Erfahrung vertieft und<br />
differenziert werden.<br />
Für andere Befürworter von Selbsterfahrung<br />
reicht die Selbstanwendung verhaltenstherapeutischer<br />
Methoden nicht aus,<br />
sie fordern eine weitergehende Persönlichkeitsentwicklung<br />
angehender Psychotherapeutinnen<br />
und -therapeuten. Sie<br />
stützen sich u. a. auf die empirische Befundlage:<br />
Lässt sich die Wirksamkeit von<br />
verhaltenstherapeutischer Selbsterfahrung<br />
auf die Güte des therapeutischen Handelns<br />
belegen? Untersuchungen liegen<br />
sowohl im angloamerikanischen (Lambert<br />
& Ogles, 2004; Orlinsky, Ronnestad<br />
& Willutzki, 2004) als auch im deutschen<br />
Sprachraum vor (Laireiter, 2009; Laireiter<br />
& Willutzki, 2003). Was den Stellenwert<br />
dieser Untersuchungen für die hier in Frage<br />
stehende Wirksamkeit von Selbsterfahrung<br />
allerdings mindert, ist die Tatsache,<br />
dass der Einfluss der Selbsterfahrung auf<br />
die Ergebnisqualität von Psychotherapie<br />
durch Anfängerpsychotherapeutinnen und<br />
-therapeuten nicht gesondert analysiert<br />
werden kann, sondern diese wird immer<br />
nur als ein Zueinander der verschiedenen<br />
Ausbildungsbausteine zu bewerten sein.<br />
Es macht daher mehr Sinn, die Wirkung<br />
von Selbsterfahrung nicht nur an der daraus<br />
unmittelbar resultierenden therapeutischen<br />
Kompetenz, sondern auch an der<br />
persönlichen Selbstentwicklung der Ausbildungsteilnehmenden<br />
zu messen. Diesen<br />
Weg schlägt eine umfängliche Studie von<br />
Greve (2007) ein: Die Autorin konzentriert<br />
sich auf die Selbstentwicklung der<br />
angehenden Psychotherapeutinnen und<br />
-therapeuten und untersucht Persönlichkeitsaspekte,<br />
die für eine angemessene<br />
Berufsausübung notwendig sind. Durch<br />
die Selbsterfahrung verbessert sich der<br />
Selbstwert der Teilnehmenden, die selbstbezogene<br />
Sensitivität steigt an, das Selbstkonzept<br />
von Unsicherheit nimmt ab und<br />
jenes von kognitiver Kompetenz nimmt<br />
zu. Positive Emotionalität nimmt zu und<br />
Angestrengtheit und Ängstlichkeit werden<br />
weniger (a. a. O., S. 214 ff).<br />
Diese Ergebnisse sind deshalb bedeutsam,<br />
weil sie persönlichkeitsspezifische Entwick-<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2011</strong><br />
lungen beleuchten, die für eine angemessene<br />
Beziehungsgestaltung in der Therapie<br />
unveräußerlich sind: Eine differenzierte<br />
Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und<br />
Einschränkungen, die Vermittlung von Hoffnung<br />
und einer positiven Perspektive sind in<br />
einer modernen Verhaltenstherapie unumgänglich<br />
und durch zahlreiche Befunde zur<br />
Bedeutung der Beziehung als einem wesentlichen<br />
Erfolgsfaktor für therapeutisches<br />
Gelingen belegt (Lambert & Ogles, 2004).<br />
Andere Autoren (z. B. Weyrauch, Weis &<br />
Langlotz-Weis, 2010) gehen in dieser Richtung<br />
noch einen Schritt weiter und fordern<br />
eine systematische Bearbeitung impliziter<br />
Selbstschemata, um diese in ein explizierbares<br />
Selbstwissen umzuwandeln. Sie<br />
orientieren sich dabei an der Konsistenztheorie<br />
von Grawe (2004) und arbeiten<br />
mit den Strategien der „motivationalen<br />
Klärung“ und der „Problemaktualisierung“.<br />
Besonders bedeutsam ist dabei auch das<br />
Erlernen einer ressourcenorientierten Perspektive,<br />
die sich besonders durch Transparenz,<br />
Warmherzigkeit und ein wertschätzendes<br />
Auftreten der Therapeutinnen und<br />
