Psychotherapeutenjournal 2/2011 - medhochzwei Verlag GmbH
Psychotherapeutenjournal 2/2011 - medhochzwei Verlag GmbH
Psychotherapeutenjournal 2/2011 - medhochzwei Verlag GmbH
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Buchrezension<br />
Aspies e.V. (Hrsg.). (2010). Risse im Universum. Berlin: Weidler Buchverlag.<br />
226 Seiten. 24,80 €.<br />
Ludger Tebartz van Elst<br />
Das Asperger-Syndrom und verwandte<br />
autistische Syndrome spielen eine zunehmend<br />
große Rolle in der Erwachsenenpsychiatrie<br />
und Psychotherapie. Nach<br />
neuesten Zahlen wird die Prävalenz für<br />
Autismus-Spektrum-Erkrankungen auf immerhin<br />
1% geschätzt (CDC-Report 2010)<br />
und ist damit ähnlich hoch wie die der<br />
schizophreniformen Erkrankungen. Dachte<br />
man früher meist an Menschen mit geistiger<br />
Behinderung oder Charaktere wie Rain<br />
Man aus dem Film mit Dustin Hoffmann,<br />
wenn der Begriff Autismus fiel, so spricht<br />
sich heutzutage mehr und mehr herum,<br />
dass Menschen mit hochfunktionalem<br />
Autismus und Asperger-Syndrom durchaus<br />
auf den ersten Blick völlig unauffällig,<br />
angepasst und gelegentlich beruflich<br />
sogar sehr erfolgreich sein können. Das<br />
ist der Grund dafür, dass insbesondere<br />
hochfunktionale Menschen mit Asperger-<br />
Syndrom immer noch spät diagnostiziert<br />
werden und bis dahin oft eine lange und<br />
leidvolle Geschichte von Missverständnissen,<br />
heftigsten interpersonellen Konflikten,<br />
Mobbing und Ausgrenzung zu verarbeiten<br />
haben.<br />
Dies wird in eindrücklicher und authentischer<br />
Art und Weise durch das Buch „Risse<br />
im Universum“ vom Weidler Buchverlag<br />
veranschaulicht. Die Autorinnen und Autoren<br />
dieser Sammlung von Selbstbeschreibungen,<br />
biographischen Fragmenten und<br />
zum Teil auch lyrischen Texten wollen mit<br />
ihrem Buch genau diese Vielfalt und Heterogenität<br />
von autistischen Biographien illustrieren.<br />
15 betroffene Menschen erzählen<br />
aus ihrem Leben und berichten davon,<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2011</strong><br />
wie die besonderen Stärken und Schwächen,<br />
die mit diesem Syndrom verbunden<br />
sind, sich in ihre Lebensgeschichte eingewoben<br />
haben. Die Kerneigenschaften<br />
des Asperger-Syndroms ziehen sich bei<br />
allen wie ein roter Faden durch das Leben.<br />
Sensorische Besonderheiten, eine hohe<br />
Empfindlichkeit bestimmten Geräuschen,<br />
Gerüchen oder visuellen Eindrücken gegenüber,<br />
aber auch eine völlig selbstvergessene<br />
intensive Auseinandersetzung<br />
mit bestimmten Gegenständen, Themen,<br />
Tätigkeiten oder Eindrücken prägen bereits<br />
die frühesten Kindheitserinnerungen.<br />
Schwierigkeiten Berührungen zu ertragen,<br />
das fehlende Anschauen der anderen und<br />
die so eigene Art und Weise, die Beziehung<br />
zu den Familienangehörigen zu gestalten,<br />
verunsichern Eltern und Geschwister und<br />
führen zu Frust, Aggression und leider oft<br />
auch zu Ablehnung und Zurückweisung.<br />
Der Rückzug in die eigene Fantasie- und<br />
Vorstellungswelt aus Verzweiflung über die<br />
Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme mit<br />
„den anderen“, aber auch aus Faszination<br />
über die Lebendigkeit dieser eigenen<br />
Welten führt zu einer weiteren Trennung<br />
von den „Neurotypischen“ (so werden<br />
nicht betroffene Menschen von Autisten<br />
gelegentlich genannt). Eine Neigung zum<br />
Einzelgängertum und große Schwierigkeiten<br />
mit Gruppensituationen zeigen sich<br />
bei vielen bereits im Kindergarten und in<br />
der Grundschulzeit. Ein großes Bedürfnis<br />
nach erwartungsgemäßen Tagesabläufen,<br />
Probleme mit der spontanen Umstellungsfähigkeit<br />
und eine von außen oft als übertrieben<br />
wahrgenommene Empfindlichkeit<br />
gegenüber Störungen und Änderungen<br />
führen zu Wutausbrüchen und Aggressionen.<br />
Vor allem aber das soziale Miteinander<br />
mit anderen Gleichaltrigen bereitet<br />
meist ein Leben lang große Probleme. Der<br />
Sinn und die Freude am „Small Talk“ und<br />
dem alltäglichen Gerede und „Gelabere“<br />
der „Neurotypischen“ bleibt autistischen<br />
Menschen meist ein Leben lang verschlossen.<br />
Wenn dann noch Besonderheiten im<br />
Aussehen, im Kleidungsstil, in der Sprache<br />
und Sprechmelodie (Prosodie) oder<br />
in Gestik und Mimik dazu kommen, sind<br />
oft die Weichen für Ausgrenzung, Ärgern,<br />
Mobben und Quälereien durch andere gestellt.<br />
Werden diese typischen und musterhaften<br />
Besonderheiten aufgezählt, so fragt man<br />
sich, wieso dieses Muster nicht regelmäßig<br />
früh erkannt und diagnostiziert wird.<br />
Die Antwort darauf geben die Lebensberichte<br />
im rezensierten Buch. Denn diese<br />
Eigenschaften sind eingebettet in das ganz<br />
normale Leben, welches betroffene Kinder,<br />
Jugendliche und Erwachsene eben<br />
auch führen. Ganz normale Wünsche und<br />
Sehnsüchte nach Angenommen-Sein,<br />
Geborgenheit, beruflicher und privater<br />
Anerkennung, nach Freundschaft, Liebe<br />
und Sexualität werden in den 15 Lebensgeschichten<br />
zum Ausdruck gebracht.<br />
Dass Asperger-Sein dabei nicht nur mit<br />
Schwächen, sondern ebenso mit Stärken<br />
verbunden ist, wird ebenfalls klar: die Begabungen<br />
für Mathematik, Physik, Informatik,<br />
Philosophie und Musik, aber auch<br />
die Leidenschaft für die Natur, Tiere und<br />
die Kunst. Leider führen die Schwächen<br />
in der sozialen Wahrnehmung und Kom-<br />
173