Therapeuten auszeichnet. Es wird deutlich,<br />
dass auch in diesem Selbsterfahrungskonzept<br />
die Persönlichkeitsentwicklung eine<br />
große Rolle spielt.<br />
Moderne Konzepte zur verhaltenstherapeutischen<br />
Selbsterfahrung, das scheint<br />
als ein Zwischenfazit möglich, rücken nicht<br />
nur den Erwerb von genuin therapeutischen<br />
Kompetenzen (Wissen und Können<br />
der VT) in den Vordergrund, sondern legen<br />
zunehmend mehr Wert auf eine Persönlichkeitsentwicklung<br />
angehender Therapeutinnen<br />
und Therapeuten. Die vielfach<br />
gesicherten Befunde zur therapeutischen<br />
Beziehungsgestaltung als einem wesentlichen<br />
Erfolgsfaktor sind der Hintergrund für<br />
dieses Vorgehen.<br />
Zukünftige Entwicklungen<br />
Die Vielfalt verhaltenstherapeutischer<br />
Selbsterfahrungskonzepte ist aus unserer<br />
Sicht nicht zu beklagen, sondern zeigt<br />
die Entwicklungsdynamik, die der Verhaltenstherapie<br />
in den Jahrzehnten seit ihrer<br />
Etablierung immer zu Eigen war. Angeregt<br />
durch intensive Forschung aus vielfältigen<br />
A. Kämmerer, F. Kapp, S. Rehahn-Sommer<br />
Grundlagendisziplinen, erweitert sich das<br />
Handlungsspektrum der Verhaltenstherapie<br />
kontinuierlich.<br />
Für eine angemessene Selbsterfahrung<br />
auf dem Weg zur Approbation in Verhaltenstherapie<br />
hat das zur Konsequenz, dass<br />
diese sich auch weiterhin an der Entwicklungsdynamik<br />
der VT orientieren muss und<br />
auf die Strömungen innerhalb der Disziplin<br />
reagieren sollte (vgl. Laireiter, 2009). Das<br />
bedeutet zunächst einmal, dass die Weiterentwicklungen<br />
innerhalb der klinischpsychologischen<br />
Forschung kontinuierlich<br />
in die Selbsterfahrung mit einfließen sollten.<br />
Emotionales Erleben, die Regulation<br />
von Gefühlen, die Bedeutung von Bindung,<br />
die nachhaltigen Auswirkungen von<br />
negativen Lebenserfahrungen – um nur<br />
einige Beispiele zu nennen, gehören aus<br />
unserer Sicht zum gegenwärtig unverrückbaren<br />
Kanon verhaltenstherapeutischer<br />
Selbsterfahrung.<br />
Aber in der Selbsterfahrung sollten auch die<br />
ethischen und moralischen Implikationen<br />
des Berufs, wir meinen damit vor allem das<br />
Menschenbild einer modernen Verhaltenstherapie,<br />
Thema sein. Vor dem Hintergrund<br />
sich verändernder Studienbedingungen, die<br />
durch die straffen Bachelor- und Master-<br />
Ausbildungen ethische, normative Fragen<br />
nach dem Warum und Woher von Psychotherapie<br />
in weitaus geringerem Maße zur<br />
Diskussion stellen als früher, wird gerade<br />
dieses Reflektieren einer therapeutischen<br />
Haltung notwendiger denn je.<br />
Hinzukommt, dass die „Innenorientierung“<br />
des Faches, damit meinen wir eine Hinwendung<br />
zu neurologischen, neurophysiologischen<br />
und stark an biologischen Prozessen<br />
orientierten Forschungen, den Blick<br />
auf die gesellschaftliche Rolle der Psychotherapie<br />
in den Hintergrund gedrängt hat.<br />
Sowohl die Verankerung von psychischen<br />
Störungen als auch die sozialpolitische<br />
Institutionalisierung und Inszenierung von<br />
Psychotherapie in einem sozialwissenschaftlichen<br />
Verständnis von Gesundheit<br />
und Krankheit sind in der Forschung gegenwärtig<br />
aus der Mode gekommen. Aber<br />
das bedeutet noch längst nicht, dass sie<br />
für das konkrete therapeutische Handeln<br />
an Bedeutung verloren haben. Denn therapeutisches<br />
Handeln ist zunächst einmal<br />
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